Kultur

Der reiche Jude Nathan (Thomas Witte) hadert mit Gott. (Foto: Gostner Hoftheater)

17.06.2016

Religion ist überflüssig

"Nathans Kinder" am Gostner Hoftheater begeistert mit seiner reduzierten Lessing-Parabel

Für den jungen Christen, die junge Jüdin und den jugendlichen Moslem ist die berühmte Ring-Parabel aus Lessings Nathan der Weise nicht mehr als ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht: Pflichtlektüre im Deutschunterricht und damit Bestandteil des deutschen Bildungskanons, der ihnen nicht mehr als ein müdes „Blablabla“ entlockt.
Es darf gelacht werden im Gostner Hoftheater, das zum ersten Mal mit dem Nürnberger Staatstheater und dessen Jugendtheater-Club eine Koproduktion eingeht – und mit Nathans Kinder einen großen Erfolg einheimst. Ulrich Hub, der Autor, wurde für diese Bearbeitung von Lessings Ideendrama mit dem Mülheimer JugendStückePreis ausgezeichnet. Im Gostner Hinterhoftheater, Nordbayerns wichtigstes Off-Theater, inszenierte Marco Steeger, Schauspieler am Nürnberger Staatstheater, den Toleranz- und Humanismus-Klassiker als effektvollen Religions-Thriller.

Unüberwindbarer Bauzaun

Auf die Aktualität des 1799 entstandenen Dramas stimmen die Eisengitter eines Bauzauns ein, der nicht zufällig an den meterhohen Grenzwall in Jerusalem erinnert, mit dem sich die Israelis von den Palästinensern abgrenzen; oder hinter dem die Juden die Muslime vielleicht doch eingesperrt haben (Bühnenbild Birgit Leitzinger)? Unüberwindbar steht diese Einzäunung für die Feindschaft der drei „abrahamitischen“ Religionen, die doch alle auf Abraham, ihren Stammvater, zurückgehen. Aber wer ist der wahre Gott und wem gehört er? Das fragen sich Recha (Johanna Steinhauser), Nathans vermeintliche Tochter, und der deutsche Kreuzritter Kurt (Robert Oschatz), der mit dem Schwert ins Heilige Land gezogen ist, um den christlichen Frieden blutig gegen Juden und Muslime durchzusetzen. Dem stellen sich nicht nur Nathan, (den Thomas Witte als souveränen „Elder Statesman“ ausgestaltet), sondern auch der christliche Bischof, (den Mathias Schulze in einer sehr genauen Studie als verkniffenen, bigotten Klosterbruder darstellt), und der Sultan (Burak Uzun als disco-tanzender Derwisch) entgegen. Lessings Ring-Parabel kommt im finalen Showdown doch noch zu Worte, wird aber im coolen Heute-Jargon sehr modern ausgeleuchtet, was die klassische Story plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.

Gelungenes Experiment

Nathans Kinder reduziert Lessings ausschweifend und personenreich erzähltes Drama auf das Wesentliche, spitzt den Glaubenskonflikt (angesichts der Nahost-Kriege) nachvollziehbar zu und geht über Lessings Toleranz-Edikt weit hinaus: Für die Jugend heute ist Gott – welcher Religion auch immer – tot. Verstand und Vernunft der Aufklärung haben die Religionen abgelöst und überflüssig gemacht. Oder, frei nach Ludwig Feuerbachs Atheismus-These: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Begeisterter Applaus für dieses Experiment einer gelungenen Kooperation, die dem Staatstheater Nürnberg ein neues, jugendliches Publikum erschließen könnte und die nach einer Fortsetzung schreit. (Fridrich J. Bröder)   

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