Kultur

Bilder der Welt sind voller Fakten und Phantastischem. Die Ausstellung in der Würzburger Unibibliothek zeigt dazu – multimedial – viele Darstellungen in Geschichtswerken und Atlanten. (Foto: Holger Schilling)

18.10.2024

Wenn Wissen und Phantasie aufeinandertreffen

Die Ausstellung „Fakt – Fake“ in der Universitätsbibliothek Würzburg zeigt den Umgang mit Wahrheit und selbst dreisten Lügen in der Forschung

"Fakt – Fake" steht über dieser Ausstellung – es geht um Lüge und Wahrheit, und zwar im Umfeld der Wissenschaft. Die Würzburger Universitätsbibliothek setzt in dieser Schau anschaulich und mit vielen interessanten Objekten einen Schwerpunkt auf fränkische Bezüge.

Im christlichen Mittelalter beherrschte zwar die Sicht der Bibel das Weltbild, man griff aber auch auf die Antike zurück, etwa auf Aristoteles und Cassiodor. Das Wissen und die Wissensvermittlung waren in Klöstern konzentriert, dort entstand eine gelehrte Buchkultur. Bald entwickelten sich Klosterschulen und Universitäten. Der Wissenshorizont erweiterte sich, vermehrt durch Rückgriff auf antike Quellen. Die Scholastik wollte mit Diskursen und philosophischen Disputen für gedankliche Klarheit sorgen – wurde aber im 14. Jahrhundert durch die kirchliche Lehrmeinung eingeschränkt.

Kugel oder Scheibe?

Wichtig für die Wissensvermittlung wurden Enzyklopädien, so das siebenbändige Speculum maius des Dominikaners Vinzenz von Beauvais, das als Inkunabel in der Würzburger Universitätsbibliothek erhalten ist. In diesem Werk ist schon im 14. Jahrhundert die Erde als Kugel beschrieben.

Illustrationen vom Aussehen der Welt waren in jener Zeit eher willkürlich: Vom Glauben geleitet zum Beispiel in der Mappa mundi war sie kreisförmig mit dem Zentrum Jerusalem. In der Kosmografie des Ptolemäus waren bereits die Entdeckungsfahrten der Portugiesen aus dem 15. Jahrhundert eingetragen.

Schon damals gab es den „frommen“ Betrug, etwa mit erfundenen Urkunden oder Inschriften. Die Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts ermöglichte mit wundersamen Bibeldarstellungen noch mehr „Fakes“. So gab es Abbildungen von „Wundervölkern“ mit seltsamen körperlichen Merkmalen in Hartmann Schedels Buch der Chroniken, in dem auch die biblische Sintflut mit dem Bau der Arche Noah als Faktum gezeigt wird. Legenden wurden so kritiklos hingenommen.

Der frühe Buchdruck hielt noch am überlieferten christlichen Weltbild fest, wurde aber zum Türöffner für die Renaissance und die Neuzeit mit ihrer neuen Sicht auf die Welt. Beispielhaft für diesen Übergang war Johannes Trithemius, Abt im Würzburger Schottenkloster. Er sammelte Bücher und Handschriften, war selbst Autor, gerierte sich als Magier etwa im Umgang mit Geistern, erfand Geheimschriften, Chiffriertechniken, war ein vorgeblicher Kenner der Geschichtsschreibung und behauptete die trojanische Herkunft der Franken mit einem Urahn Hunibald. Mit der historischen Wahrheit nahm er es nicht so genau und verschleierte seine Fälschungen. In der Ausstellung kann man diesen Trithemius dank digitaler Vision sogar reden hören – natürlich ist auch das „Fake“.

Magie boomt

Magie, Astrologie mit Bildern der Tierkreiszeichen, Berichte über satanische Praktiken mit Beschwörungsformeln, wie später noch in Goethes Faust, hatten Hochkonjunktur.
Die Neuzeit aber begann mit lauter Umbrüchen: der politischen, religiösen und sozialen Ordnung. Es tobte der Bauernkrieg, die Reformation führte zu Kirchenkämpfen, neue Weltteile wurde erforscht, ebenso der Lauf der Himmelsgestirne. Dies schlug sich nieder in Beschreibungen, Büchern und Karten, in denen sich allerdings noch immer Phantastisches und Faktisches überlappten wie in Sebastian Münsters Cosmographia, die auf Reiseberichten ebenso wie auf fabelhaften Geschichten beruht.

