Kultur

Eisige Welt der Psychiatrie (Barbara Hannigan als Gerda, Thomas Gräßle in der Rolle des Kay). (Foto: Wilfried Hösl)

24.12.2019

Trip in den Wahnsinn

Andreas Kriegenburgs Münchner Inszenierung von Hans Abrahamsens „The Snow Queen"

Er hat zuletzt einige Bühnenflops kreiert. Mit seiner aktuellen Neuinszenierung des Dreikaters The Snow Queen von Hans Abrahamsen nach dem gleichnamigen Kunstmärchen von Hans Christian Andersen, realisiert für die Bayerische Staatsoper, ist Andreas Kriegenburg gedoch insgesamt ein starker Wurf geglückt. Der Regisseur hat nämlich der Schneekönigin das Märchen ausgetrieben: auf berührende und zugleich beklemmende Weise.

Das passt nicht nur zur originären Intention von Andersen, für den Märchen stets die Realität widerspiegelten, sondern letztlich auch zur Vertonung von Abrahamsen. Schon Mitte Oktober wurde diese erste Oper des dänischen Komponisten in Kopenhagen uraufgeführt, auf Dänisch. In München wurde erstmals die englische Fassung aufgeführt - noch dazu mit Barbara Hannigan. Für sie hatte Abrahamsen bereits den Liederzyklus let me tell you geschrieben.

Auch die Hauptrolle der Gerda aus The Snow Queen hat Abrahamsen originär für Hannigan entworfen - aber erst in der Münchner Inszenierung hat sie die Partie gestaltet, weil sie nicht auf Dänisch singt.

Es geht um Gerda, die nicht akzeptieren will, dass ihr Spielgefährte Kay zu einem unnahbaren, gefühlskalten Menschen mutiert ist. Sie macht sich auf den Weg, um ihn aus seiner Eiszeit zu erwecken.

Das erinnert an Orpheus, der seine geliebte Eurydike aus dem Totenreich befreien will - nur eben mit vertauschten Geschlechterrollen. Von der Schneekönigin wurde Kay ver- und entführt, was allein eine ungeheure Vieldeutigkeit geriert. Abrahamsen denkt das Spiel mit tradierten Geschlechterrollen weiter. Sein Kay ist eine Hosenrolle (Rachael Wilson). Die Schneekönigin ist hingegen keine „Königin der Nacht“, die mit stählern-kalten Koloraturen um sich wirft, sondern ein seriöser Bass (Peter Rose). Er ist eine Mischung aus Väterchen Frost und Sarastro. Wie der strenge, weise Hohepriester aus der Zauberflöte gibt auch er gefährliche Prüfungen auf.

Bei Kriegenburg wird die Reise Gerdas auf der Suche nach Kay ein Trip in den Wahnsinn. Auf der Bühne von Harald B. Thore vollzieht sich dieser Trip in einer Psychiatrie. Gerda und Kay sind hier ein erwachsenes Paar, stellenweise gespiegelt von zwei Kindern.

Ein stummer Prolog vor dem eigentlichen Beginn der Oper macht deutlich, dass Gerda ihren Kay verloren hat. Offenbar leidet er an einer psychischen Krankheit. Dass bei Andersen die Eissplitter, von denen Kay getroffen wird, sinnbildlich für ein Trauma oder eine Psychose stehen könnten, ist nicht neu. Bei Kriegenburg aber hat die „Befreiung“ Kays einen hohen Preis: nämlich den Wahnsinn Gerdas.

Kriegenburg koppelt die Schneekönigin mit Filmen der 1970er-Jahre, die in Psychiatrien spielen: allen voran Einer flog über das Kuckucksnest mit Jack Nicholson sowie Ich habe Dir nie einen Rosengarten versprochen mit Kathleen Quinlan und Bibi Andersson. Aus Gerda wird fast schon die schizophrene Deborah aus dem Rosengarten. Zwar wird Gerdas Welt nicht von strengen Göttern und archaischen Stammesriten beherrscht, dafür aber weisen ihr Krähen, Rosen, Rentiere und skurrile Königskinder den Weg zu Kay: Patienten und Personal der Klinik.

Im Gegensatz zu Deborah gewinnt Gerda nicht den Kampf gegen die Krankheit, sondern verliert ihn. Im dritten Akt lüftet Kriegenburg das Geheimnis seiner Schneekönigin. Sie ist der Oberarzt der Klinik. Gerda steht vor die Wahl, ob sie Kay in den Wahnsinn folgen oder seine Welt verlassen möchte. Diese Schneekönigin ist beides: die eiskalte „Big Nurse“ aus dem Kuckucksnest und die helfende Ärztin aus dem Rosengarten. Am Ende verliert Gerda den Verstand, um die Vereinigung mit Kay zu gewinnen.

Das passt zur Musik Abrahamsens. Unter den quasi-minimalistischen Repetitionen dringt Hannigans Gerda immer tiefer in die Wahnwelten ein, und die mikrotonalen Brechungen gerieren eine buchstäblich "ver-rückte" Klanglichkeit. Unter Cornelius Meister hat das Bayerische Staatsorchester dies eindrücklich eingefangen. (Marco Frei)

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