Kultur

Seine Lebensgefährtin Erna Schilling malte Kirchner 1917. (Detail, Foto: Kirchner Museum Davos/ Schenkung Stiftung Baumgart-Möller)

21.06.2024

Im Bann der Gefühle

Das KirchnerHAUS in Aschaffenburg zeigt Leihgaben aus dem Kirchner Museum in Davos

Hin und wieder leihen sich Museen untereinander etwas aus – so auch das kleine KirchnerHAUS in Aschaffenburg, wo Ernst Ludwig Kirchner geboren wurde, und das große Kirchner Museum in Davos, wo der Künstler lange lebte und starb. Letzteres gastiert derzeit am Untermain mit einer Auswahl von Exponaten, die Kirchners Schaffen gut nachverfolgen lassen.
Unter den 43 chronologisch angeordneten Leihgaben sind auch Textilarbeiten nach Gouachen von Kirchner, so zum Beispiel Menschen in Landschaft: farbstark gewebt von Lise Gujer nach einem Entwurf Kirchners von 1923.

Ein Höhepunkt der Präsentation ist jedoch ein äußerst seltenes Ölbild von 1917, das Kirchners Lebensgefährtin Erna Schelling zeigt: ein Dokument wohl innerer Anspannung und Gespaltenheit in einen Außen- und Innenraum, vor dem die streng stilisierte Frau in Blau sitzt.

Die grafischen Blätter Kirchners beginnen mit flüchtigen Atelierskizzen; die Aktmodelle mussten sich dabei ständig bewegen, um Leben in sich verändernden Stimmungen wiederzugeben. Auch die Künstlerkollegen Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff wurden 1908 in knappen Kreidestrichen skizziert. Während die Konturen bei der nackten Dodo (Modell und zeitweise Kirchners Geliebte Doris Große) die Körperform noch weich und rund erscheinen lassen, oder beim gemeinsamen Zeichnen mit Künstlerkollegen an den Moritzburger Seen 1909 vieles noch sehr spontan wirkt, werden ab der Berliner Zeit die Gestalten kantig scharf, harte Schraffuren unterstreichen das Strenge. Im Unterschied dazu strahlt ein liegender Akt auf Fehmarn viel Sinnlichkeit aus.

Dann wieder trägt ein Blumenstrauß mit Plastiken innere Unruhe weiter, und auf einer Kreidezeichnung von 1914 mit Segelbooten vermeint man Wind und heftige Bewegung zu spüren. Nun geben die überschlanken, gelängten Figuren bei Aktdarstellungen eine geänderte Stimmung wieder; auch Holzschnitte oder Lithografien wirken düster, spiegeln innere Ängste vor dem Ersten Weltkrieg wider, wie das eindrucksvoll gezeichnete Bildnis des Freundes Botho Graef (Kunsthistoriker, Archäologe). In Kirchners Skizzenbuch sieht man, wie er sich in Berliner Straßenszenen mit dem wirren, verunsichernden Rotlichtmilieu befasste.

Ruhesuche in der Schweiz

Der Erste Weltkrieg verstärkte seine Depressionen, und nach Stationen in verschiedenen Sanatorien trugen erst die Aufenthalte in den Schweizer Bergen zu einer gewissen Genesung bei. Sein Wohnsitz auf der Staffelalp bei Davos ist auf einem flüchtigen Aquarell festgehalten. Rastende Bauern, Tannen im Gebirge, eine fast idyllische Berganemone (1923) in kubisch reduzierten Formen, auch ein Stillleben mit Katze und Pfeife auf einem starkfarbigen Ölgemälde, ein Bogenschütze auf einem trotz der flüchtigen Bewegung harmonisch wirkenden Aquarell (1935) legen nahe, dass Kirchner für einige Zeit in Davos zur Ruhe fand. Aber sein letztes bekanntes Selbstbildnis, eine Zeichnung von 1937/38, enthält erneut innere Spaltung, und der skeptische, resignierende Blick lässt auf psychische Unausgeglichenheit schließen. 1937 stempelten die Nationalsozialisten seine Kunst als entartet ab, viele Werke wurden zerstört. In paranoider Verzweiflung hat sich Kirchner 1938 erschossen. (Renate Freyeisen)

Information: Bis 21. Juli. Kirchnerhaus, Ludwigstraße 19, 63739 Aschaffenburg. www.kirchnerhaus.com

 

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