Kultur

Die Alte Hofhaltung ist bei diesem besonderen Totentanz Schauplatz der Begenung von Hexe und Tod. (foto: Andreas Reuß)

04.11.2024

Der Tod bläst Seifenblasen

In Bamberg wurde ein Totentanz von einem neuartigen „Bürgertheater“ professionell in Szene gesetzt

„Sie fahren nirgendwo hin, Sie sterben gerade“, zitierte der Schriftsteller Jan Weiler kürzlich einen Notarzt, nachdem er ihn gefragt hatte, ob er nicht vor der Behandlung noch schnell mal in die Redaktion fahren könne, um etwas zu erledigen. Genau solch ein Vorgang entspricht dem Schema der sogenannten Totentänze seit dem Mittelalter: Der Tod kommt, um jemanden abzuholen, die überraschte Person weist darauf hin, dass sie auf Erden noch dringend etwas zu tun habe, was der Tod aber nicht zulässt. Meist werden diese Abläufe in Texten mit begleitenden Illustrationen dargestellt.

In Bamberg gab es an diesem verlängerten Novemberwochenende im Zeichen von Allerheiligen und Allerseelen einen Totentanz in Form einer sehr gelungenen und eindringlichen Aufführung auf dem Domplatz und in der angrenzenden Alten Hofhaltung. Ein Geniestreich war die Idee der Autorin Tanja Kinkel, den ergreifenden Reigen zwischen Leben und Sterben zu zentralen Stationen der Bamberger Geschichte „tanzen“ zu lassen. Es ging also nicht um den im Mittelalter üblichen „Ständespiegel“, der alle Klassen der Gesellschaft gleichermaßen an den baldigen Tod gemahnte, oder um das Einzelschicksal eines „Jedermann“ wie in Salzburg, sondern um eine Art historische Gesamtschau, einen Blick in die Menschheitsgeschichte am Beispiel der Stadt Bamberg. Sie sollte mit ihrer zentralen Kirche nach dem Willen Kaiser Heinrichs II., der vor 1000 Jahren verstarb, eine Art Mittelpunkt der Welt sein.

Eine erste Station war dementsprechend die Gnadenpforte am Ostchor des Domes, wo sich ein großer Teil der Mitspielerinnen und Mitspieler aufstellte, bis der aschgraue Tod, ergreifend dargestellt von Schauspieler Felix d’Angelo, aus dem Hintergrund auf den Plan trat. Ansonsten wurden alle Figuren - ähnlich wie bei den Passionsspielen in Oberammergau – von Bürgerinnen und Bürgern Bambergs verkörpert. Am ehesten war noch Marta Famula als Leiterin des Bamberger Marionettentheaters mit dem Schauspielerberuf verbunden; die Figur des „Böhmischen Klopfers“ als Gehilfe des Todes wurde von ihr durchgehend als Puppe an Schnüren mitgeführt.

Der Schauspieltruppe folgte nach dieser ersten Aufstellung die Zuhörerschaft über den Domplatz, dessen Baustellen wiederum an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnerten, zum Fürstenportal an der Kathedrale. Dort repräsentierten Kaiser Heinrich und Kunigunde das elfte Jahrhundert - unter anderem verkörpert von Karin Dengler-Schreiber, in deren zahlreichen Schriften der Name „Kunigunde“ wohl schon ungezählte Male aufgetaucht ist. Wenn auch einst Kaiserin und Kaiser von Gottes Gnaden sowie heiliggesprochen: Auch sie ereilte der Tod.

Im Weiterwandern zum steinernen Podium vor der Alten Hofhaltung und dann in den Innenhof derselben gehen die Zuschauerinnen und Zuschauer, stets begleitet vom unheimlichen Tod und der passenderweise um sich greifenden Kälte, unwillkürlich in sich und reflektieren das Geschehene. Auch das ist in Bamberg einzigartig im Vergleich zu allen anderen Schauspielen dieses Genres, die üblicherweise sitzend verfolgt werden.   

