Kultur

Blick aus der Vogelperspektive: Im Innenhof der Kongresshalle soll ein neuer Ergänzungsbau (vollständig begrünt) entstehen und als neue Spielstätte für das Staatstheater Nürnberg fungieren. Links und im Vordergrund ist der Dutzendteich zu sehen. (Visualisierungen: Georg Reisch GmbH & Co. KG)

31.01.2025

"Viele Menschen kommen, um sich zu informieren“

Julia Lehner (CSU), Nürnbergs Zweite Bürgermeisterin und Kulturreferentin, über den Umgang mit dem baulichen Erbe der NS-Diktatur in der Frankenmetropole

Nürnberg hat wie keine andere deutsche Stadt eine besondere Verantwortung im Umgang mit dem baulichen Erbe der NS-Diktatur. Kongresshalle, Zeppelintribüne und Zeppelinfeld sind nach wie vor präsent im Südosten der Stadt in unmittelbarer Nähe der international erfolgreichen Nürnberg Messe. 

BSZ: Frau Professorin Lehner, ich kann mich an meine Schulzeit in den frühen 1980er-Jahren in Nürnberg erinnern, als wir im Rahmen des Geschichtsunterrichts das Reichsparteitagsgelände angesehen haben. Damals wie heute konnte man die Überreste von außen ansehen. Eine Art Museum zur Aufarbeitung der Nazidiktatur gab es aber nicht.
Julia Lehner (kleines Foto): So habe ich das zu meiner Schulzeit auch erlebt. Nürnberg kann sich daher sehr glücklich schätzen, dass seit November 2001 das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände diese Aufgabe übernimmt. Die darin installierte Dauerausstellung befasst sich mit den Ursachen, Zusammenhängen und Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft. Derzeit wird die Einrichtung saniert. Das Interesse an den Zusammenhängen ist und bleibt groß, die Vermittlung eine verpflichtende Aufgabe.

BSZ: Jetzt soll im Innenhof der Kongresshalle, die nie vollendet wurde, eine Spielstätte für das Staatstheater Nürnberg errichtet werden, weil das Opernhaus generalsaniert werden muss. Was ist geplant?
Lehner: In Summe entsteht derzeit weitaus mehr als „nur“ eine Spielstätte für das Staatstheater Nürnberg. Im sogenannten Innenhof der Kongresshalle entsteht ein neuer Aufführungsraum. Im Bestand des Baus, einem der größten steinernen Relikte der NS-Zeit und bislang weitgehend ungenutzt, werden Räume sowohl für das Staatstheater als auch für die freien Szenen aus Kunst und Kultur ertüchtigt. Hier werden Ateliers, Proberäume, Veranstaltungsflächen und ein Ausstellungsraum realisiert. Die Kongresshalle ist ja schon Kulturort, das Orchester der Nürnberger Symphoniker spielt hier seit 1963, über das Dokumentationszentrum haben wir gerade gesprochen. Jetzt wird dieser Nutzungsansatz erweitert, auch in dem Sinne, dass von hier aus neue Impulse für erinnerungskulturelle Arbeit ausgehen sollen.

BSZ: Wie sehen die aus?
Lehner: Auch auf dem gesamten ehemaligen Reichsparteitagsgelände setzt die Stadt Nürnberg große Aufgaben um: Die Zeppelintribüne und das vorgelagerte Feld werden, auch dank großer Unterstützung des Bundes und des Freistaats, instand gesetzt und zu einem Lern- und Begegnungsort entwickelt. Der Bahnhof Märzfeld, ein Opferort, von dem aus Jüdinnen und Juden aus Nürnberg und Nordbayern in die Todeslager deportiert wurden, wird endlich zu einem würdigen Gedenkort gestaltet.

BSZ: Ist es opportun, das bauliche Erbe der Nationalsozialisten zu erhalten? Wäre es nicht besser, einfach alles zu sprengen?
Lehner: Bereits 1967 ist die Pfeilergalerie der Zeppelintribüne gesprengt worden. Seitdem stand die Frage nach Erhalt und Abriss der baulichen Relikte des NS-Regimes im Mittelpunkt der politischen und gesellschaftlichen Debatte. Diese wurde im Anschluss jedoch nur nachlässig oder nahezu gar nicht mehr geführt. Erst mit der Institutionalisierung des Dokumentationszentrums und der Etablierung von klaren Leitlinien gilt es als Konsens, das Gelände mit seinen Bauten im Sinne eines „Nie wieder!“ zu erhalten. die Nachfrage nach musealen wie didaktischen Angeboten stützt diesen Ansatz deutlich, es kommen viele Menschen nach Nürnberg, um sich zu informieren.

BSZ: Wie viele sind es und woher kommen sie?
Lehner: Das Dokumentationszentrum verzeichnete zuletzt weit über 300 000 Besucherinnen und Besucher, in etwa gleich viele Menschen besuchen auch das ehemalige Reichsparteitagsgelände, viele dieser Personen kommen aus dem Ausland, etwa den USA, aus Asien, Israel und ganz Europa.

