Kultur

Michael Ullrich hat das Titelfoto der Ausstellung als Selbstporträt auf der Sonnenbank beigesteuert. (Foto: Michael Ullrich/Städtische Sammlung Erlangen)

07.03.2025

Nackte Körper im Kunstpalais

Alles andere als prüde: Die Erlanger Ausstellung „the artist is naked“ bietet einen unverstellten Blick auf die menschliche Anatomie

Das Erlanger Kunstpalais zeigt die Ausstellung „the artist is naked“. Die 40 Werke verschiedener Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich teilweise auch sehr explizit mit Bodyshaming, Exhibitionismus und Genderfragen. Jugendfrei ist das nicht. 

In der Sauna, am Strand oder vor der Kamera – heute lassen fast überall Menschen schnell die Hüllen fallen. Wenn Fotografen & Co vor dem Publikum plötzlich selbst die Hosen herunterlassen, wird schnell ein Statement daraus gemacht, wie die mit nackten Tatsachen nicht geizende Ausstellung im Erlanger Kunstpalais aktuell beweist. 

Unter dem Titel the artist is naked will das Museum für zeitgenössische Kunst am Schlossplatz zeigen, welche Vielzahl an Gefühlen das Adamskostüm beim Betrachten hervorrufen kann. Insgesamt 40 mehr oder weniger berühmte Arbeiten zum unverhüllten Körper von Gerhard Richter bis Sonja Yakovleva sollen laut den Machern der zwischen Bodyshaming, Exhibitionismus und Genderfragen changierenden Schau spannende Dialoge über das Zeitgeschehen ermöglichen. Dieser Hinweis ist für die Ausstellungsbesucher und -besucherinnen insofern wichtig, weil die Auseinandersetzung mit unverstellten Blicken auf die menschliche Anatomie spätestens seit Adam und Eva nichts Neues ist. Lediglich der Grad der expliziten Darstellung scheint dabei zumindest oberhalb der Ladentheke im Laufe der letzten Jahre deutlich in Qualität und Quantität zugenommen zu haben.

Nicht prüder als nötig

Hier will sich die Schau auch nicht prüder machen als nötig und warnt einen lieber vor dem Betreten, anstatt (Selbst-)Zensur zu üben und sich womöglich dem Vorwurf des Provinzialismus ausgesetzt zu sehen. Wobei die Tatsache, dass das sonst so avantgardistische bis trendige Kunstpalais zum allerersten Mal überhaupt Menschen im „Birthday-Suit“ eine eigenen Ausstellung widmet, an sich allein durchaus bemerkenswert ist. 

Wobei die nackten Menschen an der Wand im vorliegenden Fall der Erlanger Ausstellung tatsächlich fast ausnahmslos die Künstler selbst sind. Womit endlich vom Kern der Schau die Rede ist. In der hüllenlosen Selbstdarstellung will sich der zeitgenössische Kreativmensch nicht in erster Linie „nur“ in seiner göttlichen Schönheit allein gekonnt darstellen, sondern vielmehr das tieferliegende Über-Ich hinter all den Häuten und Haaren herauskitzeln. Dass es dabei weniger um klassische Kategorien wie Liebe, Romantik und Verführung geht, ist wohl der verständlichen Suche nach neuen Ufern abseits des Mainstreams geschuldet.

Bescheidene Nacktheit

Während das erste Bild im allerersten Raum im fotografischen Selbstporträt des bereits erwähnten Gerhard Richter (wirklich sehr bekannt – quasi Superstar) dem Betrachter noch in relativ bescheidener Nacktheit mit offenem Hemd gegenübertritt, deuten die am Computer komponierten Bildwelten von Lilly Urbat bereits an, wohin die Reise im Rahmen der Erlanger Ausstellung gehen könnte. Unter dem programmatischen Titel My Body My Choice präsentiert sich die 1988 im fränkischen Hersbruck geborene Künstlerin als KI-generiertes Mischwesen aus Kuh, Mensch und Euter auf grüner Weide.

