Kultur

Oh, là là! Die Elfenkönigin (Lea Ruckpaul) bringt den in einen Esel verwandelten Zettel (Florian von Manteuffel) ganz schön ins Schwitzen. (Foto: Sandra Then)

04.10.2024

Hochtouriges Zauberspektakel

Shakespeares „Sommernachtstraum“ am Münchner Residenztheater: Der Klassiker funktioniert bestens auch im Autohaus

Es stimmt schon: Wörter wie Zugewinngemeinschaft, Power-nap oder Schwachmatenprosa finden sich nicht direkt bei Shakes- peare. Trotzdem passen sie hervorragend in diese Inszenierung des Sommernachtstraums, die zur Abwechslung mal im Autohändlermilieu spielt – ein Berufsstand, der, angesichts seiner gesellschaftlichen Relevanz, in der deutschen Bühnenkunst der Gegenwart sträflich unterrepräsentiert scheint.

Am Münchner Residenztheater, das seine neue Spielzeit mit diesem Shakespeare-Klassiker eröffnete, ist Theseus also kein mythischer Herzog von Athen, sondern ein halbseidener Geschäftsmann (schön schmierig: Lukas Rüppel), der seiner Finanzierungs- und bald auch Ehepartnerin Hippolyta eine Investitionsruine andreht („Es hat Potenzial“), um darin doch noch sein Autohaus eröffnen zu können.

Ausgedacht hat sich das Regisseur Stephan Kimmig, der mit souveräner Meisterschaft für reichlich Jux und Tollerei sorgt an diesem gleichsam tiefergelegten Theaterabend samt Turbo und Einspritzer. Da hat sich auch Katja Haß nicht lumpen lassen und einen richtigen Boliden von Bühnenbild hingeklotzt: ein Betonungetüm im Architekturstil des Brutalismus, das sich dreht und dabei labyrinthische Räume öffnet. Ist es eine Unterführung, ein abgewracktes Fabrikgelände der Ex-DDR, ein alter Weltkriegsbunker, woraus hier ein Autohaus werden soll? Mit seinen Graffitiwänden evoziert es auf jeden Fall die Romantik von Industriebrachen, wie sie schon vor Jahrzehnten von Modefotografen entdeckt wurde.

Bühne mit Oldtimer-Charme

Überhaupt weht einem aus der Inszenierung der Oldtimer-Charme der Nachwendezeit in den 1990er-Jahren entgegen, denn das junge Personal besteht aus typischen Party-People (Linda Blümchen, Vassilissa Reznikoff, Niklas Mitteregger, Vincent zur Linden), und dazu passend gibt es reichlich Techno-Gewummer – neben psychedelischen Sphärenklängen aus dem Elfenreich, für die Felicia Chin-Malenski auf der Klarinette sorgt.

Puck wiederum ist bei Max Rothbart mit Sonnenbrille und wasserstoffblonder Zuhälterfrisur eine Art Drogendealer und schlauer Spielmacher zugleich. Besorgt er doch seinem Elfenkönig Oberon (ebenfalls Lukas Rüppel, in dieser Rolle eher blass) das Liebeszauber-elixier, das für die grotesken erotischen Verwirrungen in der titelgebenden Sommernacht sorgt.
Richtig hochtourig wird dieser Sommernachtstraum bei der Komödie in der Komödie, also in den Szenen mit der Laienschauspieltruppe (aus „dem Mittelstand“, wie die Handwerker hier heißen), die zur Eröffnung des Autohauses ein Stück einstudiert. Die Leiterin der verkappten Psychogruppe (Barbara Horvath) ist irgendetwas zwischen Stuhlkreistherapeutin und Dompteuse, und aus dem dominanten Laiendarsteller Zettel macht Florian von Manteuffel eine grandios funkelnde Knallcharge. Er stellt sich politisch überkorrekt als weiß gelesener Cis-Mann (oder so ähnlich) vor, entpuppt sich indes als egomanische, eitle Rampensau, die am liebsten alle Rollen spielen möchte.

Zwischen Irrwitz und Tragik

Wenn Zettel dann von Puck in einen Esel verwandelt wird, steigert sich dieser S-Klasse-Schauspieler Manteuffel aus der bloßen Komik heraus zu absoluter Virtuosität und balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Irrwitz und Tragik: Ohne Maskenaccessoires schafft er es, nur durch Körpersprache und Stimmakrobatik, gleichzeitig einen Esel darzustellen wie auch einen Menschen, der außer sich ist und nicht weiß, wie ihm geschieht, wenn er sich plötzlich als Esel erfährt – und erst recht, wenn sich Elfenkönigin Titania (Lea Ruckpaul), vom Liebeszauber gebannt, an seiner extrem auffälligen Hosenlatzregion zu schaffen macht …

Dass das fertige Laientheaterstück dann am Ende auch noch gezeigt wird, ist eine überflüssige Länge, zumal es die vorangegangene Komik nur unterbieten kann.
Aber davon abgesehen gilt: Der Sommernachtstraum, diese zeitlose Komödie der Wandlungen und Wirrungen, funktioniert am besten mit spielerischen Aktualisierungen, wie Stephan Kimmigs unterhaltsame Inszenierung einmal mehr bestätigt. Kurzum: Diesem Regisseur würde man jederzeit einen Gebrauchtwagen abkaufen. (Alexander Altmann)

Abbildung: Lukas Rüppel als Theseus mit Max Rothbart als Puck. (Foto: Sandra Then)

 

 

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