Kultur

In Erinnerung an die Weltausstellung 1851 in London stellte Gerhard Böhlke in Berlin diesen Schauplatz mit der Kulisse des Kristallpalasts in Zinn her. (Foto: GNM/Annette Kradisch)

19.07.2024

Kunst und Krieg en miniature

Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg zeigt Zinnfiguren aus der Sammlung Alfred R. Sulzer

Das größte Stück in diesem Kosmos des Winzigen hat sich das Germanische Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg für den Schluss seiner Ausstellung Mikrowelten Zinnfiguren aufgehoben: den 1,3 Meter langen Kristallpalast der Londoner Weltausstellung 1851, an dem Queen Victoria und Prinz Albert vorüberfahren. In Wirklichkeit war das gigantische Gebäude einen halben Kilometer lang – imposant ist aber auch seine Miniaturdarstellung in Zinn, denn damit ist es das größte Zinngebäude überhaupt.

Zum Finale dieser Ausstellung gehören aber auch der Hochzeitszug von Königin Wilhelmina (1901) und die Staatskutsche Victorias bei der Eröffnung des Parlaments. Exotisch nimmt sich daneben der farbenprächtige Durbar eines indischen Maharad-schas aus.

Diese Welt im Kleinstformat und aus Zinn hat das GNM der Schenkung des Schweizer Sammlers Alfred R. Sulzer zu verdanken: ein in einer Stiftung zusammengefasstes Konvolut von 146 000 Stück – wenn es nach der Ausstellung verpackt im neuen Tiefdepot des Museums liegt, wird es dort 38 Quadratmeter Fläche beanspruchen. 65 Jahre hat Sulzer Zinnfiguren gesammelt: seltene Unikate und auch Zinnsoldaten, wie sie einst achtelpfundweise verkauft wurden.

Aber Kriege und Schlachtordnungen stehen nicht im Mittelpunkt dieser Ausstellung: „Die Zinnfiguren haben die ganze Welt ins Kinderzimmer geholt“, sagt Sonja Mißfeldt vom GNM, und begeistert fügt dessen Direktor Daniel Hess hinzu: „So hat man Zinnfiguren noch nie gesehen!“ Warum die Ausstellung jetzt in Nürnberg am richtigen Platz ist, liegt daran, dass Leute wie Wilhelm Heinrichsen vor 150 Jahren Weltmarktführer für Zinnfiguren waren: Mit Gehrock und Rauschebart begrüßt das Konterfei des Nürnberger Fabrikanten das Publikum; er war bayerischer Kommerzienrat und gehörte zur Nürnberger feinen Gesellschaft. Hunderte von Frauen, besonders im Frankenwald, haben für Heinrichsen im Akkord die Figuren hergestellt, dann wurden diese bemalt, gekauft, gesammelt – lang ist die Liste der Herstellungsorte.

Bebilderte Geschichte

In der Ausstellung sind die Zinnfiguren historischen Ereignissen zugeordnet: Hier wird Geschichte aufgearbeitet, auch Sagen und Märchen, Weltausstellungen und die Fauna der Erdteile sind thematisiert.

Auch wenn die erste wissenschaftliche Darstellung von Theodor Hampe (1866 bis 1933), der einst zweiter Direktor des GNM war, Der Zinnsoldat. Ein deutsches Spielzeug (1924) hieß: Am Anfang dieser Geschichte stand nicht der Zinnsoldat, sondern das zivile Motiv, und zwar aus der Jagd (auch zur Unterweisung des waidmännischen Nachwuchses), aus der Altphilologie (Kleidung und Bewaffnung des römischen Soldaten) oder von Entdeckungsfahrten wie der des Fridtjof Nansen. Solche Thematisierungen gab es dann oft im Set wie die 14 Figures of ancient roman soldiers, hergestellt nach den Anweisungen eines Gymnasialdirektors aus Plön (Schleswig-Holstein).

Auch wenn es Darstellungen von Haushaltstätigkeiten gibt: Die Zinnfiguren waren hauptsächlich Spielzeug für Jungen und Männer, und zwar nicht nur als Zeugnisse ihrer Kindheit, sondern auch als Zeitvertreib von gesetzten Herren in öffentlichen Ämtern. Für Mädchen gab es die Puppenhäuser – und tatsächlich waren darin die Hausfrauen und Dienstmädchen auch manchmal aus Zinn.

Schulbücher des 19. Jahrhunderts waren nur wenig bebildert, also haben Zinnfiguren auch die klassische Bildung illustriert: Hannibals Alpenüberquerung ebenso wie die Schlacht im Teutoburger Wald.

Was das GNM schamhaft hinter Vorhängen mit Gucklöchern versteckt, sind Darstellungen aus der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika.

Aber die Ausstellung zitiert auch George Orwell mit der hinterlistigen Frage, wie denn ein Sozialist reagiere, wenn er seine Kinder mit Zinnsoldaten erwischt. (Uwe Mitsching)

Information: Bis 26. Januar 2025. Germanisches Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg. www.gnm.de

 

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