Kultur

Sündige Verführung: Thomas Couture thematisierte 1844 in „La soif de l’or“ (Ausschnitt) den Durst nach Gold – und noch mehr. (Foto: Daniel Martin)

22.04.2016

Luxuriöse Sündenschau

Die sieben Todsünden forderten Künstler immer schon zu bildgewaltigen Interpretationen heraus – Eine Ausstellung im Augsburger Diözesanmuseum

Eigentlich wäre man besser schon zur Fastenzeit gekommen, aber spät ist besser als gar nicht, Buße zu tun: Es geht um die Ausstellung "Die 7 Todsünden" im Diözesanmuseum St. Afra in Augsburg. Darin wird über die Jahrhunderte hinweg aufgezählt und illustriert, was von Hochmut (Superbia) bis Wollust (Luxuria) einschlägig, begehbar und büßbar ist. Und was würde besser an den Anfang dieser luxuriös ausgestatteten Sündenschau passen als Albrecht Dürers berühmter Kupferstich Der Sündenfall? Dann geht es in sechs Abteilungen los mit den sieben Todsünden: Neonschriften weisen das sündige Besuchervolk auf den rechten Weg durch die Schau. Je drastischer die Darstellung des Sündenfalls, umso besser: Zum Beispiel der dürre Neid mit Medusenhaupt auf einem Ölbild von Caspar Meglinger in einem Triumphzug sämtlicher bösen Eigenschaften durch die brave Schweiz – im Hintergrund eine Prügelei nach der anderen. Da ist man gleich bei zwei Kennzeichen auch vieler anderer Sünden-Darstellungen: Im Gefolge von Eva sind Sünden in der Regel weiblich. Zudem wird ihre Verwerflichkeit gern an Beispielen aus der heidnischen Antike demonstriert. Das fängt bei Kain und Abel an, dem Urbild der zerstörerischen Kraft des Neids. Wenn beim Thema Wollust auf einem Augsburger Kupferstich von 1670 einem pralle Brüste sozusagen ins Auge springen, vergleicht man die Wollust-Vorbilder von Potifars Weib oder Klytemnästra aus Mykene mit der Mord-Badewanne. Unterm Stich reimte jemand: „Ein Clytemnestra darff gar ihren Mann erstechen / Mit ihres Buhlen Hülff, die Welt ist Untreu voll.“ In Augsburg werden zum Thema nicht nur bildliche Darstellungen gezeigt: Ausgestellt ist auch ein Elfenbeinhumpen mit Bachanal und gleich mehreren Todsünden auf einmal. Da hatten die frommen Künstler für freizügig Drastisches freie Bahn: barbusige Mänaden, trunkene Silene. Was sonst schamhaft verhüllt wurde: Hier ist es zu sehen – und das „Memento mori“ hebt drohend den Zeigefinger.

Kontrolliert Wut abbauen

Zwischen so viel Sünden-Historie bleibt man plötzlich irritiert stehen: ein Erfrischungsautomat? Falsch, es ist die Anger Release Machine von Ronnie Yarisal und Katja Kublitz. Abteilung: „Zorn“, Absicht: kontrollierter Wutabbau, Aktion: Für ein paar Euro plumpst im Automat eine Tasse, ein Sektglas in Scherben. Man braucht nicht einmal selber zu werfen. Das ist ein erfrischendes Stück Gegenwartskunst und der Korb für den Bruch ist schon halb voll. Derart sediert geht man an der „Hoffart“ vorüber, denkt beim nächsten Triumphzug des Luzerner Caspar Meglinger an die aufgebrezelten Hochzeits-Limos in Augsburgs Maximilianstraße. An dieser Stelle kann man sich dann entscheiden, ob man wie einst Hofmannsthals Jedermann die Kurve kriegt als reuiger Sünder zu „Gnade und Buße“ oder sich weiter in den restlichen Sünden suhlen will. Oder ob man einen Ausflug in die Hölle macht. Zu Füßen der barocken Himmelskönigin mit Kind geht es hinunter zu Totenkopf und rotem Flammenvorhang. Dort unten ist es (allerdings mehr aus archivalischen Gründen) ziemlich duster, aber man sieht die Sünder trotzdem überm Höllenfeuer braten: „Neidt“ und seine Genossen, den speienden „Völler“, die schlummernde „Faulhaitt“. Es ist ein ganzes Sünden- und Sünderpanorama in neckischen Orgien. Auf Federzeichnungen von Federico Zuccaro sieht man daneben die einschlägigen Strafandrohungen. Dick sind die Folianten, auf luxuriösem Goldgrund sieht man die moralischen Belehrungen der Bibel und immer wieder die Drastik: beispielsweise einer „Tempelreinigung“, der drei süße Putten aus dem Wolkenhimmel zuschauen (Bozen 1750). Augsburg kann aus seinen Schätzen das Thema prächtig ausstatten, dazu kommen Leihgaben bis hin aus dem Hause Thurn und Taxis. Nie haben die Todsünden aufgehört, Künstler und Publikum zu interessieren. Am Ende des erbaulich-unterhaltsamen Rundgangs fragt man sich, ob „Erschöpfung“ im Sinne von „Trägheit“ auch schon Sünde sei, wenn man auf einen Stuhl sinkt. Glücklicherweise mitten im Gewölbe der „Sieben Gaben des Heiligen Geistes, der Tugenden und Werken der Barmherzigkeit“. Interessanterweise ist man dort ganz allein. (Uwe Mitsching) Information: Bis 8. Mai. Diözesanmuseum St. Afra, Kornhausgasse 3-5, 86152 Augsburg. Di. bis Sa. 10-17 Uhr, So. 12-18 Uhr. www.museum-st-afra.de Abbildung: Videostill aus „Zorn“ (2015) von Reiner Kaiser. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem eigenen (Jäh-)Zorn.     (Foto: Kaiser)

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