Die Theaterstücke dauern meist nicht länger als 30 Minuten. Die Vorführungen finden oft auf Festivals in Preetz (Schleswig-Holstein) oder Lehesten (Thüringen), Freiburg oder München statt. Die etwa zwei Dutzend im Verein Forum Papiertheater e.V. organisierten deutschen Ensembles, davon drei aus Bayern, haben Stücke für Menschen aller Altersstufen im Programm; Märchen und Theaterklassiker genau wie Opern. Doch auf diesen Bühnen, die so groß wie Fernseher sind, befinden sich keine Menschen. Dort stehen Figuren aus Papier im Rampenlicht.
Das „Papiertheater am Ring“ aus Wilhermsdorf ist eines dieser Ensembles. Es existiert seit gut 20 Jahren. Die Theatermacher heißen Sabine (58) und Armin Ruf (60), sie wohnen im Feld-am-See-Ring. Die Adresse erklärt auch den Namen des Theaters. Auslöser für die Gründung war ein Treffen von Papiertheatervereinen am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg im Jahre 2003: Sabine war mit ihren Kindern dort; sie sahen Hänsel und Gretel sowie die Oper Freischütz – und waren danach infiziert. Auch Armin war schnell begeistert. Und so wurden im Internet Kulissen und Texthefte vom spezialisierten Verlag Schreiber in Esslingen bestellt. „Die haben eine Redaktion, die Stücke für Papiertheater aufbereitet“, erzählen die beiden.
Zur Premiere bereiteten sie Hänsel und Gretel vor, um es an Weihnachten für die Verwandtschaft aufzuführen. Ganz in der Tradition der Papiertheater: Denn als diese im 19. Jahrhundert entstanden, ging es nur um Aufführungen in Privathäusern. „Sie waren damals Nachrichtenmedium über den Alltag, religiös, aber auch pädagogisch für die Kindererziehung“, erzählt Sabine Ruf, die sich sehr intensiv mit der Geschichte dieser Bühnenart beschäftigt hat.
Mehrere Verlage stellten Bastelbögen her
Als einen der Väter des Papiertheaters nennt sie den Österreicher Hugo Schoeppl und dessen „Haustheater“. Mehrere Verlage stellen seit damals preiswerte Bastelbögen her. Bühnenbilder, Figuren, fertige Bausätze dank Lithografie auf Altmühltaler Plattenkalk. Und das nicht ein-, sondern dreidimensional, also mit mehreren „Staffeln“ hintereinander, mit Himmeln oder hintergrundbeleuchtbarer Rückwand.
Noch weiter verbreitet als hierzulande waren und sind Papiertheater in England, vor allem aber in Dänemark: Dort ist sogar die Königin Margrethe II. eine aktive Spielerin. „Es ist eine unglaubliche Welt“, sagt Sabine Ruf begeistert. Einige Exemplare sind heute im Germanischen Nationalmuseum ausgestellt. Seit 2021 besitzt die Kunst auch den Status als immaterielles Kulturerbe.
Schon in der Anfangszeit seien Tricks erfunden worden, wie sie auch im großen Theater genutzt werden, ergänzt Ehemann Armin: Licht- oder Geräuscheffekte, Nebel oder Musikuntermalung beispielsweise. „Selbst Pyrotechnik ist machbar“, sagt er. Kreativität ist also gefragt. Für ihr Theater am Ring kreieren die Rufs heute vieles selbst: Stücke, Bühnenbilder und Figuren. So zeigten sie anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Zenngrundbahn ihr Stück über die historische Adler-Fahrt von Fürth nach Nürnberg. „Das entstand aber schon eher: im Rahmen meiner Stadtführerausbildung“, erinnert sich die Theaterchefin. „Da hab ich mich festgebissen.“
Inzwischen hat sich das Ehepaar ein Repertoire von 17 Stücken erarbeitet. „Die lagern in Kartons im Keller. Eigentlich bräuchten wir eine feste Spielstätte dafür“, sagt Sabine Ruf. Zurzeit aber spielen sie dort, wo sie gewünscht sind: zum Beispiel bei Familienfeiern. Nach den Aufführungen können die Gäste dann Bühne und Figuren betrachten und sich mit den Rufs unterhalten.
Als Publikum nennt Sabine Ruf „kulturell Interessierte, mit Freude am Detail und künstlerischer Arbeit“. Oder Schulklassen – aber nur, wenn der Lehrer die Kinder entsprechend vorbereitet. Denn während „wir heute durch die bunten, schnellen visuellen Medien geprägt sind, muss man bei uns runterfahren und eine andere Sehgewohnheit entwickeln. Man muss sich drauf einlassen. Und wichtig ist auch, wieder hören zu lernen“, sagt Sabine Ruf. Es entstehe ein „Spannungsbogen, eine besondere Atmosphäre: Es ist dunkel, ruhig, der Vorhang geht auf. Was wir machen, ist nichts, was man nebenbei konsumieren kann.“
Nicht zuletzt, weil die Rufs bei den meisten Stücken live sprechen, dabei ihre Stimmen den Charakteren auf der Papierbühne anpassen. „Bei Opern spielen wir aber den Gesang ein“, geben sie zu.
Was das Publikum auf jeden Fall erwarten darf: „Aha-Effekte müssen drin sein. Bei der Schneewittchen-Hochzeit am Ende des Stücks spielt der Prinz Only You auf einer Elektrogitarre“, erklärt Armin Ruf. Auch heuer werden sie wieder bei der Märchen im Museum-Woche im Freilandmuseum Bad Windsheim dabei sein. Was dort passiert? „Lassen Sie sich überraschen“, sagt Armin Ruf. (Heinz Wraneschitz)
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