Kultur

Natürlich geht’s beim Stamm der Bayern auch ums Saufen. (Foto: Matthias Horn)

27.09.2024

Komödienstadel des Grauens

„Mia san Mia“ in den Münchner Kammerspielen: gut eingeschenkt, aber nicht gerade hochprozentig

Wie sagen doch die Bayerinnen und Bayern, wenn sie gesteigerter Verblüffung Ausdruck zu geben erheischen: „Ja mi läxd!“ Und Ja mi läxd möchte, nein muss man auch ausrufen angesichts der Premiere von Mia san Mia, mit der die Münchner Kammerspiele die neue Theatersaison mit einem so spektakulären wie rasch verpuffenden Knalleffekt eröffneten. Denn in dieser „bayerischen Space Odyssey“, so der Untertitel, erfahren wir zeitgleich zum Oktoberfest alles über „die“ Bayern – auch wenn wir eigentlich gar nicht danach gefragt hatten.

Veritable Zombies

Jetzt aber können wir freudig die neuesten Erkenntnisse hinsichtlich dieses Volksstamms vermelden, die dem chilenischen Dramatiker Marco Layera, der auch Regie führte, und seinem Allgäuer Co-Autor Martín Valdés-Stauber zuteil wurden – vermutlich als sie gerade einen Fetzenrausch hatten: Die Bayern sind nämlich in Wirklichkeit eine Art Kretins, die nur zuckende, wackelnde Bewegungen im Maschinentakt vollführen. Und so wie sie auf der Bühne der Kammerspiele in Erscheinung treten, mit rudimentären Haarbüscheln auf den aschfahlen, runzligen Glatzköpfen, könnte man sie auch für veritable Zombies aus einem billigen B-Movie halten. Dirndl und Lederhosen tragen diese Gruselchargen über gelben Raumfahreranzügen, weil sie nämlich in der Zukunft, in der dieser Komödienstadel des Grauens spielt, längst auf einem dunklen, felsigen „Wanderplaneten“ am anderen Ende der Galaxie im Exil leben.

Seltsam flauschige, wie in Filz gepackte Steine liegen herum, bei Bedarf schwebt eine älplerisch-schmucke Bauernhoffassade als Pappkulisse herab, und einmal werden am riesigen Biertisch Plastikmaßkrüge mit Theaternebel aus einem Schlauch befüllt.

Tourist*innen von der Erde, die gelegentlich vorbeikommen (indem sie an einer Strickleiter runterkraxeln), bestaunen das urige Brauchtum, zu dem neben Maibaum, Oktoberfest und Inzest auch Kindsmord und Kannibalismus gehören. Grad zünftig is’!

Andererseits sind diese abgedrehten Trachtenmonster nicht nur Täterinnen und Täter, sondern auch Opfer, weil die Erdbewohner, so erfahren wir, das harmonisch-vegane Idyll auf dem Heimatplaneten nur durch Kolonialismus, Ausbeutung und Gewalt gegenüber anderen Planeten aufrechterhalten können. Auch den Planeten der Restbayern wollen sie in eine Müllhalde verwandeln, wozu sie einen als Forscher getarnten Gutachter (ebenfalls im gelben Raumschiff-Enterprise-Dress) zu den Lederhosenpsychopathen schicken.

Zu viel Botschaft

Aber so durchgeknallt das alles ist: Als richtig absurde, also betont sinnwidrige Farce will der Abend nicht ganz zünden. Denn unter der grellen, dadaistischen Fassade ist noch zu viel Botschaft zu spüren, das Spiel mit den Klischees von Abgründigkeit und Dekadenz bleibt zu sehr in der biederen Bedeutungshuberei stecken, um wirklich anarchisch zu sein. Und das, obwohl die exzellenten Schauspieler*innen, darunter Walter Hess und Wiebke Puls, für strenge Stilisierung sorgen. Aber Layera hat als Regisseur die Atmosphäre der Künstlichkeit nicht weit genug ins Extrem getrieben. Die bloße Automatenhaftigkeit der Figuren in Mia san Mia wirkt etwas eindimensional.

Am überzeugendsten gelingen die Exzess-Szenen: Sie avancieren mit ihren seltsam synchronen, mechanistischen Gebärden der Entgrenzung und dank der schrägen Musik (Andrés Quezada) zu einer Art Ethno-Punk-Höhepunkten, in denen die latente Gewaltsamkeit alles Orgiastischen zutage tritt. Mit einer Jagdszene ganz am Schluss wird der Abend dann doch fast noch komisch. Kurzum: eine gut eingeschenkte, aber nicht sehr hochprozentige Irrsinnsvision. (Alexander Altmann)

 

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