Kultur

Wie der Lüster gehört auch das Gespenst Sir Simon (Thomas Lichtenecker) zum Inventar von Schloss Canterville. (Foto: Tobias Melle)

30.08.2019

Ghost-Opera auf dem Catwalk

Vergnügliche Überraschung: Dominik Wilgenbus inszeniert mit der Münchner Kammeroper „Das Gespenst von Canterville“

Auf ihr Leichen, schwingt euer bleiches Gebein!“ Damit das wie geschmiert geht, gibt es „Rudi Ratschs Anti-Rost-Öl“ – zumindest bei dieser musikalischen Skelett-Schau im Nymphenburger Schloss. Dort spielt wie jeden Sommer die Kammeroper München und macht diesmal aus Oscar Wildes Das Gespenst von Canterville ein wahres Vergnügen. Es ist eine Überraschung: Salome von Wilde kennt man, aber da hört man die Musik von Richard Strauss. Das Programmheft sorgt für Klarheit: Es handelt sich dabei um keine Oper, sondern um Musiktheater; das Libretto entstand „nach“ Oscar Wilde, ansonsten stammt es von Regisseur Dominik Wilgenbus. Und die Musik ist ein Pasticcio von Purcell und Dowland bis Gershwin.

Ein Konsul aus New-Englands Boston kauft ein Castle in Merry-old-England – samt Schlossgespenst. Das heißt Sir Simon, hat anno 1575 seine Frau umgebracht und spukt seither im Familienstammsitz Canterville herum. Das stört aber die neureichen Amis überhaupt nicht, sie helfen dem Knochenmann sogar mit Schmieröl aus.

Viel Bühnenbild braucht man im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg für all das nicht nicht: Lüster, Stuck, Parkett – alles vorhanden. Deshalb spielt man auf einem weiß verkleideten Laufsteg und das Orchester sitzt mittendrin im Saal. Dirigentin Johanna Soller hat problemlose Übersicht. Mächtig droht die Pauke von Emiko Uchiyama, wenn’s spukt oder gewittert.

Dominik Wilgenbus und der Musikarrangeur Alexander Krampe sind Spezialisten für derlei Settings und haben nach bester barocker Sitte eine Pastete gebacken: ernst und lustig, flott und elegisch umflort – auch dazu würde einem wieder Richard Strauss einfallen.

Der erste, „helle“ Teil gibt allerhand aufgeklärten, amerikanischen Neureichen-Spaß her. Der zweite, „dunkle“ Teil verschiebt die Akzente zu barockem Lamento, zu Todesgedanken und ätherischer Verklärung. Entsprechend und meist passend hat Krampe die Musik für Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung gefunden.

Nach fast drei Stunden endet die Ghost-Opera ganz im Stil der barocken Meister seit Monteverdi mit einem wunderschönen Liebesduett: Der echte englische Graf und die amerikanische Konsulstochter kriegen sich – und Sir Simon ist endgültig in der Gruft verschwunden.

Schade, findet auch die schrullige Kammerzofe (Viola von der Burg). Denn Thomas Lichtenecker hat das Gespenst mit den bestechenden, präzisen Farben seines Countertenors herrlich kurios und leichenblass („ohne schwerste Qual“) aus dem barocken Grab geholt: in Pluderhosen und Nachthemd, das leider im Kostümfundus von Uschi Haug allzu oft vorkommt. Zu sanften Gambentönen zieht Sir Simon schließlich das Kettenhemd an, wenn es zu einem Kulturen-Clash, zu einem Rencontre zwischen dem adligen Sir und den Tea-Party-Revoluzzern kommt.

Das ist einer der Höhepunkte dieses Abends, der eine Spurensuche in Dowlands elegischen Liebesschwüren und Gershwins Pariser Verkehrslärm ist und viel Musicalspaß neben die große, ernste Oper stellt, das Künstlerdrama neben die neureiche Bande von Ignoranten. So ganz genau wussten Wilgenbus und Krampe nicht, auf welche Seite sie sich da schlagen sollten, aber ihr Sängerensemble spielt, singt mit Lust und Effekt auf dem schmalen Catwalk, kriegt auch die Kurve bei manch mühsamem Gereime („Sie konnte nicht mal kochen / Da hab ich sie erstochen“). Krampes Orchesterfassung hat schöne, mitreißende, schildernd-schillernde Farben. Und am Ende ist auch ein bisschen Bach dabei, wenn das Gespenst in stiller Ruh’ unter die Grabplatte sinkt. (Uwe Mitsching)

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