Kultur

Alexsandro Akapohi in "Petruschka". (Bild: Staatstheater Nürnberg/Jesus Vallinas)

23.12.2019

Baden im Beifallssturm

Nürnbergs neuer Ballettabend mit "Petruschka“ und „Sacre du Printemps“

So ausverkauft war das Nürnberger Opernhaus lange nicht. Das Publikum fühlte sich wie auf dem Staatstheater-Olymp: Der vergötterte Ballettchef Goyo Montero hatte zur Uraufführung eines doppelten Strawinsky-Abends geladen, die in kürzester Zeit genauso vergötterte Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz dirigierte. Mit „Petruschka“ und „Sacre du Printemps“ waren das zwei entscheidende Ballettgipfel der klassischen Moderne. Das Publikum fühlte sich damit für knapp zwei Stunden schon als Europas Kulturhauptstadt.

Der Abend fing fesselnd und  innovativ mit der Uraufführung von Douglas Lees „Petruschka“-Choreografie an. Lee, in England geboren, begann als Tänzer in London und Stuttgart , choreografiert seit 1999 erfolgreich in aller Welt. Das Publikum in der Stadt des Christkindlesmarkts wollte er nicht mit altrussischen Jahrmarktsszenen langweilen. Die Geschichte von der Puppe Petruschka, die sich in eine Puppenballerina verliebt und vom eifersüchtigen Mohren getötet wird, lässt Lee mit einer akrobatisch hereinstolzierenden Budenbesitzer-Figur (einem Magier, Gaukler – was auch immer) anfangen:  hoffmannesk und romantisch mit Zylinderhut, auch er im Einheitsschwarz und -Lila der ganzen und sehr  stilvollen Aufführung (Eva Adler).

Amorphe Puppenkörper

Schon bei diesem ersten Auftritt macht Lee wahr, was man sich von „Petruschka“- verspricht:  ganz von Musik beherrschte Bewegung. Das machen seine Nürnberger Tänzer und Tänzerinnen  wunderbar, äußerst exakt und immer wieder überraschend. Zumal eine im Raum schwebende Lichtlinie herrliche Versteckspiele ermöglicht. Oder das irrlichternde Spiel mit Glühlampen, das weite Teile der Choreografie beherrscht.

Lee kommt dabei ohne alle folkloristischen Elemente aus, sein Jahrmarkt ist eher ein Varieté im Stil des „Schwarzen Theaters“.  Und der Schluss: All die Strippenzieher und Kulissenschieber liegen wie tot auf ihren Brettern, aber Petruschka überlebt mit dem magischen Licht in der Hand.

Joana Mallwitz und die Staatsphilharmonie peitschen Strawinskys geniale Partitur aus der „Butterwoche“ des Petersburger Karnevals in vitaler Rhythmik extrem voran, es gelingen herrlich karikierende, aber auch ausdrucksstark lyrische Momente, wozu die Tänzer Alessandro Akapohi, Yeonjae Jeong, Lucas Axel und Edward Nunes amorphe, verdrehbare Puppenkörper sind. Lee erfindet immer neue Bewegungsmuster und Versteckspiele, auch wenn er in seine Lichteridee vielleicht allzu verliebt ist.

Armseliges Gewusel

Noch mehr bestimmte der rhythmische Pulsschlag der Musik das „Frühlingsopfer“ seit der Sensations-Uraufführung von 1913: zwischen Archaik und Skandal – grell, schrill und nach dem Eklat der ersten Vorstellung bald ein Triumph mit Ovationen für Strawinsky und den Choreografen Nijinsky. Heute ist das kalter Kaffee von gestern, und die Ballettmeister müssen sich immer neue Variationen für das alte Thema überlegen: Bärtige, alte Männer, die ein Opfer für den neu erhofften, erwachenden Frühling, für das Leben schlechthin suchen und finden.

Bei Goyo Montero scheint das in safranfarben-verwaschenen Strandklamotten (Angelo Alberto) eine Art Goa-Yoga-Gruppe zu sein: im Morgennebel am Indischen Ozean und im Ashram, mit rituellen Verrenkungen und spürbarer Altersmühe. Wenn Strawinskys brutale Rhythmen in die laschen Figuren fährt, bleibt es trotzdem ein armseliges Gewusel.

Alle scheinen  nach irgend etwas mit hochgereckten Armen zu suchen. Das schwebt dann wie ein Raumschiff vom Schnürboden ein: ein riesiger, eiserner, Scheinwerfer bewehrter Kreis, der aus unzähligen Lampen seine Lichterbotschaft, seine Suchstrahlen auf die Erde schickt, konvulsivische Zuckungen hervorruft und einen kollektiven Zusammenbruch.

Suche nach dem Opfer

Joana Mallwitz fordert dazu vom Orchester größtmögliche Kontraste, die Scheinwerfer suchen nach dem Opfer: Wer wird es sein? Gegenüber der brachialen Kraft von Strawinskys Musik und in dieser frenetischen Wiedergabe bleibt die Ausdruckskraft der Szene fast zurück, dieses Immer-Wieder-Anbranden des großen Corps de Ballet in wildem Aufbäumen und der Hingebung der Opferwilligen. Die gipfelt zunächst in einem faszinierenden Pas de deux, dann in einer langen Klimax des blonden Frühlingsopfers zwischen klassischen Sprüngen und erschöpftem Zusammensinken. Sofie Vervaecke wandert opferwillig von Hand zu Hand als wäre sie ein Aphrodisiakum. Der faszinierende Raumschiff-Ring scheint Energiespender und fordernde Gottheit zugleich zu sein. Letztlich übertreffen die Umsetzung der genialen Partitur durch das Orchester und die Ring- Idee von Eva Adler und Goyo Montero die in vielen Passagen gleichbleibende Choreografie. Am Ende aber können alle im Beifallssturm baden. (Uwe Mitsching)

Abbildung: Das Balletensemble des Staatstheaters Nürnberg in „Sacre“, choreografiert von Goyo Montero. (Foto: Jesus Vallinas)

Information: Weitere Aufführungen am 25., 28. Dezhember und am 12., 11., 17. und 26. Januar.

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