Kultur

Daniel Grossmann ist ein Dirigent, der auch anekdotenreich als Conferencier durch das Konzert leitete. (Foto: Christine Schneider)

08.10.2015

Ausgelassenes Neujahrskonzert

Nicht symphonisch-feierlich, sondern ausgelassen und fröhlich: Das Orchester Jakobsplatz begeistert mit einem Konzert zum jüdischen Neujahrsfest

Das Prinzregententheater war ausverkauft - am Ende war mit Klatschen, Singen, Beifall die Hölle los, die Sänger waren bestens gelaunt:  Nein, es waren nicht die legendären italienischen drei Tenöre, sondern die jüdischen. Und was Daniel Grossmann und sein Orchester Jakobsplatz München da als „Kantorenkonzert“ zum zweiten Mal aufgelegt haben, ist – nach dem Muster von Gemeinden in Israel oder den USA – eine Erfolgsnummer zum jüdischen Neujahrsfest 5776. Das war zwar schon Anfang September, aber bis zum letzten Abend des Laubhüttenfests haben die Kantoren viel zu tun. Jetzt waren sie wieder betont locker, Großmann zitierte die „Fledermaus“ mit „Es ist bei uns so Sitte“ - aber dirigierte erst mal die Offenbach-Ouverture zu „Pariser Leben“: mit viel leisem Charme, sehr hübsch bläserbetont, rasant, aber auch mit der richtigen Spur von altmodischem Plüsch. Jüdische Neujahrskonzerte erstarren nicht in symphonischer Feierlichkeit, sondern sind ausgelassen und immer auch ein bisschen sentimental. Jacques Offenbach, dessen Vater Kantor in Köln war, ist mit Arien und Einaktern für Grossmann schon immer eine Leitfigur für die Neujahrskonzerte gewesen, und ein bisschen Cancan gab es zum Schluss auch. Dazu hatten die drei Tenöre/Kantoren Michael Azoqui (Tel Aviv/Zürich), Boaz Davidoff (Haifa) und Moshe Fishel (Jerusalem/München) ihre vokalen Fähigkeiten nicht gebraucht. Vorsänger sind sie ja eigentlich in der Synagoge und beim Gottesdienst, niemand wird Kantor, der nicht auch sehr schön singen kann; wie Davidoff bearbeiten sie oft auch altes jüdisches Liedgut und wie Fishel schließen sie eine zweite Karriere als Opernsänger nicht aus. Besonders im zweiten Teil des Abends war das ein wahres Feuerwerk mit Koloraturen, stimmlichen Drahtseilakten und sentimentalen Evergreens. Es war wie Fasching und Neujahr in einem, und Daniel Grossmann brillierte obendrein als begabter Witze-Erzähler. Drei Tenöre gut bei Stimme, das erlebt man in der „echten“ Oper selten. Sie ließen auch Anklänge an die große Oper des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hören, Verdi, Puccini, aber auch Mendelssohn Bartholdy. Das Orchester gab Streicherschmelz und ausdrucksvolle Bläser dazu. Auch zu den eher poppigen Songs der letzten Jahrzehnte. Durch die nur den Insidern bekannten Komponistennamen war Grossmann ein kundiger Condottiere und Conférencier mit Anekdoten und Informationen. Und bei Boaz Davidoff konnte man nachvollziehen, warum etwa ein Yossele Rosenblatt, der bis in die Zwanzigerjahre hinein lebte, gefragt wurde, ob er denn nicht in Halévys Oper „Die Jüdin“ mitsingen wolle: sogar Caruso hat ihn bewundert. Ein paar Worte müssen noch sein zur Ankündigung der neuen Saison beim Orchester Jakobsplatz, einem der einfallsreichsten „in town“: Am 23. November blättert Grossmann anlässlich der 29. Jüdischen Kulturtage München ein immer noch weitgehend unbekanntes Thema von Emigration und Exil auf: „Shanghai“ mit Zeitzeugen, Bildern und einer musikalischen Erinnerung an Wolfgang Fraenkel, der die atonale Musik in China eingeführt hat. (Uwe Mitsching) Abbildung:
Das Orchester Jakobsplatz. (Foto: Robert Brembeck)

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