Kultur

Roman Roth, Nicholas Reinke, Mehmet Sözer, Enno Haas, Mehmet Sözer, Pascal Fligg, Nicholas Reinke und Roman Roth lassen es gewaltig stürmen. (Foto: Arno Declair)

04.11.2016

Hobbits und Aliens

Shakespeares „Sturm“ am Münchner Volkstheater

Hier geht’s ja zu wie bei der „Wacht am Rhein“: Donnerhall, Sturmgetös und Wogenprall allerorten! Da zucken Blitze, Segel flattern, Nebel wallen. Da ragen geborstene Masten auf, und im Gegenlicht bewegen sich die schwarzen Silhouetten von Männern mit Südwestern, die in Seilen hängen. Aber das kann er halt, der große Oberammergauer Zampano und Münchner Volkstheater-Intendant Christian Stückl: einen Schiffbruch inszenieren, dass es auch ohne die filmische Trickserei der Special Effects wie von Steven Spielberg aussieht – also wie spektakuläres Kindertheater.

Ausstatter Stefan Hageneier hat für die Stückl-Inszenierung von Shakespeares Sturm ein Schiffbruch-Szenario vom Feinsten gebaut: einen riesigen hölzernen Sperrmüllhaufen voller ragender Planken, in dem man nach Lust und Laune herumkraxeln kann. Außerdem lässt sich hier mit einer Axt auf Balken einschlagen, dass es nur so kracht, und weil die Bretter, die sonst die Welt bedeuten, teilweise aus dem Bühnenboden herausgerissen sind, kann man zudem pausenlos stolpern und in Löcher fallen.

Süffiges Vollbluttheater


Das tun sie dann auch ausgiebig, die schurkischen Majestäten, die mit Zylinderhüten auf dem Kopf an jenem Eiland gestrandet sind, wo der zauberkundige Prospero herrscht, dem die durchlauchtigsten Schiffbrüchigen einst sein Herzogtum Mailand geraubt haben. Mit seiner weißen Toga und dem Vollbart sieht Pascal Fliggs Prospero, ungeachtet der schicken Brille, wie ein griechischer Philosoph der Antike aus. Ein bisschen auch wie ein machtbewusster römischer Konsul. Und weil er barfuß rumläuft, steckt zudem eine Prise Mahatma Gandhi in ihm. Wie nicht anders zu erwarten, wird bei Stückl aus dem abgründigen Zaubermärchen ein Mordsspektakel: süffiges, buntes Vollbluttheater ohne Hintersinn und Interpretation, aber mit großer Spielfreude. Und am Ende geht’s gar saftig zu, wenn auch etwas unappetitlich, weil der Abend da buchstäblich voll in die Scheiße langt: die Säufer Trinculo und Stephano (etwas zu derb, zu knallchargig-eindimensional: Jakob Gessner und Jean-Luc Bubert) kriechen, vom Scheitel bis zu Sohle vor brauner Soße triefend, aus der Latrine, in die sie Luftgeist Ariel gelockt hatte.

Wobei dieser Ariel ohnehin die Sensation der Aufführung ist. Gespielt wird er von dem Vierzehnjährigen Enno Haas, der mit Riesenohr-Maske und silbrigem Pferdeschwanz aussieht wie ein Gemisch aus Hobbit und Alien. Gerade seine nicht schauspielerisch geschulte, klare, aber ungeglättete Sprechweise gibt ihm eine schelmische Unschuld, mit der er all den Profis um ihn her die Schau stiehlt. Ausgerechnet ein Kind mit überraschender Bühnenpräsenz und Stimmbruch-Timbre sorgt für Brüche in der ansonsten so selbstgenügsam in sich dampfenden Inszenierung. Ausgerechnet die echte, fast schon an der Kippe stehende Naivität dieses Zwischenwesens erzeugt jenen Hauch von Verfremdung, der Stückls allzu gradlinigem Pardauz-Theater gut täte. Auch wenn man Shakespeares Sturm natürlich schon besser, interessanter und weniger konventionell gesehen hat, lässt sich sagen: „Lieb Vaterland magst ruhig sein“, denn Schiffbruch erleidet das Stück in dieser Inszenierung nicht.
(Alexander Altmann)

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