BSZ: Nun soll eine Spielstätte für das Staatstheater Nürnberg in der Kongresshalle realisiert werden. Ist da genug Platz? Denn die Halle wird ja bereits genutzt.
Lehner: Allein im Bestand sind die noch vorhandenen Raumkapazitäten der Kongresshalle, von der im Grunde nur die Fassaden mit Funktionsräumen errichtet wurden, mit circa 80 000 Quadratmetern enorm. Diesen Raum wollen wir nun in weiten Teilen nachhaltig ertüchtigen und für Kunst und Kultur nutzbar machen. Da hier schon renommierte Kulturplayer mit Erfolg tätig sind, ist eine weitere kulturelle Nutzung durchaus schlüssig. Sicher erfordert dies auch Mut, Nürnbergs Stadtrat stützt das Vorhaben aber mit einer deutlichen Mehrheit. Auch der Freistaat und der Bund engagieren sich bereits in großem Ausmaß. Ministerpräsident Markus Söder und Staatsminister Markus Blume waren jüngst zum Baustart vor Ort und bekräftigten die Absicht, das Vorhaben nach Kräften zu fördern.

BSZ: Wie soll die Spielstätte für das Staatstheater Nürnberg aussehen?
Lehner: Der notwendige Neubau mit Zuschauerraum wird Platz bieten für etwa 800 Zuschauerinnen und Zuschauer. Die Außenseiten werden vollständig begrünt und erzeugen somit bewusst einen Gegensatz zu dem massiven Kongresshallen-Torso. Dort, wo auf natürlichem Weg in den vergangenen Jahrzehnten nichts wachsen konnte, wächst nun wieder etwas. Wer nach der Fertigstellung der Spielstätte den Innenhof durch den Torbogen betritt, wird rechter Hand eine bepflanzte Wand sehen, die sich leicht in die Mittelachse schiebt. Erst auf den zweiten Blick wird der Theaterbau in seiner Gesamtheit sichtbar, der jedoch durch seine Gestaltung und Position die Wahrnehmbarkeit des Kongresshallen-Torsos so wenig wie möglich beeinträchtigt.

BSZ: Wie kommen die Zuschauer in den Neubau?
Lehner: Der Neubau wird mit dem Kongresshallen-Rundbau lediglich über zwei schmale Zuführungen verbunden sein. Eingriffe in das denkmalgeschützte Gebäude werden so möglichst minimiert. Die verglasten Übergänge geben auf dem Weg in den Zuschauersaal oder in den Pausen den Blick auf die Ziegelmauern des Innenhofs frei. Als Besucher wird man sich dem Ort also nicht entziehen können, zumal der Haupteingang zur neuen Spielstätte durch den Bestandsbau führen wird. Auch dies ganz im Sinne einer gewollten Auseinandersetzung mit dem Ort.

BSZ: Wer wird den Neubau realisieren?
Lehner: Im Sinne eines Totalübernehmers steht die Georg Reisch GmbH & Co. KG aus Bad Saulgau im Verbund mit dem Stuttgarter Architekturbüro LRO GmbH & Co. KG in der Verantwortung. In dieser Konstellation konnten zuletzt große Projekte erfolgreich umgesetzt werden, und zwar ohne Zeitverzug und im vorgegebenen Kostenrahmen. Hierzu zählt etwa die hochgelobte Realisierung des Münchner Volkstheaters.

BSZ: Wie viel kostet der Neubau und wie viel kosten die anderen Maßnahmen zur Instandhaltung des Reichsparteitagsgeländes?
Lehner: Für die notwendigen Arbeiten im Bereich der Kongresshalle wird mit 296 Millionen Euro kalkuliert. Die größten Posten hierbei sind die Schadstoffsanierung, der Substanzerhalt des denkmalgeschützten Baus, die Ausbauten für sogenannte Ermöglichungsräume für Kunst und Kultur und für das Staatstheater Nürnberg. Auf den entstehenden Neubau entfallen hiervon insgesamt 85,5 Millionen Euro. Die Förderlandschaft ist komplex und uneinheitlich, insgesamt wird die Förderquote hier voraussichtlich bei 70 Prozent liegen.

BSZ: Und wie sieht es mit dem Rest des Geländes aus?
Lehner: Etwas übersichtlicher gestaltet es sich mit Blick auf Zeppelinfeld und Zeppelintribüne und den hier entstehenden Lern- und Begegnungsort. Die Gesamtsumme beträgt hier 85,1 Millionen Euro, der Bund hat hier bereits Mittel in Höhe von 42,55 Millionen für die bauliche Sicherung bereitgestellt. Freistaat und Stadt kommen hälftig für die verbleibende Summe auf. Dieser Dreiklang wird auch bei der Sanierung des Dokumentationszentrums praktiziert. Aus verschiedenen Förderprogrammen des Bundes und des Freistaats setzt sich die Summe von 11 Millionen Euro zusammen, mit der das insgesamt 25,7 Millionen Euro teure Vorhaben unterstützt wird. Die Stadt Nürnberg ist sehr dankbar, dass sich Bund und Freistaat in hohem Maße engagieren und bereit sind, umfangreiche Fördermittel zur Verfügung zu stellen, und somit bestätigen, dass der Umgang mit diesem kontaminierten architektonischen Erbe nicht allein kommunale Aufgabe sein kann und darf. Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung und unser gemeinsamer Auftrag. (Interview: Ralph Schweinfurth)

(Kleines Foto: Stadt Nürnberg/Christine Dierenbach)

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