Kultur

Ottheinrich beim Gebet: Die Illustration stammt aus einem Chorbuch, das der streng-katholische Herzog Wilhelm IV. dem Neuburger schenkte. (Foto: BSV)

29.04.2016

Die Königin der Bibeln hält Hof

Eine hochkarätig bestückte Ausstellung zeigt Schloss Neuburg im Brennpunkt von neuem und altem Glauben

Das war pikant: Osiander hielt die Leichenpredigt – ein Reformator vor dem Sarg der erzkatholischen Susanna. Über das Leben der mit den Sakramenten des „alten Glaubens“ versehenen Pfalzgräfin verlor er nicht viele Worte. Sie schlafe ja nur, bis zur Auferstehung – wortgewaltig argumentierend tröstete er die Trauergemeinde im Schloss Neuburg, dass die Verblichene kein Fegefeuer zu fürchten habe: Das, wovon die Papisten „schreien“, wetterte der Prediger, sei nichts als „Unwahrheit“, aus dem „finstern Dunkel der menschlichen Vernunft“ erdichtet. Susannas Brüder haben das wohl anders gesehen: Sie war eine Wittelsbacherin, der Großvater Albrecht III. erhielt sogar den Beinamen „der Fromme“. Und diese Verwandtschaft pochte auf ein „ordentliches“ Begräbnis in München – der Witwer kam nicht. Er war nämlich ein prominenter Glaubensabtrünniger: Ottheinrich von Neuburg-Pfalz. Dieser hatte in seinem ständig erweiterten Herrschaftssitz an der Donau sogar den ersten Kirchenraum auf deutschem Boden überhaupt errichten lassen, der eigens für das reformatorische Ritual ausgestattet wurde. Auf der Kanzel eben dieser Kapelle stand mehrmals der legendäre Nürnberger Prediger Osiander: Ottheinrich hatte ihn geholt, damit er in dem kleinen Fürstentum eine neue Kirchenordnung einführt.

Revolutionäres aus Rom

Und dieses (auf Wunsch des Pfalzgrafen doch recht mild-) revolutionäre Werk kommt nun ausgerechnet aus dem Vatikan zurück an seinen Entstehungsort: als Exponat der Ausstellung Kunst und Glaube, die ab 12. Mai in Schloss Neuburg zu sehen ist. In dieser Schau steht aber nicht Osianders Werk im Zentrum, sondern die legendäre Ottheinrich-Bibel, die „Königin der Bibeln“. Diese bilderreiche, „millionenschwere“ Handschrift ist in jüngerer Zeit fast populär geworden – doch Neuburg zeigt sie in vermutlich unwiederbringlicher Art und Weise: Erstmals sieht man alle Teile wieder gemeinsam – im 19. Jahrhundert wurde der voluminöse Band geachtelt, die Bayerische Staatsbibliothek hatte 1950 drei der Bände und 2007 die anderen fünf erstanden.

Am authentischen Ort

Und noch mehr: Programmatisch ist die Ausstellung „Ottheinrichs Prachtbibel und die Schlosskapelle Neuburg“ untertitelt. Es geht um eine Zusammenschau am authentischen Ort, um die Einordnung beider herausragender Kunstwerke in einen kunst-, religions- und politischen Kosmos, der geprägt ist vom Aufbruch in eine neue Zeit. Gut 100 Jahre umspannt diese Epoche: von ungefähr 1430 an, als Ludwig der Bärtige diese Handschrift mit der deutschen Übersetzung des Neuen Testaments beauftragte – bis hin zu Ottheinrich, der um 1530 die Vollendung des Bildprogramms anging. Vom katholischen zum protestantischen Besitzer – und Connaisseur des es jeweils zeitgenössischen und innovativen Kunststils: Wie änderte sich das Bildprogramm in dieser Zeit? Wie ist der Prachtband in die Geschichte bebilderter Bibelproduktionen jener Zeit einzuordnen? Welche Brüche, welche Traditionen lassen sich erkennen? Vom „Meister der Worcester-Kreuztragung“ bis zu Matthias Gerung: Wer waren die Künstler dieser wertvollen Ottheinrich-Bibel und wo begegnet man ihnen außerdem? Welche unterschiedlichen Stilepochen lassen sich in diesen Jahrhundertwerk ausmachen? Wie hängen das Bildprogramm in der Schlosskapelle und jenes der Prachtbibel und anderer Bibeln zusammen? Fragen über Fragen stellt die Forschung – viele (zum Teil erst in jüngerer Zeit erarbeitete) Antworten geben nun die Ausstellung und ihr begleitender Katalog. 150 Exponate von 43 Leihgebern aus sieben Ländern – „ich habe noch nie so viele Leihverträge unterzeichnet“, sagt Bernd Schreiber, der Präsident der Bayerischen Schlösserverwaltung. Stolz ist er auf seine Kuratoren Brigitte Langer und Thomas Rainer, die mit ihrem schlüssigen Konzept (und Hartnäckigkeit) selbst Leihgeber in Chicago und London überzeugen konnten, ihre Schätze auf Reisen zu schicken um sie in einem so konzentrierten örtlichen, zeitlichen und kunsthistorischem Zusammenhang eingebettet zu sehen.

