Kultur

Ob die Erde im Cinemascopestil, ob riesige Vergrößerungen von Pflanzen oder ein Gang durch ihr Innenleben: Das Nawareum bedient sich multimedialer moderner Museumspädagogik, um Zusammenhänge zu erklären. (Foto: Nawareum/Franziska Schrödinger)

20.09.2024

Abenteuerspielplatz für die Wissenschaft

Das Nawareum in Straubing: Faszinierend vermittelt es Zusammenhänge zwischen der Umwelt und dem menschlichen Tun

Wer einen Blick in die Zukunft werfen will, skeptisch oder auf Veränderung hoffend. Wer einen Blick darauf werfen will, was alles sich ändern muss für eine lebenswerte Zukunft, was sich auch schon geändert hat. Wer einen Blick in die Vergangenheit werfen will, wie es so geworden ist, dass sich so vieles ändern muss: Der wird um einen ausgiebigen Blick in das erstaunliche Nawareum in Straubing nicht herumkommen. Denn dort hat ein Team aus Wissenschaftler*innen und Ausstellungsmacher*innen ohne viel Tamtam zusammengetragen, was heute fundiert über den Klimawandel zu wissen ist – was aus ihm folgt und was aus ihm zu folgern ist.

Es geht um Tatsachen

Es ist eine wunderbare Einrichtung, die ein Thema herausnimmt aus allen Kulturkämpfen und Glaubenskriegen und stattdessen überzeugend demonstriert, was Sache ist. Es geht nicht um Politik. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind keine Behauptung und keine Ideologie. Die Wissenschaft sucht Tatsachen und – oft komplexe – Zusammenhänge. Im Nawareum zu finden sind die Destillate dieser Tatsachen, Forschungsergebnisse, die vor Ort umgesetzt werden in einleuchtende Bilder, schnell nachvollziehbare Experimente, sinnstiftende Erklärmodelle.

Das, was oft abstrakt formuliert ist und so weit weg scheint, kommt hier konkret nah: Wie jeder Einzelne Teil von Ursache und Wirkung eines weltumspannenden Systems ist, kann man immer wieder am eigenen Tun in Beispielmodellen in diesem Museum erkennen und erkunden. Sogar ins Innere einer Pflanzenzelle kann man marschieren. Hier werden Zusammenhänge der Natur sichtbar.

Moderner Passivbau

In diesem Museumsgebäude werden über drei Etagen und auf 1250 Quadratmetern in der Dauerausstellung Forschungserkenntnisse in die Praxis umgesetzt. Das Haus selbst ist ein moderner Passivbau, aus nachwachsenden Rohstoffen errichtet – was konsequent ist für ein Museum, das sich der Nachhaltigkeit und dem Klimaschutz widmet. Eröffnet wurde das Nawareum im März 2023 – die eingängige Kurzbezeichnung steht für „Nachwachsende Rohstoffe und regenerative Energien im Museum“. Organisatorisch gehört es zum Technologie- und Förderzentrum im Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe (TFZ) in Straubing, das wiederum eine Einrichtung des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus ist.

Das TFZ hat die Aufgabe, „vor allem für den ländlichen Raum die Bereitstellung und Nutzung von Energieträgern und Rohstoffen aus Erntegütern und Reststoffen aus der Land- und Forstwirtschaft voranzubringen“, wie es auf der Webseite heißt. Das Nawareum wiederum hat die Aufgabe, diese Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu bringen. Den Bau haben die Ministerien für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie sowie für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus finanziert, letzteres Ministerium kommt alleine für die Betriebskosten auf. 20 Mitarbeiter*innen kümmern sich um die Einrichtung, Direktorin ist die Paläobiologin Vanessa Roden.

