Russischer Kaviar, Schildkrötensuppe, Filetbraten, Waldschnepfenpastete, aufgespießte Langusten und Hummer, Zander in Sülze, umkränzt von Strebebögen aus Buchskränzen mit goldenen Seepferdchen. Ein Lustgarten aus jungem Gemüse mit aus Bohnen gebundenen Hecken und Lauben. Nester mit bunten Eiern, Hahn und Henne, geschmückt mit Fabelblumen aus Paprika, Radieschen und Zwiebeln sowie Obst, Nachtisch und Gefrorenes, dargeboten von einem Eisbären.
Und es gab noch viel mehr Wundersames bei diesem alle Sinne berauschenden Essen, begleitet von Festmusik, Gedichten und Fanfarenklängen zu einem Zehn-Gänge-Menü anlässlich des vor 125 Jahren eingeweihten Münchner Künstlerhauses. Während dieses fünfstündigen Festbanketts am schneereichen 31. März 1900 bedienten damals so beschriebene „dunkle Söhne des Orients in prächtigen Gewändern“ die 216 geladenen Gäste. Ein Chor kostümierter Frauen servierte den Festwein.
Im Eisbärenfell steckte im Übrigen der Sohn des Kunstgewerblers Lorenz Gedon, einer der Gründerväter des Künstlerhauses, zu denen auch die Künstler Franz von Lenbach, Gabriel von Seidl, Fritz August von Kaulbach und Ferdinand von Miller gehörten. Gegen Eintritt konnten an den drei darauffolgenden Tagen die Räumlichkeiten einschließlich der Prunktafel vom Festbankett im großen Saal mit den von Künstlerhand gestalteten Schaugerichten von der Öffentlichkeit in Augenschein genommen werden.
Ein Eisbär servierte die Nachspeise
Der Auftakt der Feierlichkeiten hatte bereits am 29. März mit der Huldigung der Künstler vor dem Prinzregenten von Bayern stattgefunden. Am selben Abend war im Festsaal das von Benno Becker eigens gedichtete Festspiel aufgeführt worden, zu dem Max Schillings die Musik komponiert hatte. Das mit Pomp und Gloria einhergehende Münchner Großereignis fand einen Nachhall auch im hohen Norden. Die Berliner Zeitschrift Die Woche berichtete: „Der stolze Bau im Renaissancestil, ein Meisterwerk Gabriel Seidls, der eine Hauptzierde der bayerischen Residenz ist, eignet sich wie kein anderer zu prunkvollen Festlichkeiten.“
Seidl war von 1878 bis zur Vollendung des Künstlerhauses, als dessen Hauptinitiator Münchens tonangebender Malerfürst und Präsident der Münchner Künstlergenossenschaft Franz von Lenbach mit Fug und Recht gelten kann, als führender Architekt beteiligt.
Der für den „intimen“ wie „vornehmen“ Bau verantwortlich zeichnende Stararchitekt, dessen Name sich in einem Atemzug mit der noch heute bestehenden Münchner Künstlergesellschaft Allotria, der Heimatschutzbewegung, dem Isartalverein und dem Historismus verbindet, war auch der Erbauer des ein halbes Jahr später eröffneten Bayerischen Nationalmuseums sowie des Sammlungsbaus des Deutschen Museums, der Lenbachvilla, zahlreicher Kirchen, Rat- und Gasthäuser.
In der Beurteilung der zeitgenössischen „Modernen“ war Seidl allerdings umstritten. Sein ins Weichbild der Stadt am Maximiliansplatz (heute Lenbachplatz) zwischen der Synagoge (von Albert Schmidt) und dem bereits 1825 eröffneten Hotel Leinfelder malerisch eingebettetes Künstlerhaus, eingerichtet im altdeutschen Stil, wurde als „Schwanengesang der Alten“ verspottet.“
Erste Planungen zum Bau eines Künstlerhauses in München gab es bereits seit einem halben Jahrhundert, bevor Ende März 1900 für die Künstler ihr Traum von einer eigenen Heimstätte in Erfüllung ging. Aus einem Sitzungsprotokoll des Künstlerunterstützungsvereins geht hervor, dass unter dessen Mitgliedern bereits um 1850 der Künstlerhausgedanke erwogen wurde. Zu den allerersten anvisierten Bauplätzen zählte die Maximilianstraße.
