Der schwäbische Kreis- und Gemeinderat Manfred Seel ist das einzige bayerische Mitglied des BSW-Bundesvorstands. Er koordiniert die Gründung des Landesverbands. Mehr als 2000 Mitgliedsanträge gingen laut Seel bereits ein. Rund drei Dutzend Stadt-, Gemeinde- und Kreisräte seien schon Mitglieder.
BSZ: Herr Seel, die BSW-Mitglieder haben fast zwei Dutzend Frauen und Männer in den Bundesvorstand gewählt, doch der einzige Bayer sind sie. Dabei ist der Freistaat das zweitbevölkerungsreichste Bundesland. Ist der Freistaat dem BSW nicht wichtig?
Manfred Seel: Der Freistaat ist dem BSW viel wert. Wir wollen uns hier als bessere Alternative zur CSU positionieren. Aber bei 16 Bundesländern ist natürlich nicht jedes Bundesland gleich viel vertreten. Ohnehin geht es beim BSW um politische Kompetenz und nicht um Proporz.
BSZ: Beim BSW sind nach eigenen Angaben in den vergangenen Monaten Tausende Mitgliedsanträge eingegangen. Wie viele sind es in Bayern?
Seel: Beim BSW Bayern sind über 2000 Anträge auf Mitgliedschaft eingegangen. Aber unser Wachstum soll in einem vernünftigen Tempo voranschreiten. Daher haben wir bisher nur etwas über 100 Mitglieder aufgenommen. Wir wollen genau schauen, wer zu uns kommt und ob er zu uns passt.
BSZ: Sind unter den Antragstellern auch aktive Kommunalpolitiker?
Seel: Darunter sind viele kompetente aktive Kommunalpolitiker und ehemalige Kommunalpolitiker.
BSZ: Können Sie schon Namen nennen?
Seel: Drei Dutzend kommunale Mandatsträger sind bereits Mitglieder. Darunter sind unter anderem der Günzburger Stadt- und Kreisrat Xaver Merk, der Passauer Stadtrat Josef Ilsanker, Rolf Walther, Kreisrat Garmisch-Partenkirchen oder der Coburger Stadtrat René Hähnlein. Auch ich sitze im Bäumenheimer Gemeinderat sowie im Kreistag von Donauries. Anders als manche der Öffentlichkeit weismachen wollen, sind wir also sehr wohl auch auf lokaler Ebene mit kompetenten Kommunalpolitikern gut vertreten.
"Viele Flüchtlinge haben kein Recht hier zu sein"
BSZ: Bleiben wir bei den Kommunen. Viele Städte und Landkreise stöhnen unter den hohen Flüchtlingszahlen. Aufgrund klammer Kassen wird zunehmend bei der Daseinsvorsorge wie dem öffentlichen Nahverkehr gespart. Der Landkreistag hat gerade einen kompletten Aufnahmestopp als „Ultima ratio“ gefordert. Was würde unter einer Bundesregierung mit BSW-Beteiligung anders werden?
Seel: Wir würden eine andere Migrationspolitik als die Ampel oder Frau Merkel machen. Ich war sechs Jahre Migrationsbeauftragter meiner Heimatgemeinde. Eine tolle Zeit. Aber klar ist: Unter den Migranten, die hierher kommen, sind auch Wirtschaftsflüchtlinge, die keinen Rechtsanspruch haben, hier zu sein. Deshalb muss es Kontrollen an den Grenzen geben. Auch wir wollen Asylverfahren an den Außengrenzen der EU. Viele Flüchtlinge sollten gar nicht mehr ins Land gelassen werden. Fakt ist: Eine große Zahl an Flüchtlingen haben kein Recht hier zu sein.
BSZ: Sie beziehen sich darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im ersten Halbjahr dieses Jahres nur 13 Prozent der Asylantragsteller rechtlich als Flüchtlinge anerkannt hat. 27 Prozent genießen einen subsidiären Schutz, bei weiteren 7 Prozent wurde ein Abschiebeverbot festgestellt – die Gesamtschutzquote lag zuletzt also bei weniger als 47 Prozent. Von der anderen Hälfte der Asylbewerber muss aber in der Praxis dennoch kaum einer das Land verlassen. Was müsste sich konkret in der Asylpolitik ändern?
Seel: Es wäre eine Lüge zu sagen, dass die Zahl der Abschiebungen in erheblichem Maß erhöht werden kann. Da gibt es zu viele Hindernisse wie fehlende Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern. Kriminelle müssen so schnell wie es geht nach Verbüßung ihrer Strafe abgeschoben werden. Auch weigern sich eigentlich zuständige EU-Staaten, die Flüchtlinge zurückzunehmen. Deutschland muss deshalb vor allem die Zahl der Menschen, die neu als Asylbewerber hierher kommen, deutlich reduzieren. Durch eine massive Verringerung des Zustroms können die Kommunen dauerhaft entlastet werden. Wer als politisch Verfolgter wirklich Hilfe braucht, dem sollten wir aber auch künftig helfen.
