Man spricht von der Staatsbibliothek, gemeinhin sagt man „ich geh’ in die Stabi“ – und das in München ebenso wie in Ansbach, Augsburg, Bamberg, Neuburg an der Donau, Passau und Regensburg. Die sprachliche Saloppheit könnte leicht annehmen lassen, dass die Zentrale in München ist und es sich in den anderen Städten um deren Zweigstellen handelt. Mitnichten!
Diese Bibliotheken im Land sind keine Ausgliederungen der Bayerischen Staatsbibliothek, sondern im Organigramm des Wissenschaftsministeriums dieser nur „nachgeordnet“. Sie sind historisch gewachsene eigenständige Häuser – deshalb heißen auch nicht alle zehn regionalen staatlichen Bibliotheken gleich. In den Reigen gehören ebenso die Provinzialbibliothek Amberg, die Hofbibliothek Aschaffenburg, die Landesbibliothek Coburg und die Studienbibliothek Dillingen. Auch in Augsburg gibt es eine namentliche Besonderheit: Dort ist es nämlich die Staats- und Stadtbibliothek.
Es ist bezeichnend, dass die neue Ausstellungstrilogie über Gott, die Welt und Bayern in der Bayerischen Staatsbibliothek in München ihren Katalog nicht mit dem Feinsten aus ihren Schatztruhen aufmacht, sondern mit Kurzporträts dieser regionalen Bibliotheken. Das Wissen um deren unterschiedliche Ursprünge ist nämlich integraler Bestandteil all der Biografien dieser ausgestellten Kostbarkeiten.
Kaiserliches aus Bamberg
Das wird schon gleich beim ältesten Exponat deutlich, dem Lorscher Arzneibuch aus der Staatsbibliothek Bamberg. Um 800 im hessischen Lorsch von Benediktinern geschrieben, gelangte es in die Bibliothek Ottos III. Der junge Kaiser wird als hochbegabt und intellektuell beschrieben. Die medizinische Sammelhandschrift aus Lorsch war zu seinen Lebzeiten zwar schon rund 200 Jahre alt, hatte aber von ihrer aus der Zeit Karls des Großen revolutionären Sicht auf die Medizin nichts eingebüßt: In ihr gelang es, die lange verpönte „heidnische“ griechisch-römische Medizin mit der abendländisch-christlichen Glaubenswelt des Mittelalters unter einen Hut zu bringen. Es ist ein Lehr- und Praxisbuch – das älteste in Deutschland erhaltene zur Medizin. Otto III. starb im Alter von nur 22 Jahren. Auf dem Königs- und später auf dem Kaiserthron folgte ihm Heinrich II., der Gründer des Bistums Bamberg. Das Lorscher Arzneibuch hatte Heinrich aus Ottos bibliothekarischem Erbe übernommen. Er übergab es der neuen Dombibliothek.
Weltliches im Rampenlicht
Vielleicht war das Werk in seiner recht nüchternen Aufmachung den Inspekteuren der Säkularisation zu unbedeutend, sodass sie es nicht nach München zur dortigen Hofbibliothek einheimsten, sondern der Kurfürstlichen Bibliothek Bamberg zuschlugen. Deren Rechtsnachfolger ist die Staatliche Bibliothek Bamberg. Und die hütet mit dem Lorscher Arzneibuch nun ein Unesco-Weltdokumentenerbe sowie eine Reihe anderer Höhepunkte aus der Bibliothek des mit Bamberg aufs Engste verbundenen Heinrich II., der im dortigen Dom begraben ist.
Natürlich sind es in erster Linie konservatorische Gründe, dass die Bamberger Staatsbibliothek nicht eine der ebenfalls als Weltdokumentenerbe geadelten Prachtbibeln zur Ausstellung nach München entlieh. Aber auch wenn der Ausstellungstitel als Bezugspunkt Gott an erster Stelle nennt und die Geschichte der Bibliotheksschätze mit gottgefälligen Werken ihren Anfang nahmen, auch wenn man religiöses Schrifttum aus Amberg, Aschaffenburg, Augsburg und Passau in den Vitrinen zu sehen bekommt: Viel Rampenlicht fällt auf solche Werke – immer mit spezifischem Bezug zur Sammlungsgeschichte des jeweiligen Hauses –, die von der Aneignung der Welt in all ihren Facetten erzählen.
So kommt für den ersten Teil der Ausstellung aus der Landesbibliothek Coburg eine astronomisch-astrologische Sammelhandschrift des 15. Jahrhunderts. Es ist wohl ein fürstliches Kunstkammerobjekt – in der Landesbibliothek sind die Sammlungen der einstigen Hof- und Staatsbibliothek Sachsen-Coburg und der Herzoglichen Privatbibliothek zu finden. Ebenfalls aus kursächsischem Erbe stammt die Handschrift eines der Renner erbaulicher Literatur im 16. und 17. Jahrhundert: die abenteuerliche Liebesgeschichte der schönen Magelone.
Recht bodenständige Literatur stammt aus Bamberg, Regensburg und Passau: ein Buch zum kaufmännischen Rechnungswesen im Mittelalter, eine Anleitung für Steinmetze, ein Kräuterbuch und das aufschlussreich illustrierte Feldbuch der Wundartzney. Abgründe der Rechtsgeschichte dokumentiert eine Ausgabe des Hexenhammers aus Regensburg: Die handschriftliche Notiz über eine Hexenverbrennung am 29. Juli 1527 ist der einzige einschlägige Nachweis zu dieser Urteilsvollstreckung in der Region.
Für den Aufbruch aus diesem düsteren Kapitel in neue geistige Welten steht humanistisches Schriftgut aus der Bibliothek des Konrad Peutinger; seine Sammlung gelangte über die Bibliothek des Augsburger Jesuitenkollegs im Zuge der Säkularisation in die (heutige Staats- und) Stadtbibliothek.
Aufbruch zu neuen Welten
Um die Erweiterung des geografischen Horizonts wird es im zweiten Teil der Ausstellungstrilogie gehen, die unter dem Titel Aus Orient und Okzident Bücher, Karten und Globen des 16. und 17. Jahrhunderts zur Schau stellt. Die von 100 Kostbarkeiten begleitete Reise durch die verschiedenen Bibliothekstresore wird im Sommer 2019 mit dem Kapitel Krieg und Frieden, Freud und Leid enden. Dann wird die Hofbibliothek Aschaffenburg unter anderem eine Statuette von Shou Lao nach München entsenden – geradezu programmatisch, möchte man angesichts dieser überfälligen Leistungsschau der regionalen staatlichen Bibliotheken meinen: Shou Lao ist der Gott des langen Lebens. (Karin Dütsch)
Information: Bis 13. Januar. Bayerische Staatsbibliothek, Schatzkammer, 1. Stock, Ludwigstraße 16, 80539 München. Mo. bis Fr. 11-18 Uhr und So. 13-17 Uhr. www.bsb-muenchen.de
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