Gleich im nächsten Raum wird dem Besucher gezeigt, wie Künstlerinnen und Künstler seit den 60er-Jahren extreme Nacktheit einsetzen, um für die Befreiung von gesellschaftlichen und politischen Zwängen zu kämpfen. Nacktheit als Politikum: Dieser Strömung scheinen sich auch die beiden Macherinnen der Erlanger Schau, Jacqueline Roscher und Nora Wolf, verschrieben zu haben. Zwar seien nackte Körper in Werbung, Filmen und sozialen Medien allgegenwärtig. Allerdings würden diese unausgesprochenen Regeln unterliegen und beispielsweise „harschen Urteilen“ völlig hilflos ausgeliefert sein.

„Die Sichtbarkeit und Akzeptanz von Körpern abseits der Norm ist immer noch gering. Viele der hier gezeigten Arbeiten beschäftigen sich mit feministischer Ermächtigung und setzen den eigenen nackten Körper ein, um Gender- und Körper-Normen aufzubrechen. Über Jahrhunderte wurden gerade weibliche nackte Körper in der Kunst durch und für den männlichen Blick dargestellt. Die hier präsentierte Auswahl zeugt von dem anhaltenden Kampf, Körper in einem neuen Selbstverständnis zu zeigen und etablierte Schönheitsideale genauso zu hinterfragen wie die globalen Machtstrukturen, die dahinterstecken“, heißt es in dem Katalog zur Schau von Roscher und Wolf. 

Wie weit die Bandbreite dieses hüllenlosen Kampfes ist, wird erst zum Ende der durchaus empfehlenswerten, wenn auch nicht jugendfreien Ausstellung deutlich. Claudia Holzinger aus Vilsbiburg ist – neben Lilly Urbat und Michael Ullrich, der das Titelfoto der Ausstellung als Selbstporträt auf der Sonnenbank beigesteuert hat – eine weitere Nachwuchskünstlerin, die aus dem Dunstkreis des nackten Tatsachen ebenfalls nicht abgeneigten Erlanger Starfotografen und von 2014 bis 2019 als Professor für Fotografie an der Nürnberger Kunstakademie tätigen Juergen Teller im Kunstpalais gezeigt wird.

Während sich die 1985 geborene Holzinger fast wie beim Kinderfasching in einen molligen Kaktus verwandelt, um unter der Überschrift okay with my natural form fast schon putzig für die Rückkehr barocker Schönheitsideale einzutreten, hat Valie Export in den wilden 60er-Jahren zu härteren Mitteln gegriffen.

Performance im Pornokino

Die 1940 in Wien geborene Künstlerin gelte laut den beiden Macherinnen der Schau nicht zuletzt aufgrund ihrer Performance in einem Pornokino heute noch als eine der wichtigsten Wegbereiterinnen der feministischen Kunst. Unter dem Titel Aktionshose Genitalpanik hatte sich Export dem Kinopublikum anno 1969 mit offener Hose, gespreizten Beinen, Waffe in der Hand und grimmigem Gesicht präsentiert.

Das weite Feld des offensichtlich wieder besonders tobenden Geschlechterkampfes wird in dem allerletzten Raum mit sexy Feministinnen feierlich beendet. Wobei sich Künstlerinnen wie die 1989 in Potsdam geborene Sonja Yakovleva in Scherenschnitten mit Titeln wie OnlyFans oder Poolparty besonders offenherzig zeigen, um der Bedeutung des leider etwas aus der Mode gekommenen Wortes „Powerfrau“ ganz neue Dimensionen zu verleihen.

Zuvor gibt es einen kurzweiligen Zwischenstopp bei queeren Männern. Wobei queer laut dem hilfreichen Glossar im Begleitkatalog hier als Sammelbegriff für Menschen steht, deren sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität oder Lebensweise von der gesellschaftlichen Norm abweicht, und unter anderem lesbische, schwule, bisexuelle, trans-, intersexuelle oder asexuelle Personen umfasst und hauptsächlich für Vielfalt und Selbstbestimmung steht. (Nikolas Pelke)

Noch bis zum 27. April im Erlanger Kunstpalais (www.kunstpalais.de). Teilweise sind die Ausstellungsräume nur für Zuschauer ab 18 Jahren zugelassen.
 

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