München-Moosach, in einem Neubaugebiet am Hartmannshofer Bächl: Hier errichtet das städtische Referat für Bildung und Sport der Landeshauptstadt eine Kindertagesstätte. Der Rohbau ist bereits fertiggestellt und die Arbeiter passen gerade die Fenster in die dafür vorgesehenen Aussparungen ein. Doch plötzlich halten die Monteure inne und richten ihren Blick auf den Himmel über ihnen. Denn dort schwebt jetzt – summend wie eine Hummel – in einer Höhe von rund 50 Metern ein sogenannter Octocopter, eine zivile Drohne mit acht Rotoren, heran. In einiger Entfernung fliegen zwei Gänse vorbei.
„Die tun uns nichts“, sagt Sebastian Tuttas, „und wir tun ihnen auch nichts“. Der 30-jährige Vermessungsingenieur steuert über seine Fernbedienung das „unbemannte Luftfahrtsystem“, wie der Octocopter auf Amtsdeutsch heißt. Neben ihm steht sein Kollege Ludwig Hoegner mit dem Laptop in der Hand. Darauf werden die mit der Drohne gewonnenen Daten ausgewertet. Die beiden Ingenieure sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der Fakultät für Bauingenieur- und Vermessungswesen der Technischen Universität München. Genauer: am Fachgebiet Photogrammetrie und Fernerkundung.
Es geht also um Vermessungsmethoden über Distanzen und mit Hilfe der Fotografie. Und deshalb hat Ingenieur Tuttas den Octocopter mit einer Kamera ausgestattet. Seit zwei Jahren arbeitet er mit diesem Gerät im Rahmen eines Forschungsprojektes der Deutschen Forschungsgesellschaft. Sein Thema ist die Dokumentation der Baufortschritte mit Hilfe von fotografischen Aufnahmen aus der Luft, die dann zu einem dreidimensionalen Modell des Bauwerkes zusammengeführt werden. So lässt sich dann der Baufortschritt mit dem Zeitplan des Neubaus vergleichen. Aber der Octocopter ist auch für andere Aufgaben gut. Er kann mit einer thermischen Infrarotkamera bestückt werden und liefert so Angaben über den Wärmehaushalt eines Gebäudes.
Abflussverhalten in Gebirgsbächen
Oder – ein anderes aktuelles Projekt – die Vermessungsingenieure untersuchen zusammen mit Hydrologen das Abflussverhalten in Gebirgsbächen. Dabei wird aus Luftbildern der Kamera ein hochaufgelöstes digitales Geländemodell erstellt, in dem auch kleinste Unebenheiten oder Gräben enthalten sind. Anschließend wird aus Infrarotbildern ein sogenanntes Ortofoto über das Geländemodell gelegt. Diese Bilder zeigen Abflussrinnen von Wasser an der Oberfläche, die in normalen Bildern nicht sichtbar wären.
Doch zurück nach Moosach und dem Neubau der Kindertagesstätte. Sebastian Tuttas ist gerade dabei, den Octocopter zu starten, das Fluggerät trägt den Namen Falcon 8. Gesteuert wird die Falcon mit zwei kleinen Hebelchen an der Fernsteuerung: Surrend setzen sich die acht kleinen Plastikrotoren in Bewegung und schon hebt die Drohne vom Boden ab und gewinnt rasch an Höhe. Die Flugbahn rund um den Neubau der Kindertagesstätte ist dabei vorprogrammiert, selbstständig steuert der Octocopter mit Hilfe des GPS mehrere Messpunkte an und löst jeweils die Kamera aus. Das Fluggerät kann dabei mit einer Batterieladung rund 15 Minuten in der Luft bleiben.
Geflogen werden darf nur bis 100 Metern Höhe
Der Flugbetrieb dieser gewerblichen Drohne unterliegt im Unterschied zur Hobbydrohne weiteren Regelungen. Da ist zunächst die behördliche „Aufstiegserlaubnis für unbemannte Luftfahrtsysteme“, ausgestellt vom zuständigen Luftfahrtamt Bayern Süd und befristet bis 30. April 2017 – das Team von der TU München hat das Papier bei sich, für den Fall der Fälle. Geflogen werden darf nur bis zu einer Höhe von 100 Metern und auch nur in Sichtweite – obwohl die Kamera ein aktuelles Videobild an die Steuerung liefert.
Bevor Octocopter-Pilot Turras sein Fluggerät in Bewegung gesetzt hat, musste er bei der Herstellerfirma eine Art Führerschein erwerben: Einen halben Tag dauerte die Einweisung in die Theorie und Praxis des Drohnenfliegens. Und „die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert ist sehr gering“, sagt Turras. Sollte die Funkverbindung abbrechen, kann das Gerät mit zwei verschiedenen Reaktionen auf den Notfall programmiert werden. Da ist zu einem die Option, dass der Octocopter sich langsam von seiner Position aus auf den Boden niederlässt, also landet. Oder, dass er via GPS zu seinem Startpunkt zurückkehrt. Und schließlich muss der Betreiber sich noch eine Haftpflichtversicherung zulegen, falls das Fluggerät irgendeinen Schaden verursachen sollte.
