Bannende Blicke gewahrt der Betrachter der Reichenauer Bibelillustrationen, aus Augen von Tieren, Engeln und Göttern. Und der Seher Johannes aus dem letzten Buch des Neuen Testaments beobachtet die Ausgießung des Zornes Gottes auf teuflische Ungeheuer. Vor 1000 Jahren gelang es einem Meister auf der Insel Reichenau im Bodensee, diesen apokalyptischen Vorgang von überzeitlicher Gültigkeit bildlich festzuhalten. Nach wie vor strahlt der Goldhintergrund, leuchtet das „Reichenauer Rot“ und flattern die wunderbar weißen Flügel und Gewänder. Wen wundert es, dass diese Buchmalerei von der Unesco zum Weltdokumentenerbe ernannt wurde?
Verbindung zum Iran
Deren Faszination hat man nicht immer empfunden. Die sogenannte Bamberger Apokalypse mit den oben erwähnten Motiven lag über Jahrhunderte relativ wenig beachtet in einem Schrank in der Sakristei von St. Stephan in Bamberg. Während der Säkularisation wurde sie hervorgeholt, und nur die Achatplatte auf dem Buchdeckel fand Wertschätzung. Sie wurde 1803 heruntergenommen und in die Schatzkammer der Münchner Residenz gebracht.
Sie ist in der Tat unschätzbar wertvoll, zeigt sie doch sehr alte Verbindungen des deutschen mit dem persischen Kulturraum, dem heutigen Iran, aus dem 7. bis 8. Jahrhundert. Für die Ausstellung Ausgezeichnet, die aktuell in der Bamberger Staatsbibliothek zu sehen ist, wurde sie ausgeliehen.
Noch eindrucksvoller ist freilich die eingangs beschriebene Seite aus der Apokalypse selbst, die in einer eigenen Vitrine präsentiert wird. Nur einmal innerhalb von 30 Jahren kann das Original aus konservatorischen Gründen der Öffentlichkeit gezeigt werden, in sehr gedämpftem Licht. Es gilt als einer der bedeutendsten Kunstschätze der Menschheit überhaupt, zusammen mit dem Perikopenbuch Heinrichs II., das einst zum Bamberger Domschatz gehörte, aber in München belassen wurde.
Die Bamberger Apokalypse – zum Jubiläum „25 Jahre Unesco-Weltkulturerbe Bamberg“ aus dem Tresor geholt – ist zwar vom Format her etwas kleiner, steht aber in der Mal- bzw. Schreibtechnik sowie vom inhaltlichen Ausdruck her dem Perikopenbuch in nichts nach, im Gegenteil: Gerade das Bild vom „Ausgießen der Schalen mit dem Zorn Gottes“ ist in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen.
Schon vor Jahren rühmte Karl Dachs von der Bayerischen Staatsbibliothek München den Gipfel der Ausgewogenheit in den Illustrationen der Reichenauer Handschriften, der in der Kunstgeschichte weder vorher noch nachher übertroffen wurde. Seit Menschengedenken hätten die Kunstepochen geschwankt zwischen Verzierung und Dynamik auf der einen beziehungsweise Sachlichkeit und ruhiger Strukturierung auf der anderen Seite.
Die Illustrationen in der Bamberger Apokalypse bieten einen idealen Ausgleich: Die dargestellten Engel und Drachen sind in starker Bewegung – den Rahmen der Miniaturen aber durchbrechen sie nie oder nur minimal-spielerisch. Ihre Gesten sind nicht an Raum und Zeit gebunden, sondern überzeitlich gültig, also „monumental“, wie man in der Kunstwissenschaft sagt.
Rätselhafte Entschleierung
Da ist es gar nicht nötig, dass man immer genau weiß, was eigentlich dargestellt wird, zumal es sich bei der Apokalypse um einen sehr rätselvollen, sogenannten hermetischen Text handelt, dem niemals jemand entnehmen konnte, was exakt am Ende aller Zeiten vor sich geht. Die „Entschleierung“, so die wörtliche Übersetzung von Apokalypse, vertieft eher das Rätsel.
Ähnlich verhält es sich mit dem Reichenauer Hohenlied Salomos, einer Sammlung von Liebesliedern, die mit keinem Wort auf Gott eingeht. Die Bebilderung aber zeigt grandiose Erlösungs-Szenerien zwischen Diesseits und Jenseits, ähnlich wie das ausgestellte Buch Jesaja.
Da wird das berühmte Lorscher Arzneibuch konkreter. Es unterweist erstmals in der Medizingeschichte des Mittelalters, mit welchen Heilpflanzen man Krankheiten heilen könne. Es stammt schon aus der Zeit um 800. Der Ausstellungsbesuch vermittelt also geistliches und körperliches Heil zugleich. (Andreas Reuß)
Information: Bis 28. Juli. Staatsbibliothek Bamberg, Neue Residenz, Domplatz 8, 96049 Bamberg. Mo. bis Fr. 9-17 Uhr, Sa. 9-12 Uhr. www.bamberger-schaetze.de/weltdokumentenerbe
Abbildung: Die Achatplatte vom Prachteinband der "Bamberger Apokalypse" stammt aus dem Vorderen Orient und wurde im 7. oder 8. Jahrhundert geschnitten. (Foto: Staatsbibliothek Bamberg)
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