Kultur

Phädra (Bibiana Beglau) in der Kältekammer der Gefühle. (Foto: Matthias Horn)

12.05.2017

Dramaturgischer Turbolader

„Phädras Nacht“ am Münchner Residenztheater thematisiert Fremdenhatz in Cyberpunk-Ästhetik

Gleich die erste Szene ist der Hammer: Dreckverschmiert, mit goldenen Cowboystiefeln und sonst splitternackt, tritt Bibiana Beglau auf. Die Phädra, die sie konvulsivisch auf die Bühne zuckt, ist eine suchtkranke Psychotikerin mit Wahnvorstellungen. Als verletzte, wie aus sich selbst herausgestülpte Rasende fügt diese flackernde Megäre sich passgenau ins Endzeit-Ambiente: Annette Murschetz’ kongeniales Bühnenbild beschwört, wie Albert Ostermaiers Dithyramben, die Cyberpunk-Ästhetik der 80er-Jahre, jenes leicht frivole Spiel mit den Reizen von Verfall und Untergang. Da haben sich also die zwei Richtigen gefunden: der bekennende Großpathetiker Ostermaier als Autor und der vitale Untergangsromantiker Martin Kusej als Regisseur. Der Dichter und der Intendant entrollten in dessen Residenztheater Phädras Nacht als düsteren Mythen-Prospekt mit brandaktuellen Gegenwartsbezügen.

Mordender Nazi-Pöbel

Die sozusagen zündende Idee besteht darin, den antiken Sagenstoff mit den Themen Flüchtlinge, Afghanistan und Rechtsextremismus kurzzuschließen, dass es nur so schnalzt. Bei Ostermaier ist Griechenheld Theseus (Aurel Manthei als Tötungshandwerker mit posttraumatischer Störung) ein deutscher Offizier im Afghanistan-Einsatz. Den nutzt er auch für seine Tätigkeit als Heroingroßhändler, und außerdem fungiert er als „Führer“ der Neonazihorden, die die Macht auf Deutschlands Straßen übernommen haben, wo es folglich verwüstete Stadtviertel und No-Go-Areas gibt. Seiner in der Heimat vereinsamten Gattin Phädra schickt Theseus den Afghanen Hippolyt (Nils Strunk), der ihm das Leben gerettet hat und den er darum „adoptierte“. Prompt verliebt sich Phädra in diesen Flüchtling, der aber seinerseits ihre Tochter (Pauline Fusban) liebt. Angestachelt von ihrem Psychiater Asklepios (Thomas Gräßle), der auf sie scharf ist, beschuldigt die verschmähte Phädra den Afghanen fälschlich, sie vergewaltigt zu haben, woraufhin der vom tobenden Nazi-Pöbel ermordet wird. Ja, das ist dick aufgetragen, aber es kommt noch dicker, weil diese Sagen-Version fürs Blockbuster-Zeitalter in Bilder von betörender Monumentalität gegossen wird, deren postapokalyptischer Magie man sich nicht entziehen kann. Da sieht man einen grauen Flur mit leeren Türrahmen, und der Boden dieser Industrieruine ist bedeckt mit dicken Eisschollen, auf denen die Akteure wackelnd herumstaksen. Den Gegenpol zur grellsymbolischen Kühlkammer der Gefühle bildet die Feuer-Metaphorik, die den Text durchzieht – und gelegentlich werden brandgefährlich wirkende Benzinkanister angeschleppt, mal von Phädra, der notorischen Selbstmordkandidatin, mal von glatzköpfigen Neonazis. Der Eindruck, dass auch dieses gesamte „Projekt“ (das eigentlich ein waschechtes Theaterstück ist) waghalsig zündelt, will sich indes nicht ganz verflüchtigen: Sind die klangvoll hallenden Verse, die erschreckend faszinierenden Bilder, die von der Fremdenhatz erzählen, nicht eine Mythisierung, ja Ästhetisierung von Gewalt und Hass, auch wenn sie inhaltlich ganz deutlich Position beziehen gegen die im Text als „Mob“ auftretenden Rassisten? Werden die aktuellen politischen Motive hier nicht nur als effektvolle Schauer-Kulisse und dramaturgischer Turbolader benutzt? (Alexander Altmann)

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