Kultur

Das Personal des Stückes spielt nicht nur eine konfuse Geschichte, sondern diskutiert auch immer wieder darüber. Anton Nürnberg, Steffen Link, Liv Stapelfeldt, Luise Deborah Daberkow und Lena Brückner in den Rollen des Prinzen von und zu Nymphenburg, dessen Diener Marinelli, der Princess Amalia of Saxony, der Gräfin Orsina und Nailia. (Foto: Babriela Neeb)

22.11.2024

Auf doppeltem Boden

„Unsterblichkeit oder: Die letzten sieben Worte Emilia Galottis“ am Münchner Volkstheater. Reflexionen über lauter Wirrwarr

Schon während das Publikum in den Saal kommt, läuft ein Werbefilm über Schloss Nymphenburg. Am Ende sind auf der Bühne alle tot – mit Ausnahme von Nailia (Lena Brückner), der jungen „Krim-Tatarin“ mit Schamanismustick, die sich für eine Nachfahrin von Dschingis Khan hält. Eigentlich war sie ja nur als Blumenstreuerin engagiert bei der Traumhochzeit des Prinzen „von und zu Nymphenburg“ mit der „Princess of Saxony“ (Liv Stapelfeldt), die sich mit ihrer waschechten Biedermeierfrisur als PR-Botschafterin der Kulturhauptstadt Chemnitz entpuppt.

Stilechte Barockgotik

Egal, die Bühne (Lili Anschütz) ist zumindest schon mal ein kulissenhaftes Feudalambiente in stilechter Barockgotik mit geschmackvollen Wolpertinger-Applikationen. Weil die Braut allerdings in ihrem „limitierten Rucksack“ Ziegelsteine schleppt, kommt sie zu spät. Und so hat der Prinz (Anton Nürnberg) schon die Krim-Tatarin, die sich die K.-o.-Tropfen gleich selber verabreichte, in einem Schubkarren nach Nymphenburg entführt. Dort muss er nämlich mit seinem Diener Marinelli (Steffen Link) an der „Metapolitik“ arbeiten, also an Plänen einer „konservativen Revolution“, weshalb beide einen Ausflug nach Sylt machen, indes für die Princess kein Arbeitskreis mehr übrig ist. „Wer bin ich ohne Arbeitskreis?“, fragt sie verzweifelt.

Aber da kommen unversehens „die Russen“ ins Spiel. Sie schicken ihr ein Damoklesschwert zum Aufhängen an der Decke sowie einen Nussknacker, weshalb gleich zu Tschaikowsky-Musik getanzt wird. Stopp, das geht gar nicht, wo doch Putin vor dem Ukraine-Krieg ganz schamanistisch „im Blut junger Hirsche gebadet“ hat, wie uns die Krim-Tatarin als zuverlässige Quelle mitteilt. Kein Wunder bei all dem Hokuspokus, dass die Princess of Saxony am Ende Stigmata an den Händen hat.

Soweit ist ja alles bestens verständlich, aber um es dem Publikum nicht zu einfach zu machen, kommt das hinzu, was früher erst Sache der Interpreten war: eine Metaebene. Schließlich ist es seit der Postmoderne modern, dass die Kunstschaffenden aller Sparten die Metaebene gleich selber mit einbauen und zwar, das ist wichtig, „mit einem Augenzwinkern“. Da weiß man, was man hat.

Und so hat auch Arna Aley ihrem Stück Unsterblichkeit oder: Die letzten sieben Worte Emilia Galottis, das im Auftrag des Münchner Volkstheaters entstand, einen doppelten Boden gebastelt, über den sie sich zugleich lustig macht: Sie lässt die Personage nicht einfach nur eine wirre Geschichte spielen, sondern die Figuren immer wieder auch über deren Verlauf diskutieren und reflektieren. Folglich geben sie gern altkluge Weisheiten von sich und stellen fest, dass „unser Publikum“ der „sich infantilisierende Teil der Gesellschaft“ sei.

Wir sehen hier also offenbar einem Grüppchen von Influencer*innen zu, die dezidiert nicht Emilia Galotti spielen wollen, sondern stattdessen eine Adels-soap drehen oder Clips für Tiktok – wie man (und die Autorin) sich halt die heutige Jugend so vorstellt. Also lässt Regisseur Philipp Arnold das Bühnengeschehen auch über Livekameras zugleich auf Leinwänden verdoppeln, damit man merkt, hier geht’s um irgendetwas mit Medien. Ergebnis: kein unsterbliches Kunstwerk, aber ein gelungener Bühnen-Wolpertinger. (Alexander Altmann)

 

 

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