Verblüffende Erkenntnisse

Das Museum ist neu – und entsprechend modern auch die Vermittlung. Wissenschaft als Abenteuerspielplatz: Jede einzelne Station bietet einen neuen Zugang zum Thema; so ist sowohl ein oft sehr spielerischer Zugang als auch die Verblüffung der Erkenntnis garantiert. Höhepunkte gibt es in der Ausstellung viele. Da ist beispielsweise die Herbarwand, eine Pflanzenwand: Erstaunliche und erstaunlich nutzbare Gewächse sind da ausgiebig zu studieren und man erfährt, wie aus dem Russischen Löwenzahn Naturkautschuk entsteht oder aus einer Pflanze irgendwann Hosen geschneidert werden können.

Welt und Umwelt sind hier aufbereitet wie ein dreidimensionales Bilderbuch. Schon zu Beginn zeigt eine dreiteilige Leinwand die Vielfalt und Gefährdung des Lebens auf der Erde. Danach die Weltraumsicht auf unseren blauen Planeten: faszinierend schön und zugleich bedroht. In solch geradezu cineastischer Opulenz geht es beständig weiter. Man wird der Nervenbahnen der Welt gewahr – Kunstwerke, die zeigen, wie alles zusammenhängt. Dargelegt ist, warum menschengemachte Effekte tatsächlich von uns zu verantworten sind und wie lang es dauert, bis eine Umkehr greift.

Man lernt, was Klima ist. Dass Klima nicht gleich Wetter ist. Man erfährt Geschichten und Schicksale von Menschen, die vom Klimawandel betroffen sind: wie zum Beispiel wegen des schrumpfenden Permafrosts das Haus einer Familie in Sibirien im auftauenden Schlamm versackt. Man stößt auf den Haufen Plastikmüll, den eine durchschnittliche Familie in Deutschland verursacht.

Besserung ist möglich

Das Nawareum macht viele Dinge bewusst, die beunruhigen und – hoffentlich – aufrütteln. Aber als Summenstrich steht unter allem: Eine bessere Welt ist möglich. „Wenn ich ein Gebäude wäre“, sagt verträumt eine Besucherin nach dem Rundgang, „wäre ich gerne ein Nawareum.“ Ein Gebäude mit Zucunft – an der bereits gefeilt wird: Voraussichtlich Ende 2026 wird als weiteres Domizil das unmittelbar benachbarte „Gärtnerhaus“ dazukommen. Es stammt aus dem Jahr 1790 und wird gerade für geplante 5,2 Millionen Euro restauriert. Die Museumspädagogik mit Erlebnisräumen soll dort hinein. Dieses Haus gehörte einst zu einem Kloster und stand mitten in einem Gärtnergebiet: Wie die meisten anderen altbayrischen Städte hatte auch Straubing einen Grüngürtel zur Versorgung mit Obst und Gemüse.

Das passt bestens zum Auftrag eines Hauses, das sich um die Möglichkeiten der Flora bemüht. Gleich neben dem alten Haus steht eine wunderbare, riesige Kastanie. Wie geht es ihr? Hat sie genug Wasser und wie schnell wächst sie? Reagiert sie auf das Wetter? Zu Antworten sollen Daten führen: Der ehrwürdige Baum wird mit Messgeräten überwacht und ist Teil des bayernweiten Projekts „Baum 4.0“ (www.baysics.de/derbaum4).

Beeindruckend ist auch der Garten rund um das Nawareum und dessen Architektur samt 79 Lärchenbaumstämmen, die wie die Säulen an der Walhalla wirken und das Thema „Waldlichtung“ verkörpern. Im Garten werden Jahr ums Jahr jene Nutzpflanzen angebaut und gezeigt, an denen gerade geforscht wird. Welche Pflanzen können gut mit Trockenheit umgehen? Welche liefern zugleich als potenzieller Energielieferant viel Blattmasse und dienen außerdem als Bienenweide?

So entdeckt man die Durchwachsene Silphie, die viel Biomasse produziert und deshalb als Energielieferant angebaut wird. Daneben die eiweißreichen Süßlupinen und das einem so bekannt vorkommende Aroma vom „Colakraut“ (Eberraute). Es ist ein Garten voller Rohstoffe für die Forschung und beispielhaft für die Zukunft. (Christian Muggenthaler)

Nawareum, Schulgasse 23a, 94315 Straubing. www.nawareum.de
 

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