Kultur

Blick auf das Zentrum der Ausstellung mit einer Installation aus den Buchstaben SPEER. Diese Konstruktion dominiert den Raum so wie einst Speers propagandistische Sicht die öffentliche Meinung. Die Außenseiten der Buchstaben zeigen überlebensgroße Fotos aus Speers Leben. (Foto: Museen der Stadt Nürnberg, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände/Stefan Meyer)

05.05.2017

Gefaktes Alibi

Eine Ausstellung in Nürnberg entlarvt die Selbsttäuschung des Nazi-Elite-Funktionärs Albert Speer

Ein düsteres, zugleich symptomatisches Kapitel deutscher Ideologie blättert das NS-Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg mit seiner neuen Ausstellung auf: In Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit geht es um den „Freund und Feind des Führers“. Und um die Entzauberung eines Mythos, den der Star-Architekt, Rüstungsminister und Chef-Logistiker des Nazi-Reiches mit seiner nach der Entlassung aus dem Kriegsverbrechergefängnis in Spandau erfundenen Legende vom „verführten Deutschen“ selbst inszeniert hatte. Das NS-Dokumentationszentrum auf dem einstigen Reichstagsgelände, wo bei den Nürnberger Reichsparteitagen alljährlich Hitler Heerschau hielt, ist wohl der geeignetste Ort für diese Ausstellung, denn dort, auf dem Zeppelinfeld, inszenierte Albert Speer mit seiner Architektur die Macht Hitlers – freilich auch den bis heute sichtbaren Größenwahn und die Faszination der Gewalt, die von diesen Bauten ausging. Sie sind bis heute das größte erhaltene Ensemble an NS-Architektur.

„Verdrängungsdeutscher“

Die Ausstellung in der monumentalen Kongresshalle entfaltet das Bild des typischen „Verdrängungsdeutschen“, der nach 1945 nicht wahrhaben wollte, dass er nicht Opfer, sondern Täter oder Mittäter eines Systems war, das Deutschland erst in die Barbarei und dann in den Abgrund führte. Aber es geht der Ausstellung nicht um eine sowieso nicht zu bewerkstelligende Vergangenheitsbewältigung, sondern um die Vergegenwärtigung des Vergangenen, um die Verantwortung, die diese Vergangenheit Deutschland und den Deutschen bis heute auferlegt. Genau dieser Verantwortung stellte sich Albert Speer (1905 geboren) nicht, als er bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, die er, wie alle anderen Angeklagten auch, als „Siegerjustiz“ betrachtete, sich für „nicht schuldig“ erklärte. Später, nach Abbüßung der 20-jährigen Einzelhaft und seiner Entlassung 1966, sprach er in seinen millionenfach verkauften Erinnerungen (1969), aber auch in seinen Spandauer Tagebüchern (1975) davon, „unschuldig schuldig“ geworden zu sein. Damit artikulierte Speer ein Zeitgeistgefühl, mit dem sich viele Deutsche dieser Generation gleichsam selbst entlasteten und sich damit mit dem „Gentleman-Nazi“ Speer identifizierten, der von sich sagte: „Ich hätte wissen können, wenn ich hätte wissen wollen.“ Die Ausstellung widerlegt mit zahlreichen Quellen, Dokumenten, Bildern und Hörstationen mit Originaltönen diese Selbsttäuschung, konterkariert Speer und seine vom vorherrschenden Zeitgeist getragene Selbsteinschätzung der Deutschen, die erst in den 1980er Jahren von Historikern entkräftet wurde und der kritischen Aufarbeitung der Geschichte wich. Wenn man so will, war Speer der erste „Postfaktiker“, der sich mit seinen „Fakes“ aus der Geschichte „herauserzählte“ und sich mit diesen Distanzierungen rechtfertigte, ja, auch ein Alibi ausdachte.

Manager der Macht

Neben einer meterhohen Buchstaben-Installation zum Entree, die das Logo S P E E R selbst zu Wort kommen lässt, sind es vor allem neun Schreibtische mit Monitoren, an denen sich Besucher von Historikern, überlebenden KZ-Opfern, Zeitzeugen, Filmemachern und Publizisten das „Selbstvermarktungs- und Mediengenie Speer“ erklären lassen können. Aus diesen Bausteinen entsteht mosaikartig das Bild eines Technokraten und Managers der Macht, der wie viele andere Mitglieder der NS-Funktionseliten nur seine Aufgabe erledigte, seine Arbeit erfüllte, also pflichtmäßig – wie der „Schreibtischtäter“ Eichmann – seinem „Job“ nachkam, den er nie hinterfragte. So trug Speer zur „Entschuldung einer Nation“ bei. Als er 1981 in London bei einer PR-Reise für sein Buch Der Sklavenstaat starb, hatte der geachtete Promi-Nazi vielen Deutschen mit seinem gefakten Alibi gleichsam ein Alibi geliefert, sich der Verantwortung zu entziehen. Mit diesen Fake-News Speers räumt die Ausstellung in Nürnberg gründlich auf. (Fridrich J. Bröder) Information: Bis 26. November. NS-Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Bayernstraße 110, 90478 Nürnberg. Mo. bis Fr. 9-18 Uhr; Sa./ So. 10-18 Uhr. www.museen.nuernberg.de/dokuzentrum Abbildung:
Albert Speer vor Journalisten nach seiner Haftentlassung 1966.   (Foto: Museen der Stadt Nürnberg)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.