Der Mangel an Personal belastet die Versorgung von Menschen mit Behinderungen deutlich. Darum entlohnt der Bezirk Oberbayern als einziger Bezirk in Bayern junge Leute, die dort ein Praktikum absolvieren. Auf diese Weise hofft man, sie für die verschiedenen Bereiche des Bezirks zu begeistern und sie als Mitarbeitende zu gewinnen.
BSZ Herr Mederer, was unternimmt der Bezirk Oberbayern, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Josef Mederer Für uns geht es hier um zwei Ebenen – eine interne und eine externe. Einerseits sind wir selbst Arbeitgeber, andererseits finanzieren wir viele Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, die der Fachkräftemangel dramatisch belastet. Intern engagieren wir uns sehr, ein guter Arbeitgeber zu sein. Wir bieten unseren Mitarbeitenden viele Zuckerl. Wir haben flexible Arbeitszeiten, großzügige Homeoffice-Regelungen, eine Betriebssportgemeinschaft und 6000 eigene Wohnungen. Frei werdende Wohnungen bieten wir zuerst unseren Mitarbeitenden zu günstigen Konditionen an, bevor sie auf den freien Markt gehen.
BSZ Wo befinden sich diese Wohnungen?
Mederer Die Wohnungen gehören der Oberbayerischen Heimstätte, unserer bezirkseigenen Wohnungsbaugesellschaft. Sie befinden sind in München, Haar, Fürstenfeldbruck, Erding, Ingolstadt, Rosenheim und Kösching.
BSZ Um wie viel günstiger sind diese Wohnungen?
Mederer Wir fördern die Mieten mit fünf bis 25 Prozent. Deshalb liegen sie deutlich unter dem örtlichen Mietpreisniveau.
BSZ Und wer hat Anspruch auf so eine Wohnung?
Mederer Im Prinzip können sich alle Mitarbeitenden bewerben. Wir wollen aber vor allem Mitarbeitende mit geringem Einkommen unterstützen. Aber wir helfen auch caritativen Verbänden, die mit uns zusammenarbeiten. Für deren Mitarbeitende stellen wir etwa 150 Wohnungen pro Jahr zur Verfügung, um auch den Verbänden bei der Suche nach Beschäftigten einen kleinen Trumpf in die Hand zu geben. Aber wir punkten nicht nur mit Wohnungen.
BSZ Sondern mit was noch?
Mederer Dem Bezirk ist ein gutes und wertschätzendes Arbeitsumfeld und der Zusammenhalt der Beschäftigten sehr wichtig. Gemeinschaftsveranstaltungen und eine eigene Kindertagesstätte, höhenverstellbare Büroausstattung im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, das JobRad-Programm, kostenlose Lademöglichkeiten für E-Autos und E-Bikes bei uns in der Prinzregentenstraße, das Jobticket für die Beschäftigten mit Arbeitsort im Großraum München: Für die Mitarbeitenden in der Bezirksverwaltung gibt es viele Vergünstigungen, die zeigen, es lohnt sich, bei uns zu arbeiten, weil das Arbeitsumfeld positiv gestaltet ist. Übrigens spricht das auch viele Menschen mit Behinderungen an. Rund 12 Prozent unserer Beschäftigten haben eine Behinderung – das sind mehr als doppelt so viele wie gesetzlich in der Quote vorgeschrieben.
BSZ Das war die Sicht nach innen in den Bezirk. Was tun Sie extern gegen den Fachkräftemangel?
Mederer Der Mangel an Personal belastet die Versorgung von Menschen mit Behinderungen deutlich spürbar. Geschlossene Gruppen in Heilpädagogischen Tagesstätten, Wohnangebote für Menschen mit Behinderungen, in denen Zimmer leer stehen, Förderstätten, die nicht alle Plätze belegen können, obwohl es eine Warteliste gibt: Überall ist die Ursache der teilweise dramatische Mangel an Personal. Das nimmt uns in die Pflicht. Wir haben deshalb im Jahr 2020 das Förderprogramm „In die Zukunft investieren, heißt in die Menschen investieren“ aufgelegt. Es ist jährlich mit bis zu einer Million Euro ausgestattet. Wir ermöglichen damit Einrichtungen der Eingliederungshilfe, jungen Menschen, die ein längerfristiges Praktikum im Rahmen ihrer Ausbildung oder ihres Studiums machen, eine Aufwandsentschädigung zu zahlen. Ziel des Ganzen ist es, ein Kommen und Bleiben zu erreichen.
BSZ Was macht der Bezirk noch?