BSZ: Was fordern Sie konkret?
Seel:Um die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zu reduzieren, müssen einerseits die finanziellen Leistungen hierzulande thematisiert werden. Zudem muss auf EU-Ebene über das Dublin-Abkommen gesprochen werden. Denn die Staaten in den Grenzregionen winken die Migranten ja oft wie Italien einfach nur in unsere Richtung durch. Wir brauchen eine europäische Lösung, wie die Flüchtlinge nach einem bestimmten Schlüssel anhand von Wohlstand und Einwohnerzahl fair verteilt werden.
"Rechtlich nicht möglich"
BSZ: Was halten Sie von einem kompletten Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen, wie ihn gerade CDU-Chef Friedrich Merz gefordert hat?
Seel: Das ist rechtlich nicht möglich. Zudem sollte natürlich jenen geholfen werden, die wirklich Hilfe brauchen. Doch auch wir sind dafür, die Asylverfahren noch stärker an die Grenzen zu verlagern. Langfristig brauchen wir ein gerechteres Weltwirtschaftssystem, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Dann müssen wir auch nicht so viele Migranten an den Grenzen zurückweisen. Kurzfristig sollten die Sozialleistungen für Flüchtlinge im Zuge einer Reform europaweit harmonisiert werden. Und natürlich muss die Sonderregelung für ukrainische Flüchtlinge, dass diese gleich Bürgergeld bekommen, revidiert werden.
BSZ: Ist es sinnvoll, ukrainischen Männern, die hier als fahnenflüchtige Flüchtlinge leben, Bürgergeld zu bezahlen und gleichzeitig mehr militärisches Engagement der EU-Staaten zu fordern?
Seel: Es ist gegenüber den Mitgliedern der in Deutschland lebenden Solidargemeinschaft nicht gerecht, dass es beim Bürgergeld eine Sonderregelung für Ukrainerinnen und Ukrainer gibt. Bis heute geht nur rund jeder fünfte ukrainische Flüchtling einer bezahlten Beschäftigung nach. Der Status Quo gefährdet den Sozialen Frieden. Eine Abschaffung entlastet auch die Kommunen. Klar ist: Der Krieg muss dringend beendet werden. Als Friedenspartei stehen wir für ein Ende der Waffenlieferungen und die Aufnahme diplomatischer Verhandlungen. Mehr Waffen verlängern nur den Krieg und führen zu mehr Toten. Wir machen uns mitschuldig an Tausenden Toten.
BSZ: Wegen ihrer Kritik an deutschen Waffenlieferungen für die Ukraine wird die BSW-Spitze mitunter als Putin-Versteher oder fünfte Kolonne Moskaus attackiert. Stört Sie das?
Seel:Das stört mich. Was mich stört, ist die Diffamierung von allen, die das Töten beenden wollen und eine Verhandlungslösung ablehnen – diese Position ist zutiefst unmoralisch. Wir haben nie gesagt, dass wir den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands richtig finden. Wir verurteilen alle Kriege – auch den Irak-Krieg und den völkerrechtswidrigen Krieg der Nato im Kosovo.
"Es wird oft so getan, als wolle Putin bis Berlin marschieren"
BSZ: Also lehnen sie Moskaus Invasion ab?
Seel: Ja. Aber so einfach, wie es sich viele große Zeitungen und Fernsehanstalten machen, ist es nicht. Es wird oft so getan, als wolle Putin bis Berlin marschieren. Doch Russland will und wird nicht Polen, Deutschland oder überhaupt einen Nato-Staat angreifen. Zudem kann er das gar nicht, da die Nato militärisch zu stark ist. Und man muss die Hintergründe des Krieges sehen: Es ist kein Krieg um die Demokratie in Europa. Die Ukraine ist ein korrupter Staat. Zudem sitzen im ukrainischen Parlament auch Faschisten, die Stimmung gegen Russland gemacht haben. Letztlich ist der Krieg ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland. Die massive Aufrüstung des Westens und der Umstand, dass nach Ende des Kalten Krieges immer mehr Staaten in der Nähe Russlands der Nato beigetreten sind, muss man bei der Beurteilung der Geschehnisse ebenfalls sehen. Russland wollte einfach nur die Versicherung, dass die Ukraine militärisch neutral ist. Klar ist auch: Jahrelang wurde der russischsprachige Teil der Bevölkerung in der Ostukraine unterdrückt. Und 2014 hat die Ukraine Panzer nach Donezk und Luhansk zu den Aufständischen geschickt. Erst danach griff Russland militärisch ein.