„Das Steuern des Gerätes ist im Prinzip einfach“, sagt der TU-Mitarbeiter, jedenfalls solange man GPS-Unterstützung hat. Denn dann kann man die Drohne einfach mal in der Luft stehen lassen und eventuelle Probleme überdenken. Ohne GPS ist das Fliegen von den Wind- und Witterungsverhältnissen abhängig. Und aufpassen sollte man, wenn der Octocopter gelandet ist, vor Hunden: Die Vierbeiner sehen in dem sich bewegenden kleinen Ding gerne eine Beute. Klar ist, dass derartige Bauvermessungen die Einwilligung der Beteiligten voraussetzen, hier das Baureferat und die Architekten.
Wie unbekannt diese Technologie hierzulande noch ist, macht ein Artikel in einer großen deutschen Tageszeitung deutlich: Dort war zu lesen, dass „noch keine Drohnen über deutschen Baustellen schweben“. Vorgestellt wird dann ein Beispiel aus den USA, wo der Baufortschritt eines Sportstadions im kalifornischen Sacramento mit Drohnen überwacht wird. Möglich wird dies durch die Fortschritte bei der Drohnen-Technologie selbst.
Konrad-Zuse-Straße Nr. 4 in Krailling, ein Ort im Westen von München: Hier im Industriegebiet ist in einem modernen Gebäude der Firmensitz der Ascending Technologies GmbH untergebracht, sie stellt Drohnen für die kommerzielle Nutzung her. Die Nachbarn haben sich längst daran gewöhnt, dass auf den Grünflächen junge Männer mit Fernsteuerungen vor dem Bauch kleine surrende Fluggeräte durch die Luft bewegen. Das Unternehmen gibt es seit 2007 und wurde von vier jungen Ingenieuren gegründet, die sich über den Wettbewerb „Jugend forscht“ kennengelernt hatten. Einer von ihnen ist Daniel Gurdian und der hatte 2002 mit der Entwicklung eines Quadrocopters den 4. Preis gemacht – das Gerät wurde dann von einem chinesischen Investor als Spielzeug auf dem Markt gebracht. Heute zählt die Kraillinger Firma mit ihren 60 Mitarbeitern zu den Branchenführern in Sachen unbemannter Luftfahrzeuge im zivilen Bereich. Über 1000 Geräte wurden bereits ausgeliefert, das kommerzielle Flaggschiff ist der Falcon 8, wie er auch von der TU München verwendet wird.
Große Nachfrage bedingt drei Monate Wartezeit
Hauptanwendungsbereiche sind Vermessung, Inspektion und Fotografie. Auf zwei Stockwerken werden sowohl das eigentliche Fluggerät wie auch die verwendeten Steuerungsplatinen produziert. Die Nachfrage ist groß, derzeit müssen die Kunden mit einer Lieferzeit von drei Monaten rechnen. Ein Treffen in den Firmenräumen mit Manager Matthias Beldzik. Wie schätzt er die momentane Markt-Situation für zivile Anwendungen von Drohnen ein? „Es findet derzeit ein gewisses Umdenken bei den Firmen und der Öffentlichkeit statt“, so seine Antwort. Bislang hätten Firmen eher gezögert, was den Einsatz von unbemannten Fluggeräten anbelangt.
Doch inzwischen „ist der Markt am Aufwachen“. In der Tat gibt es jede Menge Anwendungen: von der Vermessungstechnik über die Inspektion von Gebäuden oder Öl-Plattformen im Meer bis hin zu Objektbefliegungen in Sachen Denkmalschutz oder Anwendungen in der Landwirtschaft. So setzte man in einem Versuchsprojekt etwa Drohnen ein, um mit Hilfe von Wärmekameras sich im Getreide versteckende Rehkitze aufzuspüren und sie so vor dem Tod durch den Mähdrescher zu bewahren. Dreh- und Angelpunkt der weiteren Entwicklung des Drohnenmarktes und der Einsatzmöglichkeiten unbemannter Fluggeräte ist dabei die behördliche Regulierung des Einsatzes.
Beldzik kann mit den in Deutschland geltenden Regeln gut leben, um aber auch im europäischen Rahmen eine Planungssicherheit zu haben, sei eine Angleichung der Bestimmungen notwendig. In Österreich und Spanien etwa seien die Vorschriften wesentlich schärfer gefasst. Doch eine europaweite einheitliche Regelung ist bereits in Arbeit. Bis Ende 2015 soll die Europäische Flugsicherheitsagentur (EASA) der Europäischen Kommission dazu einen technischen Bericht vorlegen. (Rudolf Stumberger)
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