Die Fashion-Shows des Frühjahrs sind vorbei. Susanne Wiebe war viel unterwegs, hat manch inspirierenden Umweg gemacht und hat jetzt viel zu erzählen. Aber sie bedauert auch, dass München bei der Modewelt ins Hintertreffen geraten ist. In ihrer wechselvollen Karriere als Mode-Designerin (1955 in Stuttgart geboren) hat sie ihre wichtigsten Eindrücke in Berlin gewonnen – und nicht in Schwabing, wo heute ihr Atelier zu finden ist und wohin sie zu einem Treffen mit dem Maler Thomas Niggl eingeladen hat.
Niggl (1939 in München geboren, lebt und arbeitet heute in Feldafing und im italienischen Arezzo) ist einer der letzten noch lebenden Künstler vom legendären „Kollektiv Herzogstraße“ (gegründet 1976). Die „Kollektiv“-Zeit hatte ihn an die Zusammenarbeit im Künstlerteam gewöhnt. Als der Malerkollege Heimrad Prem (1934 bis 1978) fragte: „Was ist Gruppenmalerei?“, hieß die Antwort: „kommunikatives Spiel“. Niggls „Kollektiv“-Kollege (und früherer Wiebe-Lebenspartner) Hans Matthäus Bachmayer (2013 gestorben) hatte seine Arbeitsweise „undogmatisch, erfrischend“ genannt, beide waren durch ihr Faible für „Kunst und Mode“ miteinander verbunden.
Hype um Kunst und Mode
Bachmayers Arbeiten zu diesem Thema hatte Susanne Wiebe im vorigen Jahr ausgestellt – jetzt zeigt sie Entsprechendes von Franz Hitzler, Maximilian Seitz und eben Thomas Niggl. „Moda con colori“ ist Susanne Wiebes Beitrag zum gegenwärtigen Kunst- Mode-Hype. In der Glyptothek werden Überlegungen zur Kleidung in der Antike angestellt, in die Kunsthalle München lockte im letzten Jahr eine Gaultier-Ausstellung, und jetzt geht es dort um Fotografien von Peter Lindbergh, der die Bildersprache der Magazine und Labels revolutioniert hat. Un
d das Lifestyle-Blatt Madame ruft als aktuellen Modetrend abstrakte „Art Prints“ aus.
Für Susanne Wiebe gehörten Kunst und Mode schon immer zusammen, ihre Modeschauen Anfang der 2000er-Jahre sind legendär: während der Olympischen Spiele in Athen, im Münchner Cuvilliés-Theater, immer auch in attraktivem Zusammenhang mit glänzenden Karosserien der Nobelmarken.
Es gab „fashion nights“ mit Wiebe und Bachmayer – die früheren Freunde aus der Schwabinger Herzogstraße, von den Gruppen „Spur“ und „Geflecht“, die vom Ende der 50er-Jahre an provokante Münchner Kunstgeschichte schrieben, fanden solch „angewandte Kunst“ degoutant. Bachmayer hielt ihnen Elsa Schiaparelli oder Coco Chanel und ihre Kunst-Partner entgegen.
Thomas Niggl hat seinen eigenen Weg aus diesem Dissenz gefunden. „Ich war immer ein Faschingsmensch mit Lust an der Farbe, am Kostüm und der Verkleidung.“ Und so sitzt er mit Susanne Wiebe wieder zusammen, um das, was die Modedesignerin in ihrer Berliner Zeit mit Künstlern wie Salomé oder Elvira Bach begonnen und realisiert hatte, fortzusetzen: neue Inspiration für die „alta moda“, neue „Codierungen“ der menschlichen Oberfläche. „Mode ist, Individualität herzustellen.“ Das hatten die beiden auf ihren Reisen in die Südsee an den Ganzkörper-Tätowierungen der Menschen dort beobachtet. Man kann es mit Susanne Wiebe auch burschikoser ausdrücken: „Der Körper wird bekleidet, um sich vom Schwein zu unterscheiden.“
Eine solche Formulierung würde Thomas Niggl wahrscheinlich nie über die Lippen kommen. Seine Symbiose Kunst/Mode ist als Teil von „Kunst und Leben“ bestimmt vom Geschlechterverhältnis, von den Modellen, besonders aber von der Lust an der Farbe.
Kreativer Kunst-Crash
„Wir sind aufeinander zugerast“, sagt Wiebe über ihre Zusammenarbeit. Aber das Ergebnis dieses Kunst-Crashs, den stellt man sich besser nicht so vor, dass Niggl nur modetaugliche Stoffe entworfen hätte. „Ich komme von der Idee her, und dann übertragen wir sie auf Stoff.“ Erst wenn der Maler weiß, welche seiner Bilder auf Stoff gedruckt werden sollen, wird hinsichtlich der Farbe geändert oder überlegt, wie ein Motiv in Falten aussehen würde. „Wenn man sofort weiß, dass es auf eine Zweckbestimmung hinausläuft, würde mir nichts einfallen.“
Und so arbeitet Niggl unbeirrt in Primärfarben, arbeitet in Acryl auf Papier. Explosiv, dynamisch ist das – und gilt auch für die Plakate, mit denen er sich in italienische Wahlkämpfe einmischt. Seine Stilrichtung kann nur unvollkommen mit abstraktem Expressionismus beschrieben werden.
Der Maler hat den Vortritt – erst später entscheidet die Modeschöpferin, ob sie den Zusammenhang Kunst/Mode herstellen kann. So weit ist Niggl nämlich nie gegangen wie Hans Matthäus Bachmayer, der weiße Papierkleider oder die Haut von Models bemalt hat.
Besonders schwer ist es für Susanne Wiebe, gute Drucker für Kunst auf Stoff zu finden. Der Probedruck zeigt, ob die Verbindung funktioniert. Thomas Niggl ist überzeugt: „Was als künstlerisches Blatt funktioniert, kann auch auf Stoff funktionieren.“
Die Kunst auf Stoff begeistert die Kundschaft – mündet aber nicht in jene Mode-Massenproduktion, bei der höchstens mal ein Warhol-Motiv auf T-Shirts oder Hundertwasser-Werke auf dekorative Schals gedruckt werden.
Die berufliche Liaison Wiebe/Niggl ist in der Münchner Kunst- und Modeszene ziemlich einmalig. Aber bei Niggls Biografie nicht verwunderlich. „Farben sind mir schon als Kind durch den Kopf gewirbelt. Am Land war ich auch immer mit Handwerkern zusammen, mit Tünchern, ihren Farben, ihren Pinseln, dem Geruch.“ Über abstrakte Malerei sagt er : „Sie hat immer auch etwas Zerstörerisches, Gebrochenes. Besonders die Übermalungen.“ Jetzt mit Wiebe zusammenzuarbeiten, ist in seinem künstlerischen Werdegang keine „Konzession“. Das legendäre „body painting“ in den 70er-Jahren, noch weiter zurück die Inspiration durch altägyptische Kunst, durch die Rezeption chinesischer Motive im Rokoko, die Inspiration des Kubismus durch die afrikanische Kunst: Das sind die Felder, in denen er sich wohl- und zuhause fühlt.
„Die Sachen, die Niggl malt, passen auch zu meiner Handschrift“, freut sich Susanne Wiebe. Sie plant mit ihm für 2018 eine Schwarz-Weiß-Serie. (
Uwe Mitsching)
Abbildung:Das kreative Duo Thomas Niggl und Susanne Wiebe. (Foto: Atelier Wiebe)
Information: Atelier Susanne Wiebe, Martiusstraße 5, 80802 München.
www.susanne-wiebe.com
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!