Von der Allgemeinheit weitestgehend unbemerkt schlummert in München ein wahrer Schatz: die beeindruckende Abgusssammlung klassischer Bildwerke. Doch wer einmal das Gebäude an der Katharina-von-Bora-Straße 10 betreten hat, der weiß, wovon die Rede ist. Da stehen sie, ganz in Weiß, imposant, zum Teil riesengroß, in den noch viel größeren Lichthöfen jenes Gebäudes, das heute das Zentralinstitut für Kunstgeschichte und die Graphische Sammlung beherbergt – und eben das Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke. Die Sammlung ist 150 Jahre alt. Natürlich befand sich das Museum ursprünglich nicht an diesem Ort und hatte zudem andere Bestände.
Zunächst war es eine wissenschaftliche Sammlung zur Erforschung von Objekten der griechisch-römischen Antike, angehängt an die Ludwig-Maximilians-Universität in München. Daraus wurde bis heute ein eigenständiges Museum mit rund 2000 Abgüssen von zumeist berühmten griechischen und römischen Skulpturen, Reliefs und Objekten der Kleinkunst aus der Zeit vom 7. Jahrhundert vor bis zum 5. Jahrhundert nach Christus. Nach wie vor ist das Abgussmuseum mit dem Institut für Klassische Archäologie der Universität vernetzt.
Schon kurz nach seiner Gründung im 19. Jahrhundert öffnete das Abgussmuseum seine Pforten für die Öffentlichkeit und gehörte damit zu den ersten wissenschaftlichen Sammlungen in München, die frei zugängig waren.
Gips und 3-D-Druck
Die Ausstellung zum Jubiläum bietet nun nicht nur die Möglichkeit, die wechselvolle Geschichte der Sammlung vorzustellen, die im Zweiten Weltkrieg nahezu zerstört wurde und nach dem Krieg erneut aufgebaut werden musste, sondern erlaubt auch einen Blick hinter die Kulissen. Es gilt die verschiedenen Techniken zu erforschen: vom klassischen Gipsabdruck bis zum 3-D-Drucker mit allen ihren speziellen Vor- und Nachteilen. Man sieht, welche Schwierigkeiten der Transport der fragilen Gipse bereitet, welche die Reinigung.
Doch vor allem ahnt man, welch großartige Möglichkeiten Abgüsse eröffnen. Man denke nur an originale Skulpturengruppen, deren einzelne Figuren heute in verschiedenen Museen verwahrt sind. Man wird sie nie mehr – zumindest nie mehr auf Dauer – zusammenführen können. Anders in ihren Abformungen in Gips: Da stehen sie dann vereint, während die Originale Welten und Meere trennen. Wunderbar kann man auch fehlende Teile am Abguss ergänzen, um eine Vorstellung von einst unversehrten Figuren zu vermitteln. Und nicht zuletzt: Einige der Originale sind heute verloren, sei es durch Kriege, sei es, dass sie auf dem Kunstmarkt „versickert“ sind. Erhalten sind sie dann mitunter wenigstens als Abgüsse und sind somit nicht gänzlich verschwunden.
Viele Forschungsprojekte wurden in der Sammlung bereits erfolgreich durchgeführt – so zum Beispiel zur einstigen Farbigkeit der Originalobjekte. An diesen verbieten sich solche Experimente – Abgüsse hingegen sind dafür das optimale Medium.
Um in der Ausstellung die Abgüsse in den richtigen Zusammenhang zu stellen, haben sich die Kuratoren eine Reihe von Leihgaben eingeladen, allerdings weniger andere Gipsfiguren – von diesen hat das Museum selbst mehr als genug, nachdem zum Beispiel seit den 1980er-Jahren eine beachtliche Kollektion aus dem Metropolitan Museum of Art in New York als Dauerleihgabe in München verwahrt wird. Aus der Universitätsbibliothek oder der Monacensia aber kamen beispielsweise historische Bände, um korrespondierende Abbildungen zu zeigen. Fotos ergänzen die Abgüsse, sei es, dass sie den Originalstandort auf einer griechischen Insel zeigen, sei es –, und das mit einem Augenzwinkern –, dass sie heutige Abgüsse in griechischen Restaurants oder Vorgärten zeigen.
Die Ausstellung überzeugt durch Vielseitigkeit. Anfassen ist an vielen Stellen erlaubt, ja sogar gewünscht: Wie fühlt sich zum Beispiel Gips im Vergleich zu Silikon an? In Zusammenarbeit mit Studenten der TU sowie der LMU wurden verschiedene digitale Projekte entwickelt. So kann der Besucher selbst einen Grabstein nach eigenem Geschmack „anmalen“ oder eine griechische Schönheit wieder zusammensetzen – Tablet und App sei Dank! Die Kuratoren haben auch an Kinder gedacht: „Legionär Linus“ und die „Archäologin Lisa“ führen zwischen den zum Teil meterhohen Gipsfiguren hindurch zu verschiedenen Mitmachstationen. (Cornelia Oelwein
Abbildungen:
Abgüsse der „Schlafenden Ariadne“ und die Replik einer Knabenstatue („Narkissos“), die sich im Pariser Louvre befindet. (Fotos: Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke München/Roy Hessing)
Information: Bis 24. Juli. Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke, Katharina-von-Bora-Straße 4, 80333 München. Mo./Mi./Fr. 10-18 Uhr, Di./Do. 10-20 Uhr.
Das Thema in UNSER BAYERN
Lesen Sie dazu den umfangreichen Beitrag „Dünnhäutige Helden“ in Unser Bayern, Ausgabe September/Oktober 2019. Unser Bayern ist die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung.
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