BSZ: Die Separatisten wurden frühzeitig mit russischen Waffen und von russischen Truppen massiv unterstützt. Moskau war der Angreifer.
Seel: Noch einmal: Man muss hier den Zusammenhang sehen. Die Menschen in der Region wurden benachteiligt, ihre Kultur unterdrückt und das Russischsprechen verboten. Aber wie gesagt: Wir wünschen uns eine friedliche Lösung – die müssen allerdings beide Seiten wirklich wollen.
"Wenn wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen wollen, müssen wir erst einmal eine dumme Entscheidung der Vergangenheit revidieren"
BSZ: Kommen wir wieder zur Innenpolitik: Das BSW fordert einen starken Sozialstaat für jene Menschen, die hier geboren sind und schon lange in Deutschland leben. Wie soll dieser angesichts einer schwächelnden Wirtschaft finanziert werden?
Seel: Wenn wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen wollen, müssen wir erst einmal eine dumme und gefährliche Entscheidung der Vergangenheit revidieren. Aus scheinmoralischen Gründen verzichtet Deutschland auf den Kauf von Energie des günstigsten Anbieters: Russland. Andere EU-Staaten wie Ungarn oder Österreich kaufen direkt billiges Öl und Gas, während wir teures LNG-Gas und Öl kaufen. Wir kaufen uns russisches Öl über Umwege teuer, wie zum Beispiel als Fertigprodukt über Indien. Andere Volkswirtschaften verschaffen sich Vorteile und wir sind wegen der hohen Energiekosten nicht mehr wettbewerbsfähig. Vor allem die energieintensiven Firmen gehen kaputt. Als Ölhändler weiß ich, was in der Branche los ist. Hinzu kommt: Fracking und LNG ist extrem umweltschädlich. Aber das interessiert die Grünen nicht. Das ist eine Verarschung, was sich die Regierung hier auf Kosten der Wirtschaft und der Bevölkerung leistet. Zudem wollen wir die Wirtschaft durch eine Änderung der Steuerkurve beleben. Geringverdiener und der Mittelstand sollen entlastet werden, Superreiche belastet werden. Da denken wir in etwa an die Größenordnung unter Helmut Kohl.
BSZ: In den 1980er- und 1990er-Jahren lag der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer unter Kohl bei 56 oder 53 Prozent statt der heutigen 42 beziehungswese 45 Prozent bei der sogenannten Reichensteuer.
Seel:Kohl wäre heute also ein Sozialist. Wie auch immer: Ich würde dafür den Steuerfreibetrag von 12 000 Euro auf 20 000 Euro erhöhen und die kalte Progression beseitigen. Wenn die kleinen Leute und der Mittelstand, also die Leistungsträger, mehr Geld haben, geben sie es auch aus und kurbeln so die Wirtschaft an. Zudem müssen wir die marode Infrastruktur erneuern und in Bildung investieren. Die Streichung der Milliarden für die Ukraine würde uns Spielraum geben.
"Die schwarze Null ist volkswirtschaftlicher Nonsens"
BSZ: Und sie wollen von der Schwarzen Null abrücken?
Seel: Ja, damit der Staat genug Geld für nötige Investitionen hat, müssen sich Bund und Länder auch von dieser widersinnigen Idee der Schuldenbremse verabschieden. Die Schwarze Null ist volkswirtschaftlicher Nonsens.
BSZ: In Ostdeutschland war das BSW für viele von der Flüchtlingspolitik enttäuschten Wähler eine Option, die nicht die dort rechtsextreme AfD wählen wollten. In Bayern gibt es mit CSU und Freien Wählern demokratische Parteien, die für eine strenge Migrationspolitik stehen. Wie will Ihre Partei 2028 die Fünfprozenthürde knacken?
Seel: Mit überzeugenden Argumenten – wir sind die einzige echte Friedenspartei. Und wir stehen für einen Mix von sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Vernunft – wir sind gegen eine neoliberale Politik – wir wollen etwa einen besseren ÖPNV, auch und gerade auf dem Land. Auch die Umwelt- und Gesundheitspolitik liegt uns am Herzen. Wir stehen für eine bessere Hausarztversorgung auf dem Land und eine konsequente Aufarbeitung der Fehler der Corona-Politik. Und wir wollen eine andere Debattenkultur. Es muss politisch gestritten werden, ohne, dass man, wenn man eine abweichende Meinung hat, gleich ins rechtsextreme oder verschwörungstheoretische Eck gestellt wird – das gilt nicht zuletzt für die Flüchtlingspolitik.
(Interview: Tobias Lill)
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