Mederer Daneben planen wir ein weiteres Förderprogramm im Jahr 2024 aufzusetzen. Damit wollen wir Mitarbeitende in den Einrichtungen dabei unterstützen, sich als Fachkräfte weiter zu qualifizieren. Wir wollen dafür ab dem nächsten Jahr 500 000 Euro Förderung zur Verfügung stellen. Ein Konzept erarbeiten wir gerade.
BSZ Wie viel erhalten die Praktikanten?
Mederer Die Einrichtungen erhalten je nach Praktikumsart eine Pauschale zwischen 3500 und bis zu 23 000 Euro, um die Praktikantenstellen realisieren zu können. Wir sprechen damit Einrichtungen, Dienste und besondere Wohnformen der Eingliederungshilfe, Psychiatrie, Sucht- und Wohnungslosenhilfe an. Das kann sich sehen lassen. Denn ohne unser Programm würden die jungen Leute meist nichts oder nur einen Obolus bekommen.
BSZ Wie wird das Programm angenommen?
Mederer Die ersten beiden Jahre haben uns sehr ermutigt. Bis zu 40 Prozent haben nach Ende ihrer Ausbildung oder ihres Studiums in den Einrichtungen einen festen Arbeitsvertrag unterschrieben. Sie alle wurden damit dauerhaft für die anspruchsvolle Arbeit in der Eingliederungshilfe gewonnen. Die Anfragen der Einrichtungen und Dienste steigen jedes Jahr. Aus unserer Sicht ein voller Erfolg.
BSZ Damit ist der Bezirk Oberbayern ein Impulsgeber. Gibt es bei den anderen Bezirken bereits Nachahmer?
Mederer Soweit mir bekannt ist, sind wir da bisher einzigartig. Der ein oder andere Bezirk hat sich in unserer Sozialverwaltung über das Programm informiert. Es wäre mit Sicherheit ein starkes Zeichen, wenn die anderen Bezirke nachzögen.
BSZ Aber es ließe sich doch so überall Nachwuchs gewinnen?
Mederer Sicher, deshalb müssen wir alle sehr kreativ sein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Aus dem Mikrozensus von 2021 wissen wir, dass bis Mitte des nächsten Jahrzehnts bundesweit fast 13 Millionen Menschen in Rente gehen – also weit über eine Million in ganz Bayern. Und wesentlich weniger Beschäftigte kommen nach. Das ist erst die Spitze des Eisbergs. Deshalb sage ich: Lasst uns kreativ sein und die Arbeit der Beschäftigten wertschätzen – zum Beispiel durch bessere Bezahlung, wie wir sie jetzt beim sogenannten Arbeitgebermodell umsetzen.
BSZ Worum geht es da?
Mederer Im Bezirk Oberbayern finanzieren wir für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf, die selbstbestimmt in einer eigenen Wohnung leben möchten, Assistenzkräfte – teilweise sogar 24/7. Diese Form der Unterstützung heißt bei uns Arbeitgebermodell, da viele Menschen mit Behinderungen selbst in die Rolle des Arbeitgebers oder der Arbeitsgeberin eintreten. Und diese Assistenzkräfte bekommen jetzt mehr Geld.
BSZ Warum?
Mederer Weil sie ab 1. September dieses Jahres nach TVöD-VkA bezahlt werden. Das haben wir gerade in unserem Sozialausschuss beschlossen. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden erhalten die Assistenzkräfte dann rund 2660,65 Euro brutto. Das ist ein Plus von bis zu 28 Prozent gegenüber dem Status quo und entspricht einem Stundenlohn von 15,69 Euro.
BSZ Das verursacht aber Mehrkosten für den Bezirk Oberbayern.
Mederer Ja, etwa 6,9 Millionen Euro pro Jahr. Das Arbeitgebermodell nehmen in Oberbayern rund 250 Menschen in Anspruch. Durch unseren Beschluss steigen die Ausgaben für die Assistenzkräfte auf insgesamt 30 Millionen Euro. Ich will hier niemanden mit Zahlen belasten, diese sind aber wichtig, weil sie zeigen, der Bezirk fördert die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, wo es nur geht.
BSZ Und wie gewinnen Sie über diese Möglichkeit Nachwuchs?
Mederer Auch hier ist es wichtig, dass junge Menschen wie beispielsweise Studierende auf diese Weise in den Pflegeberuf hineinschnuppern können. Das ist wie früher bei den Zivildienstleistenden. Da sind auch viele anschließend in einen sozialen Beruf oder in die Pflege gegangen. Beim Arbeitgebermodell hoffen wir, dass sich durch die deutlich bessere Bezahlung auch mehr Menschen für die Arbeit als Assistenzkraft interessieren.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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