Kultur

Fürst Dimitri Nechljudow (Martin Aselmann) auf Rettungsmission: Er will den in Ketten gelegten „Grauen“ (Dimitri Wasserblaj) befreien. (Foto: Marion Bührle)

16.02.2018

Schwieriges Gutmenschentum

Die Tolstoi-Adaption „Auferstehung“ in der Nürnberger Bluebox verbindet Spiel und literarisches Experiment

Wer reich ist, kann Verzicht üben. Wer arm ist, wird diesen Verzicht nie verstehen können. Doch etwas nicht mehr besitzen wollen ist etwas ganz anderes, als etwas nie besessen zu haben. In einer der kräftigen Szenen von Akin Isletmes und Friederike Engels Tolstoi-Adaption Auferstehung, die in der Bluebox des Staatstheaters Nürnberg Premiere hatte, will Fürst Dimitri Nechljudow „seinen“ Bauern all sein Land schenken und entwirft die Utopie einer bäuerlichen Selbstverwaltung. Doch die Betroffenen interessiert das überhaupt nicht.
Ruth Macke und Pius Maria Cüppers sind sehr lustig in den Rollen der beiden Leibeigenen, denen eine Befreiung von oben nichts bringt; Martin Aselmann ist ein Fürst, der voll Edelmut nicht erkennen kann, dass ein Gerechter allein nie eine Revolution machen, dafür aber viel Gespött ernten kann.

Schräges Textarrangement

Regisseur Isletme und Dramaturgin Engel nehmen Tolstois Roman als Spielfläche, fügen Bruchstücke aus seiner Handlung aneinander, weben Texte von Heiner Müller, Ewald Palmetshofer und Franz Kafka hinein. Es macht Spaß, solch kluge und streckenweise recht schräge Textkompilationen zu kosten, weil hier Spiel und literarisches Experiment zusammenkommen.
Bei Tolstoi geht es um Nechljudow, der als Geschworener an einem Prozess gegen Katharina Maslowa beteiligt ist, in der er voll schlechten Gewissens jene junge Frau wiedererkennt, die er verführt und für ihre Zuneigung bezahlt hatte. Jetzt will er alles wiedergutmachen, folgt ihr in die Verbannung, will sie heiraten und all seinen Besitz hergeben. Es wird aber nichts wieder gut in einer Welt, die nicht gut ist.
Das scheint die zentrale Frage in dieser Inszenierung zu sein: Wie sollen Menschen eine moralisch integre Welt hinbekommen, wenn sie selbst nicht moralisch integer sind? Wie soll es einer Revolution gelingen, eine Gesellschaft zu perfektionieren, wenn die, die sie machen, selbst nicht perfekt sind – und das können sie sowieso nie sein.

Archaisches Bild

Regie und Ausstattung (von Lena Scheerer und Julie Véronique Wiesen) begegnen diesen Fragen durch ein zentrales, archaisches Bild: Auf schwarzer Drehscheibe zieht ein Mann in Ketten (Dimitri Wasserblaj) Unsichtbares hinter sich her wie ein Knecht im Geschirr einen Pflug. Der Verdacht liegt nahe, dass er es ist, der die Welt an sich in Bewegung hält. Fürst Dimitri kann ihn nur befreien, indem er selbst ins Geschirr schlüpft: Die Welt wird sich immer drehen, so wie sie ist. Freiheit kommt von innen, vom Glauben, meint Tolstoi, Revolution gelingt nur an und in einem selbst: Auferstehung.
Die Inszenierung, die sich weit wegbewegt von allem Tolstoi’schen Realismus, hält sich immer auf einer leicht absurden, albtraumhaften Ebene auf, wird unterstützt von der Musik von Matthias Schubert, die das Scheibendrehmoment durch Loops und Kratzgeräusche betont, als sei jene rotierende Scheibe eine hängende Langspielplatte. Und dennoch hält sich die Regiearbeit immer in Rufnähe zu Tolstois Gedankenwelt auf, auch wenn Katharina (Lilly Gropper in konzentrierter Reduktion der Figur) allmählich gegen die weibliche Rolle protestiert, ständig nur Projektionsfläche für männliche Moralweisheiten zu sein.
Ein ganzer, umfänglicher Tolstoi-Roman, eingedampft auf knapp 90 Minuten und für fünf Personen: Geht schon. (Christian Muggenthaler)

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