Subtile Warnung

Allein 60 Handschriften werden präsentiert – ein Jahrhundert deutschsprachiger Bibelhandschriften wird ausgebreitet. Man sieht auch jenes sorgsam illustrierte Chorbuch, das der streng-katholische bayerische Herzog Wilhelm IV. seinem Vetter Ottheinrich 1538 schenkte, als dieser schon mit dem neuen Glauben liebäugelte: Es zeigt den Pfalzgrafen kniend mit aufgeschlagenem (Gebet-?) Buch – eine Illustration am Fuß zu einer katholischen Totenmesse. Das war schon eine unverhohlene Mahnung, auf dem rechten Weg zu bleiben – nützte aber nichts: Vier Jahre später trat Ottheinrich offiziell zum Protestantismus über. Das Buch behielt der Sammler freilich. Die Kuratoren reichern die Schau der Buchpreziosen an mit Tafelmalerei, Skulpturen und Schatzkammerstücken: zum Beispiel aus dem katholischen Münster Ingolstadt und evangelisch-katholisches Abendmahlgerät aus Augsburg und Regensburg. Musealer Mammutaufwand – in Neuburg, wo im Schnitt 30 000 Besucher alljährlich durchs Schloss gehen: „In München würden wir vermutlich mehr Besucher in eine solche Ausstellung ziehen“, räumt Bernd Schreiber ein. „Aber zum einen sind wir als ihre staatlichen Hüter all unseren Häusern der bayerischen Geschichte im Land verpflichtet. Zum anderen wollen wir die Besucher auf eine umfassende Zeitreise mitnehmen. Das geht nicht allein intellektuell, da müssen Emotionen geweckt werden. Und das geht weniger in einem white cube. Schloss Neuburg dagegen ist ein ganz besonderer Ort, der wie von selbst mit all den Exponaten zu sprechen scheint.“

Kapelle angefeuert

Drei Säle im Schloss bespielt die Ausstellung – zwei davon räumen die Staatlichen Gemäldesammlungen dafür auf Zeit; dort sind die optimalen Bedingungen für die konservatorisch heiklen Exponate gegeben. Die Schlosskapelle wurde restauratorisch behandelt – unter anderem hat man den von der italienischen Renaissance übernommenen Rotmarmor wieder „angefeuert“. Die Kapelle wird nach der Ausstellung wieder für Gottesdienste und Konzerte genutzt – und spielt eine maßgebliche Rolle im kommenden Jahr, wenn Neuburg zum Reformationsjubiläum eigene Veranstaltungen durchführt. (Karin Dütsch) Information: „Kunst und Glaube“, 12. Mai bis 7. August. Schloss Neuburg, Residenzstraße 2, 86633 Neuburg an der Donau. Täglich 9-18 Uhr. www.ausstellung-neuburg.de Abbildungen:
Neuburg an der Donau, ein Herrschersitz mit Tradition: Es sind noch Fundamente einer Stadtburg aus dem 13. Jahrhundert vorhanden. Ottheinrich ließ die Anlage sukzessive zu einem bedeutenden Renaissanceschloss um- und ausbauen. Herausragende Rolle in der Ausstellung spielt die Schlosskapelle (links): Sie ist der erste Kirchenbau Deutschlands, der ganz dem protestantischen Ritual und Bildprogramm gewidmet ist.     (Fotos: BSV)


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