„Nein, das ist mir noch nie passiert“, sagt Regisseur Peter Konwitschny – und meint, dass die fest für Dezember 2016 terminierte und weitgehend fertig vorbereitete Inszenierung von Mozarts Idomeneo am Großen Haus des Theaters Augsburg abgesagt wurde. Seit 20. Juni ist die Nutzung wegen „erheblicher brandschutztechnischer Mängel“ verboten. Auch wenn in Augsburg erneut darüber gestritten wird, ob das denn nun wirklich nötig sei: Konwitschny hat seine Inszenierung inzwischen für 2018 nach Heidelberg vergeben. Eine Augsburger Ausweichstätte war für seine Aufführung nicht infrage gekommen – schade für die Fuggerstadt, denn Idomeneo wäre kein Inszenierung-Remake sondern eine echte Neuproduktion aus des Meisters Hand gewesen.
Drei Jahre Vorlaufzeit
Mit dem Lebendighalten von Wünschen und Ideen hat Peter Konwitschny in DDR-Zeiten seine Erfahrungen gemacht: „Wenn man acht Jahre auf den Trabbi warten musste…“ 1945 wurde er in Frankfurt am Main geboren, wuchs aber in Leipzig auf, wo sein Vater Gewandhaus-Kapellmeister war. Heute lebt er in Neumarkt in der Oberpfalz.
Ohnehin veranschlagt Konwitschny für jede Inszenierung eine Vorlaufzeit von etwa drei Jahren: Die Gespräche mit Dramaturgen und Bühnenbildnern werden in „Notaten“ sehr detailliert und mit allen szenischen Vorgängen festgehalten. Für Idomeneo sind das 70 Seiten: „Es ist ein Stück über die Einübung eines ins Extreme getriebenen Gehorsams. Und der Deus ex machina, der den kretischen König von seinem Schwur befreit, kommt erst, als die Menschen völlig kaputtgespielt sind. Da kann es keine gute Lösung mehr geben.“
Konwitschnys Lieblingsszene: das Vier-Minuten-Rezitativ Idomeneo/Idamante (Padre, mio caro padre). Das lässt er von einem Streichquartett spielen, die Musiker kommen in ihrem Frack vom hinten auf der Bühne sitzenden Orchester zu den beiden Menschen, „die sich quälen müssen“.
Schon vor den Theaterferien hat Konwitschny eine weitere Inszenierung fertig eingetütet mit festem Premierentermin – gleichwohl auch in einem renovierungsbedürftigen Haus: Sein Boris Godunow von Modest Mussorgski hat am 1. Oktober im Staatstheater Nürnberg Premiere. In Nürnberg und mit Staatsintendant Peter Theiler hat Konwitschny viele Pläne: nach Boris Godunow kommt Verdis Attila als Übernahme von Wien am Spielzeitende, und Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten ist in der letzten Theiler-Spielzeit in Nürnberg für 2018 vorgesehen. Wenn Theiler dann nach Dresden geht, wird er dort Meyerbeers Die Hugenotten als Übernahme von Konwitschnys Pariser Inszenierung bringen.
Etwas besonders Russisches
Die Idee zu Boris Godunow hat beiden gut gefallen. Für Konwitschny, der auch in Moskau gearbeitet hat (zuletzt Der fliegende Holländer), ist es erstaunlicherweise eine Premiere: „Ein gutes, aber kein einfaches Stück. Was Besonderes, besonders russisch.“ Was ihm an dieser Oper gefällt: „Es ist ein freches Stück. Alles darin ist verlogen, es ist durchweg sarkastisch.“ Diese Linie setzt Konwitschny in seiner Inszenierung (ohne den nachträglich eingefügten „Polen-Akt“) fort: „Ich mache es nicht sentimental, dass Zar Boris immer verrückter wird und daran stirbt. Sondern er steigt aus – (Konwitschny verfällt ins heimische Sächsisch: „Macht euren Dreck alleene.“) – und geht mit einem Luftballon von der Bühne, wie ihn die Moskauer Kinder zur Krönung bekommen haben.“
Von seinen Bodyguards bekommt Boris nicht den üblichen Ornat, mit dem Zaren ins Kloster gehen, sondern einen legeren Sommeranzug. Mit dem steigt er ins Orchester hinunter.
Wenn Peter Konwitschny zudem berichtet, dass im Bühnenbild von Timo Dentler und Okarina Peter „aller Moskau-Klimbim“ fehlt, drängt sich die Frage nach dem Gegenwartsbezug auf: Kann man Boris mit Putin vergleichen? Solche direkten Analogien mag Konwitschny nicht, aber zum Verständnis, wie russische Politik über die Jahrhunderte hin funktioniert, sei die Oper doch eine Hilfe: mit der Sehnsucht nach dem fürsorglichen Väterchen, selbst wenn das Stalin heißt. Boris sei für ihn ein Vorbild, „weil er aussteigt, weil er nicht diesem Wahn folgt, seine Verantwortung bis zum Ende durchhalten zu müssen. Der Mann scheitert in dieser Schlangengrube der Politik und nimmt seinen Hut.“
Zivilcourage zeigen
Ehefrau Seollyeonn Konwitschny schaltet sich in die Diskussion ein – sie war drei Jahre lang erste Spielleiterin der Nationaloper Seoul und hat hierzulande erste Erfahrungen als Regisseurin in Eggenfelden (Die Gärtnerin aus Liebe) gesammelt. Ihre nun anstehende Inszenierung von Udo Zimmermanns Die weiße Rose in Augsburg ist nicht in Gefahr: Sie war von Anfang an für die „Brecht-Bühne“ geplant (8. Oktober). Seollyeonn Konwitschny hatte sich von der Augsburger Intendantin Juliane Votteler ein politisches Stück gewünscht. Der Bezug von Die weiße Rose zu Augsburg: Dort hatte Sophie Scholl 1000 Briefe gegen die Nazis verteilt. Was Seollyeonn Konwitschny aber nicht inszenieren will, ist eine Biografie der letzten Stunden von Hans und Sophie Scholl. Das seien für sie Symbolfiguren des Widerstands, und die vorüber- marschierende Volksmasse „macht die Botschaft der beiden wirkungslos.“ „Zivilcourage gegen den Faschismus“, dieses Thema will sie aufgreifen – übertragbar auf jede Zeit und jedes Land.
Wirkungslose Ratschläge
In ihrer Heimat Südkorea wäre man überrascht über eine Frau als Regisseur: Nach dort will sie signalisieren, dass das geht – auch als Anfängerin und Frau eines berühmten Mannes, die ihren eigenen Weg finden will. Wie funktioniert das Zusammenspiel der beiden? Peter Konwitschny: „Für meine Arbeit gibt sie mir gute Ratschläge.“ Antwort seiner Frau: „Aber die werden selten auf der Bühne realisiert.“ (Uwe Mitsching)
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