Verantwortlich zeichnete für den ersten nicht realisierten Künstlerhausplan von 1851 Oberbaurat Friedrich Bürklein, Erbauer des ersten Münchner Hauptbahnhofs sowie Architekt der Maximilianstraße. 1860 folgte ein Entwurf von Ludwig Lange am Maximiliansplatz. Im Gespräch waren weitere Bauplätze hinter der Glyptothek, auf der Praterinsel und in der Nähe des Englischen Gartens. 1878 entstand vom Architektenduo Gabriel Seidl und Gottfried von Neureuther der Entwurf für ein schlossartiges Künstlerhaus in den Eschenanlagen des von Karl Effner neu gestalteten Maximiliansplatzes.
Auflösung des Vereins in der NS-Zeit
Das Eschenanlage-Projekt scheiterte ebenso wie Seidls nächster Plan, das Himbsel-Haus am Karlsplatz umzubauen. Erst mit der Standortbestimmung auf dem Areal des gegenüberliegenden Hofbrunnenhauses an der alten Stadtmauer gelang es Seidl im dritten Anlauf, seine Pläne zu realisieren. Stadt und Königshaus als Eigentümer erklärten sich bereit, ihre Grundstücke am damaligen Maximiliansplatz zu einem symbolischen Kaufpreis der Künstlerhauskommission zu überlassen. „Das Haus soll allen Künstlern Münchens ein Sammelplatz sein, ein Mittelpunkt für Frohsinn, Rat und erste Tat“, hieß es in der Urkunde der Grundsteinlegung 1893 in Anwesenheit des Prinzregenten. Vier Jahre später war der Rohbau vollendet. Im Eröffnungsjahr 1900 verpachtete die Münchner Künstlergenossenschaft ihr Haus dem neu gegründeten Künstlerhaus-Verein, der 1911 Besitzer der Immobilie wurde.
Bislang noch wenig erforscht ist die Künstlervereinsgeschichte in der Ära des Nationalsozialismus, als das Haus zu Repräsentationszwecken der Reichskammer der bildenden Künste in Generalpacht überlassen wurde. 1938 löste sich der Verein auf und übereignete seinen Besitz der „Kameradschaft der Künstler“. Die Idee, alle der Reichskunstkammer angehörenden Künstler zu vereinen, stammte von Gauleiter Adolf Wagner. Im selben Jahr wurde die direkt benachbarte neuromanische Synagoge als eine der ersten in Deutschland auf Befehl Hitlers zerstört. Auf dem Areal befindet sich heute das Kaufhaus Oberpollinger.
Nach einem Fliegerangriff 1944 wurde das Künstlerhaus zur Ruine. Nur schleppend vollzog sich der Wiederaufbau des erst 1961 wiedereröffneten Künstlerhauses. Im weitgehend erhaltenen Westflügel entstand nach dem Krieg ein amerikanisches Offizierskasino und im Künstlerhauskeller mit historischer Kegelbahn wurde eine Snackbar eingerichtet. 1955 wurden die von den Amerikanern beschlagnahmten Räume dem sich wieder neu formierenden Münchner Künstlerhaus-Verein zurückgegeben.
Hier im Gewölbekeller erlebte Pablo Picassos einziges Theaterstück Wie man Wünsche beim Schwanz packt 1962 seine deutsche Erstaufführung. 1963 erregte die im darüberliegenden Stockwerk untergebrachte Neue Galerie des Münchner Verlegers Rolf Becker mit ihrer Ausstellung der Nouveaux Réalistes ebenso viel Aufsehen wie später mit ihrer Präsentation der Schießbilder von Niki de Saint Phalle.
Die mit Schusswaffen ihre Kunstobjekte produzierende Avantgarde-Künstlerin war, wie auch die im Künstlerhaus noch zu Lebzeiten von Franz von Stuck auftretende amerikanische Barfußtänzerin Isadora Duncan, eine „shocking lady“. Bauarbeiten ab den 1960er-Jahren, eine hohe Verschuldung und eine Verpachtung an den Bayerischen Hof führten dazu, dass das Kulturleben im Künstlerhaus in einen langen „Winterschlaf“ fiel, aus dem es erst in den 1990er-Jahren erwachte.
Winterschlaf bis in die 1990er-Jahre
2001 wurde die Münchner Künstlerhaus-Stiftung ins Leben gerufen. Seit 2021 sorgen Birgit Gottschalk und Jennifer Ruhland als Vorstandsduo der Stiftung für ein Kulturprogramm, das in München Alleinstellungscharakter hat. Das denkmalgeschützte Haus ist nicht nur Schauplatz unzähliger Feste, Konzerte, Ausstellungen, Tanz-, Literatur-, Kabarett- und Theaterabende, sondern auch Begegnungsort für alle. Ganz im Sinne der einstigen Gründungsväter, deren Sinnspruch noch heute über dem Eingangsportal zu lesen ist: „Nobis et amicis“ („Uns und den Freunden“). (Angelika Irgens-Defregger)
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