In der Alten Hofhaltung wurde dann an mehrere Ereignisse aus der Geschichte Bambergs erinnert, unter anderem an die Hexenverfolgung. Überragend auch hier die Regie-Ideen von Nina Lorenz, die zusammen mit Jost Lohmann und Werner Kinkel (Produktionsleitung) sowie Nikola Voit (Kostüme) die Inszenierung gestaltete: Eine junge Frau tanzte wild, gleichsam brennend, auf einer Bühne, begleitet von Steinegeklapper, das authentisch nach dem Knistern brennender Hölzer klang. Die Beklemmung des Publikums lag in der Luft. Auch beim Weitergehen innerhalb der Alten Hofhaltung wurde kaum gesprochen. Freilich gedachte man auch des Mordes an dem Stauferkönig Philipp von Schwaben, der im Jahre 1208 genau dort geschah.

Natürlich mussten andere wichtige Ereignisse übergangen werden, etwa der Bamberger Hoftag von 1169, auf dem Kaiser Friedrich Barbarossa seinen Sohn Heinrich VI. zum König und späteren Kaiser wählen ließ, welcher dann Konstanze, die Tochter des Normannenkönigs Roger II. heiratete. Ihr Sohn war der berühmte Kaiser Friedrich II., der den Neubau des Bamberger Domes gefördert haben soll. Aber das hätte möglicherweise nur zur Verwirrung beigetragen.

Unmittelbar wichtig für Bamberg war die im Hauptportal der Neuen Residenz als prächtiger Auszug vorgeführte Herrschaft der barocken Fürstbischöfe, insbesondere von Lothar Franz von Schönborn. Passender hätte man es kaum darstellen können.

Gedacht wurde in der Person eines Stuckateurs weiterhin der ausgehenden Barockzeit. Da entstand im Bamberg des 18. Jahrhunderts eines der bedeutendsten Kunstwerke in Stuck überhaupt: der Totentanz in der Heiliggrabkapelle des Klosters Michaelsberg. Johann Georg Leimberger gestaltete dort ein Totengerippe, das Seifenblasen bläst. Insofern war es tatsächlich an der Zeit, neben dem oft beschriebenen Bamberger Reiter das berühmte Stuckbild zu würdigen.

Darüber hinaus wurde der bedeutende Bamberger Arzt Adalbert Friedrich Marcus nicht vergessen, genauso wenig wie die Soldaten des 20. Jahrhunderts. Und selbst die Migrant*innen des 21. Jahrhunderts kamen vor – immer mit angemessener musikalischer Begleitung unter der Leitung von Annette Schäfer, zusammen mit Johanne Scharnick an der Spielmannstrommel und Daniela Festi mit Blockflöte und Schellenkranz, die den grandiosen „Chor der Verstorbenen“ anführten.

Dass im Grunde, zumindest symbolisch, dieBürgerschaft den Bamberger Totentanz auf die Beine stellte, war nicht zuletzt an der Kulturfabrik KUFA – „Kultur für alle – unter der Leitung von Harald Rink abzulesen. Auf diese Weise trotzten sie durch diese Kulturveranstaltung eigentlich doch dem Tod, indem sie sich in eine überzeitliche Erinnerung einschrieben. Es wäre ein „Verlust“ – um den Titel des aktuell vielbesprochenen Buches von Andreas Reckwitz zu zitieren - wenn dieser Totentanz nicht wie geplant in zwei Jahren wiederholt werden könnte. War es doch heuer eine bravouröse Leistung aller Beteiligten. (Andreas Reuß)

Abbildungen:

Kaiser Heinrich II. und seine Gattin Kunigunde - von Bambergern dargestellt vor dem Fürstenportal des Domes. Auch die Adelung "von gottes Gnaden" bewahrte natürlich nicht vor der letztendlichen Begegnung mit dem Tod. Dessen Gehilfe, der „Böhmische Klopfer“, steht schon bereit - hier als Puppe, geführt von Marta Famula, der Leiterin des Bamberger Marionettentheaters. (Foto: Andreas Reuß)

Bamberg ist eine Gärtner- und Häckerstadt - da darf auch eine Marktfrau nicht fehlen: Hier die von einer heutigen Bambergerin verkörperte Gärtnerin Agnes Schwanfelder, die schon im 15. Jahrhundert das später legendär geworde "Götzzitat" erfunden haben soll, in dem einem geistlichen Chorherren klar machte, dass er "sie im Arsche lecken kann". (Foto: Andreas Reuß)

 

 

 

 

 

 

 

 

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