Kultur

Erst jüngst vollendete Otto Ziegler diese Rauschgoldengel: Sie sind nach alten Vorbildern mit echten Porzellanköpfen aus der Zeit von 1840 bis 1860 (Spätbiedermeier) gefertigt. Der Schmuck (Krone, Mieder und Rock) ist mit alten leonischen Borten aus dem Museum in Roth gefertigt. (Foto: Ziegler)

19.12.2016

Knisternde Himmelsboten

Elfi und Otto Ziegler in Schwabach fertigen Rauschgoldengel nach alten Vorbildern und mit historischem Material an

Sieben Morgen“ heißt geradezu märchenhaft die Adresse von Elfi und Otto Ziegler im mittelfränkischen Schwabach. Zu ihnen fährt man, wenn man aus erster Hand etwas über den echten Nürnberger Rauschgoldengel erfahren will. Otto Ziegler (Jahrgang 1932), gelernter Fotograf und studierter Grafiker, ist einer der letzten, der in Handarbeit und aus altem Material dieses Sinnbild der Nürnberger Weihnacht herstellt. Weniger als eine Handvoll Rauschgoldmacher mag es noch geben. Sie stellen alljährlich bei „Kunst & Handwerk“ im Nürnberger Fembohaus aus – während der Weltmarkt durch Massenware aus Fernost überschwemmt wird: „Weihnachts-“ oder „Barockengel“ heißt das dann und setzt das Massenprodukt fort, zu dem der Rauschgoldengel schon während des Dritten Reichs geworden war: hergestellt damals in Wohlfahrtswerkstätten der Kriegsinvaliden, beim Roten Kreuz oder von Nürnberger Budenbetreibern des Christkindlesmarkts. Ein Kenner wie Ziegler weiß natürlich, was ein echter Rauschgoldengel ist: mit dem plissierten goldenen Rock, einem reich geschmückten Mieder, einer Krone. Beiwerk sind die plissierte Schürze und der den Frauen vom Knoblauchsland abgeschaute Schal – eine Mischung also von patrizischen und ländlichen Zutaten. Arme aber darf der Engel nicht haben, sondern große Flügel bis zum Boden hinunter: entweder weil die Arme wie bei den Landfrauen unter dem Tuch versteckt sind oder weil schon Paracelsus wusste: „Es gibt auf der ganzen Welt kein Lebewesen, das Arme und Flügel zugleich besitzt.“

Der Ton macht’s

Dass ausgerechnet ein Schwabacher auf den Rauschgoldengel gekommen ist, liegt nahe: Denn genauso wie das Schwabacher Blattgold wurde auch das Nürnberger Rauschgold immer dünner geschlagen, bekam Glanz und Farbe wie echtes Gold – und macht beim Bewegen das rauschende Geräusch, das für den Engel namensgebend wurde. 1954 ist der letzte Rauschgoldbetrieb stillgelegt worden. Jahrhunderte zuvor war das Rauschgold aus Kupfer und Zink eine Nürnberger Spezialität, die bis nach Indien exportiert wurde. Die Messingbrenner und -schläger durften nach der Zunftregel die Stadt nicht verlassen. Und im Süden von Schwabach wurden all die feinen Fäden und Borten zur Verzierung der Engelsgewänder bei den Leonischen Werken in Roth hergestellt. Die Porzellanköpfchen kamen in der Regel aus Thüringen. Nichts davon wird heute mehr produziert, und Rauschgoldengelmacher wie Otto Ziegler müssen auf die letzten Vorräte an Halbfertigprodukten zurückgreifen oder Restbestände ersteigern. Für 40 Engel, so schätzt Ziegler, reiche sein Material vielleicht noch, wenn nicht auf irgendeinem Dachboden plötzlich etwas auftaucht und ihm angeboten wird. Der Rauschgold- oder Zischengel war immer schon ein Produkt für Weihnachten und hat viele historische Bezüge – beispielsweise zu den Leonischen = Lyonischen Werken und den handwerklichen Fähigkeiten, die die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten mitbrachten: nämlich die Herstellung von hauchdünnen Metallfäden, aus denen am Webstuhl Borten gefertigt wurden. Die älteste bildliche Darstellung eines Rauschgoldengels kann man heute noch im Nassauer Haus gegenüber der Nürnberger Lorenzkirche sehen: Dort hat die Tochter einer „Familie Scheidlin“ auf dem Gemälde von Karl Johann Reuss (1767) so einen Engel auf dem Schoß.

Luther sei Dank

Wenn mann im kommenden Jahr 500 Jahre Reformation feiert, kommt wohl auch auf die Entstehung des Rauschgoldengels zu sprechen. Durch die Abschaffung der Heiligenverehrung und durch die Veränderung der Kinderbescherung an Weihnachten durch Martin Luther nahmen die weihnachtliche Konsumlust und das Beschenken der Kinder bis zur Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert erheblich zu. Der Pfarrer von St. Sebald beschwert sich, dass „wegen des Einkaufens zum Kindleinbescheren“ für den Vespergottesdienst „keine Leut vorhanden gewest“. Die Krippe des Jesuskindes wurde zur Krippe für alle Kinder und für ihre Geschenke. Die Puppenmacher ließen sich das neue Geschäft nicht entgehen. Besonders als dann mit dem leonischen und Nürnberger Material die Ausgangsprodukte vermehrt zur Verfügung standen: 0,01 bis 0,03 Millimeter dickes Rauschgold an erster Stelle. Da wurde dann der goldene Rauschgoldengel zum Nürnberger Christkind, zu einem volkstümlichen himmlischen Wesen aus knisternder, steifer Folie.
Der Rauschgoldengel wurde einbezogen in die Geschichte des Nürnberger Christkindlesmarkts. Den gab es freilich schon länger. Er wurde immer wieder verlegt, 1933 kam er zurück auf den Nürnberger Hauptmarkt, damals hieß er Adolf-Hitler-Platz: Die nationalsozialistische Propaganda und Deutschtümelei vereinnahmte den Markt für „Buben und Mägdlein“ und mit „Spielwaren jeder Art“. Nürnbergs Oberbürgermeister Willy Liebel (1933 bis 1945) zählt in einem Beitrag für die Fränkische Tageszeitung 1933 auch die „prächtigen und einzigartigen Nürnberger Rauschgoldengel“ unter den „Erzeugnissen des heimischen Gewerbes“ auf.

Historische Anleitungen

Otto Ziegler hat das alles für seine Kunden aufgeschrieben und zusammengestellt, verweist auch auf die von ihm benützten Anleitungen in den frühesten schriftlichen Quellen über den Rauschgoldengel, etwa im Spielzeugmusterbuch von 1850. Dem hat er auch solche Varianten entnommen wie die vornehmen Engelsdamen mit Dekolleté, die er letztens hergestellt hat. Vor fünf Jahren hat er noch größere Restposten an Material aufkaufen können, jetzt sind die letzten ihm bekannten Quellen versiegt. Deswegen ist es für ihn und seine Frau ganz wichtig, dass der „echte Nürnberger Rauschgoldengel“ in den Familien von Generation zu Generation vererbt wird – damit auch die Erinnerung an handwerkliche Perfektion und an die mindestens 25 Arbeitsstunden, die er in einen Engel investiert. Ob die Familien den Engel so wie früher als Christbaumspitze verwenden oder ins Weihnachtszimmer stellen, ist Ziegler gleich: Ihm geht es darum, „dass der Rauschgoldengel in seiner schönen Form erhalten bleibt“. (Uwe Mitsching)

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