Auf wissenschaftlichen Kenntnissen beruhten Hilfsmittel für die Navigation über die Meere, so Sterntafeln nach der Berechnung des Regiomontanus aus Königsberg in Unterfranken in seinen Ephemeriden. Mit großen Planetenmaschinen wie der in Würzburg zwischen 1755 und 1761 aufwendig von Johann Georg Neßtfell gebauten (heute im Bayerischen Nationalmuseum, München) versuchte man präzise das neue Planetensystem des Kopernikus zu visualisieren, bei dem nicht die Erde, sondern die Sonne das Zentrum des Universums bildet.

Atlanten nahmen die Erkenntnisse der Entdeckungen von Seefahrern wie Magellan und Kolumbus auf, waren aber im Detail noch auf Vermutungen angewiesen: so etwa beim Küstenverlauf von Nord- und Südamerika im großen Blaeu-Atlas (um 1660), in dem man Kalifornien noch als Insel sieht und das Landesinnere viele leere Stellen ausweist. Die Antarktis fehlt noch völlig.

Die Kugelgestalt der Erde – noch ohne Amerika – machte der Nürnberger Martin Behaim im ältesten erhaltenen Globus der Welt aus dem 15. Jahrhundert deutlich.

Verräterische Steine

Ein besonders aufschlussreiches Kapitel für Wissenschaftsbetrug zeigt die Ausstellung mit den „Würzburger Lügensteinen“. Der Würzburger Universitätsprofessor und fürstbischöfliche Leibarzt Johann Bartholomäus Adam Beringer (1670 bis 1738), der auch für die Geologie zuständig war, kündigte einen spektakulären Fund von Fossilien im nahen Eibelstadt an und publizierte diesen 1726 in seiner Lithographiae Wirceburgensis. Er fügte Abbildungen der Steine in der Promotion seines Schülers Hueber an. Es ging um den Ursprung dieser „Figurensteine“, wie Beringer sie nannte. Sie zeigen vornehmlich Pflanzen, Insekten, kleine Tiere, aber keine Säugetiere. Beringer glaubte wohl, diese Steine habe die göttliche Schöpfung durch die Kraft der Natur geformt. Mit seiner Veröffentlichung entfachte er einen Gelehrtenstreit über Versteinerungstheorien auch unter profilierten wissenschaftlichen Kollegen. Neben der Theorie einer schöpferischen Kraft gab es auch jene, dass es sich um Reste ehemaliger Lebewesen handele, um Überbleibsel der „Sintflut“. Wieder andere vertraten die Ansicht, Samen von Lebewesen seien über die Luft ins Gestein eingedrungen. Oder waren es Relikte heidnischen Glaubens? Es tauchten auch Steine mit plastischen Abbildungen von Sonne, Sternen oder sogar jüdischen Schriftzeichen auf.

Schließlich stellte sich heraus, dass die Steine von Menschenhand geschaffen waren, die meisten im Auftrag von Beringers übelwollenden Universitätskollegen Johann Georg von Eckhart und Jean Ignace Roderique. Herausgekommen ist der Betrug durch eine vom Fürstbischof angeordnete Untersuchung und die Verhörprotokolle von jungen Steinmetzgesellen aus Eibelstadt, die die Steine gefertigt hatten.

Dass Beringer schon bald nach seiner Publikation vom eigentlichen Ursprung seiner Figurensteine wusste, darüber aber schwieg und weiterhin hochgeachtet war, und dass auch Eckhart und Roderique in Amt und Würden blieben, wäre heute angesichts solcher Betrügerei unter Wissenschaftlern undenkbar.

Der Ausstellungskatalog geht im Schlusskapitel Fälschungen und Fälschungsmöglichkeiten jüngerer Zeit und im digitalen Zeitalter nach. (Renate Freyeisen)

Information: Bis 17. November. Universitätsbibliothek, Am Hubland, 97074 Würzburg.

 

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