Kultur

Das Publikum ist in dieser Inszenierung mittendrin im virtuellen Bühnenraum – und auch ganz nah dran am „Tier“ (Luca Rosendahl). (Foto: Konrad Fersterer)

25.10.2024

Einen tierischen Schutzraum virtuell durchstreifen

Kafkas „Der Bau“ am Staatstheater Nürnberg

Der junge Mann, der einem am Eingang freundlich die Hand gegeben hat, wird anschließend im Extended Reality Theater (XRT) des Schauspielhauses Nürnberg das Tier spielen, das sich seinen Bau eingerichtet hat – mit Esstisch, Schachspiel, altmodischem Häcksler und „1000 Schritte vom Eingang entfernt“, wie es heißt.

Dort spielt, was Nils Corte und Lena Rucker aus Franz Kafkas vorletzter und nicht vollendeter Erzählung Der Bau gemacht haben: besonders mit den Mitteln der hybriden und digitalen Theaterformen, für die sich das Staatstheater sukzessive technisch ausrüstet.

Mittendrin mit Brille

Und so bekommen Besucher*innen eine Brille über den Kopf gestülpt und zwei Controller in die Hand, nach einer Einweisung wird man im Raum verteilt, um mitzuerleben, wie das Tier (Luca Rosendahl in aller wünschenswerten Eindringlichkeit) seinen Bau errichtet und absichert – denn von irgendwoher macht sich ein Gegner an es heran.

Rosendahl spricht den Text in Form eines inneren Monologs. Das XRT lässt dazu einen von vielen Quadern durchschwirrten Bau entstehen. Dieser hat nichts Unterirdisches, ist auch nicht mit Moos bewachsen: Vielmehr „zimmert“ das Tier aus virtuellen Tetrisblöcken ein Gebäude, nach dessen Teilen man die Hand ausstrecken und durch die man hindurchgreifen kann. So typisch kafkaesk der Text und die Vorstellung vom dort beschriebenen Bau auch sind: Diese theatrale Wahrnehmungsebene ist eher technisch geprägt und keineswegs schaurig unterirdisch. Auch wenn das Tier einzelne Quader in den Häcksler stopft und eine rote Flüssigkeit herauspresst: Blut eines Gegners oder eben nur Fruchtsaft, der auch an der Bar zum Drink verarbeitet wird.

Hautnahes Erleben fehlt

Man ist eingeladen, mit dem Blick durch die Spezialbrille herumzulaufen durch die herumschwirrenden Luftschlösser oder auch rote Linien und Schriftzüge hinein zu zeichnen, durch die man hindurchgehen kann. Diese Immaterialität ist interessant, aber Kafkas Imagination von diesem subterranen „Burgplatz“ des Tieres wird nicht erzeugt. So reicht es nicht, das Publikum aktiv zu machen und die Obsessionen des Tieres hautnah miterleben zu lassen: die Schreie aus weiter Ferne, die näher kommenden Schritte, alles das, was ein Jahr vor Kafkas Tod wie ein imaginäres Vermächtnis erscheint. Auch den Aufschrei: „Es kommt jemand heran!“ oder das klingelnde Telefon, an dem sich dann doch wieder keiner meldet.
Trotz dieser Mängel gebührt der Wahl des Textes großes Lob. Der könnte noch viel mehr Extended Reality brauchen, ganz in Kafkas Sinn. (Uwe Mitsching)

 

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