Kultur

Anna-Katharina Tonauer als Carmen und Alexandros Tsilogiannis als Don José machen verletzliche Zwischentöne hörbar. (Foto: Markus Tordik)

25.10.2024

Teuflischer Sog mit abgründiger Stringenz

Eine neue „Carmen“ am Münchner Gärtnerplatztheater

Das Wunder vollzieht sich im Vorspiel zum dritten Akt. Was da das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz mit seinem Chefdirigenten Rubén Dubrovsky am Pult aus dem Graben zaubert, das ist vollendete Klangkultur. Eine derart luzid und glasklar sezierte, schlanke Farbenpracht erlebt man nicht alle Tage. Auch sonst offenbarte die besuchte B-Premiere, wie sehr diese Neuproduktion der Carmen von Georges Bizet mit manchen Hörklischees aufräumt.

Verletzter Stolz

In der Titelpartie schmettert Anna-Katharina Tonauer keine äußerliche Virtuosität, um das einfältige Bild einer Femme fatale zu zeichnen. Ihre Carmen sehnt sich im Grunde nach Liebe, handelt aus verletztem Stolz. Das ist in jedem Moment wahrnehmbar.

Durchwegs wird auch auf fragile, verletzliche Zwischentöne gesetzt. Das gilt ebenso für den Don José von Alexandros Tsilogiannis. Dessen subtil-brüchiges Timbre macht die gebrochene Seele eines ehrlich und unglücklich Liebenden hörbar. Auch er sehnt sich nach Liebe, glaubt fest an die eine, richtige Person. Dass er am Ende mordet, wirkt hier nicht so sehr wie Rache aus Eifersucht, es ist abgründige Hilflosigkeit, die ihn dazu treibt. Das macht die Tat nicht besser, aber man würde ihn gerne umarmen und aus seinem Teufelskreis befreien.

Genau das versucht Micaëla (Mária Celeng). Mit ihr hat José im Grunde längst die perfekte Liebe gefunden, will und kann es jedoch nicht wahrhaben – geblendet von Carmen. Selbst der stolze Torero und Schürzenjäger Escamillo (Daniel Gutman) kann nicht von ihr lassen.

Anklang an Faschismus

Diese Carmen wirkt wie eine Borderlinerin in einem Umfeld, das in weiten Teilen ausgesprochen testosterongesteuert und herrisch erscheint. Der Machtmissbrauch ist hier gängige Praxis. Dafür steht der Leutnant Zuniga (Holger Ohlmann), der sich in der Regie von Herbert Föttinger wie ein Offizier im spanischen Franco-Faschismus geriert. Im ersten Akt wird dieser zeithistorische Bezug in der Ausstattung von Alfred Mayerhofer und der Szenerie von Walter Vogelweider besonders deutlich. Die Soldaten putzen ihre Stiefel, sie tragen braune Uniformen.

Im weiteren Verlauf wird auf szenische Reduktion gesetzt. Kein unnötiger Schnickschnack oder verkopftes Störfeuer in der Regie lenkt von dem tödlich endenden Dreiecksdrama ab. Das alles entfacht eine geradezu teuflische Sogwirkung mit abgründiger Stringenz, steigert sich unaufhörlich, bis Carmen niedergestochen wird. Alles spult sich linear ab, keine komplizierten Entstellungen: zurücklehnen und staunen. (Marco Frei)

 

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