Kulturschaffende in lauter Stille heißt der Film, den man sich auf Youtube ansehen kann beziehungsweise sollte. Gemacht ist er, um auf die Situation der Kunst- und Kreativwirtschaft im erneuten Lockdown und damit auf die verschlossenen Podien für das eigene Schaffen hinzuweisen. Mit 90 Minuten hat er die Länge eines abendfüllenden Spielfilms.
Doch man sieht nur einen leeren Zuschauerraum, dann eine leere Leinwand – auf diese starrt man Minute um Minute. Das ist „unser Kommentar“, sagt Marina Anna Eich, Filmproduzentin und Schauspielerin als Vertreterin einer Kinobranche, die gerade einmal wieder ins Leere schaut. Jetzt schaut die Leere zurück. „In diesem Kino“, sagt Eich, „haben wir schon einmal gedreht, und eben auch den Zuschauerraum gefilmt, ebenso die Leinwand.“ Ein Griff ins Archiv und fertig war Kulturschaffende in lauter Stille – nach dem Beispiel des Videoclips SangUndKlanglos der Münchner Philharmoniker, bei dem Musikerinnen und Musiker einen Konzertraum betreten, ihre Instrumente bereithalten, sie aber nicht spielen und dann reihum die Bühne wieder verlassen. Tonlos und schweigend.
Denn das ist die aktuelle Situation von Kunst und Kultur. Als sei dieser auch wirtschaftlich bedeutende Erwerbszweig ein verzichtbares Anhängsel, das man sich in guten Zeiten leistet, aber auf Nummer eins der Hitliste der Verzichtbarkeit steht. Wie ein süßes Ablenkerchen nach dem Abendessen. Und nicht der dringend nötige Stabilisator einer jeden Gesellschaft, die auf Kurs bleiben will, ein Kiel für die Fahrt in die Zukunft. „Es wäre unfair“, sagt Eich, „Nahrung für Geist und Seele so abzustempeln“, als wäre sie etwas Zweitrangiges. Nahrung für Geist und Seele: Das gelte von Mario Barth bis Hölderlin.
Beispiel Theater: Das sei ja nun kein „bloßer Zeitvertreib, der von kritischer Zeitgenossenschaft nichts wissen will“, kommentierte der Moderator des Bayerischen Rundfunks und profilierte Theaterkritiker Christoph Leibold in der jüngsten Sendung Jazz und Politik, als er die logische Folge leerer Bühnen beschrieb: „Ein geschlossenes Theater kann keine unbequemen Fragen mehr stellen.“
Der Simulation entgehen
Es gehe also auch um die Verhältnismäßigkeit von Corona-Schutzmaßnahmen. Fakt ist: Die bayerischen Theaterbühnen mit ihren Lüftungs- und Hygienekonzepten sind sicher. Ein Pilotprojekt mit 500 Besuchern im Nationaltheater München hat ergeben: Liegt ein schlüssiges Hygienekonzept vor, gehen von Kulturveranstaltungen keine erhöhten Ansteckungsrisiken aus. Auch Klaus Kusenberg, Schauspielchef und ab nächster Saison Intendant am Theater Regensburg, berichtet von vielen Zuschauern, die sagen: „Ich fühle mich vollkommen sicher bei euch.“ Vor diesem Hintergrund sei es „gut, dass die Theater sich massiv zu Wort gemeldet haben“. Denn: „Wir arbeiten rund um die Uhr daran, dass wir abends spielen können. Wenn das wegfällt, wird alles zur Simulation.“
Und genau das zeigt der Film auf beeindruckende Weise. Auch nach 45 Minuten von Kulturschaffende in lauter Stille herrscht gähnende Leere auf der Leinwand. Aber man kann auf sie Bilder phantasieren: Wie von einem vollen Königsplatz in München. Denn inzwischen werden diese Kulturschaffenden wirklich lauter. Sie haben in München demonstriert, klargemacht, wie viele Betroffene es gibt, die wirklich und wahrhaftig um ihre Existenz fürchten müssen. Das geht von oben bis unten, beispielsweise von der Profiband, die nicht mehr spielen kann, bis zum Roadie, der keine Technik mehr aufbauen kann. Betroffen sind Chöre, kleine Theater, Autor*innen, die auch von Lesungen leben, und, und, und…
Die Infrastruktur bricht weg
Es bricht gerade eine komplette Infrastruktur weg. Kulturbetriebe mit ihren vielen Freien und Minijobbern lassen sich nicht einfach wieder einschalten, weil sich viele bis dahin zwangsläufig längst eine Alternative gesucht haben. Das geht bis ins kleinere Geäst. Beispiel: Ein Betrieb wie der Rocket Club in Landshut, eine Bühne für Bands und DJs. Thomas Widmair, einer der beiden Betreiber des Szenebetriebs, befürchtet: „Irgendwann ist ein gutes Team unwiederbringlich verschwunden.“
Ein Wiederaufbau zusammengebrochener Strukturen dauert. Die beiden haben sich mit Bundestags- und Landtagsabgeordneten der Grünen getroffen, um über die Situation von Betroffenen zu reden. Die örtliche Landtagsabgeordnete Rosi Steinberger monierte dabei: „Die Branche haben viele nicht auf dem Schirm gehabt.“ Es gehe vor allem um finanzielle Sicherheit und Planbarkeit. Und klar wurde beim Treffen auch: Gerade die Kultur- und Kreativwirtschaft hat nicht, wie viele andere Branchen, eine laute Lobby.
Aber die ist gerade im Entstehen: Der Film Kulturschaffende in lauter Stille, ist ein Projekt im Rahmen der Initiative #Alarmstufe Rot der deutschen Veranstaltungwirtschaft. Und es gibt zahlreiche offene Briefe und Petitionen. Groß ist die Hoffnung, schon etwas erreicht zu haben: Die Bayerische Staatsregierung hat neue Hilfen für Kunst und Kultur in der Krise angekündigt.
Denn es stellt sich schlussendlich, so Kusenberg. die Frage: „Was macht uns zu Menschen? Das hat mit Kunst und Kultur zu tun. Sie schulen Empathie, Verantwortungsgefühl, Phantasie. Nur arbeiten und Geld verdienen wird uns in die Barbarei führen.“ (Christian Muggenthaler)
Information:
youtu.be/95r_X0ZJSjs und www.alarmstuferot.org
Abbildung:
Ein abendfüllender Film zeigt eine dauerhaft leere Leinwand: Wo nichts ist, geht auch nichts weiter. (Fotos: Eich)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!