Kultur

Die Neugestaltung bietet interessante Korrespondenzen. Links "Abendmahl" und "Himmelfahrt" (2009) von Brigitte Stenzel, rechts die Heilige Sippe eines unbekannten Künstlers aus der Zeit um 1500. (Foto: Diözesanmuseum Freising/Thomas Dashuber)

28.10.2022

Wie immer – nur neu

Nach neunjähriger Generalsanierung hat das Diözesanmuseum Freising seine Pforten wieder geöffnet

Es ist vollbracht. Endlich, nach neun Jahren Schließung und vier Jahren Sanierungsphase, ist das Diözesanmuseum Freising (DIMU) wieder geöffnet. Mit dem freigestellten und von allen Seiten zugänglichen Museumsgebäude, das sich auf dem altehrwürdigen Domberg der ehemaligen Bischofsstadt als selbstbewusster Solitärbau präsentiert, ist wieder „ein Ort der Begegnung, des Dialogs und der Inspiration“ entstanden.

Aus Brandschutzgründen musste 2013 das Museum schließen. Nach der Entkernung des Gebäudes 2018 wurden im darauffolgenden Jahr archäologische Grabungen zur Erforschung der bis ins Neolithikum zurückreichenden Domberggeschichte durchgeführt. 2020 wurde der Rohbau begonnen und die Baustelle mit einem Notdach eingerüstet; 2021 erfolgte der Innenbau und 2022 der Ausbau der Innenräume.

Glas statt Holz

Wer den Lichthof des Museums betritt, dem fällt zuallererst die klare Architektursprache des in Rundbogenstil errichteten Gebäudes ins Auge, dessen neues Dach gläsern geworden ist. Das lichtdurchflutete Erdgeschoss lädt zum Flanieren und Reflektieren über aktuelle Kunst ein – beispielsweise über den verhüllten Erzengel, eine Monumentalplastik aus Bronze der Belgierin Berlinde De Bruyckere. Die Wände öffnen sich nach draußen, gewähren spektakuläre Ein- und Ausblicke – bei Föhn sogar bis zu den Alpen. Ganz zu schweigen vom schwindelerregenden Blick der neuen Terrasse im Westen über die Dachlandschaft der Dom- und Bierstadt hinüber zum Zwillingsberg, dem Weihenstephaner „Nährberg“, hinterfangen vom glühenden Rot bei Sonnenuntergang.

Schweift der Blick zurück zu den Artefakten im Inneren, beeindruckt die Kunst im Spiel der sich immer wieder neu auftuenden Sicht- und Blickachsen. Wo beispielsweise früher in der fensterlosen dunklen Hauskapelle Ludwig von Löfftz’ riesiges Ölgemälde Himmelfahrt Mariens ein Eyecatcher war, erscheint, wie eine Art Erleuchtung, das meditative Wunderwerk des US-amerikanischen Licht- und Installationskünstlers James Turrell. Das unsere räumlichen Sehgewohnheiten sprengende und mit unseren Sinnen nur schwer fassbare Lichtspiel, das die Grenzen von Raum und Zeit aufzulösen scheint, findet sein Pendant in seinem auratischen Gegenüber, dem Lukasbild, einer mit aller Pracht des Barock überformten byzantinischen Ikone.

Spannende Dialoge

Es ist augenfällig, wie hier die zu unserem kulturellen Gedächtnis gehörenden Artefakte aus 2000-jähriger christlicher Glaubengeschichte in einen spannenden Dialog zur aktuellen Kunst treten. Projekte von den Gegenwartskünstler*innen Kiki Smith, Anselm Kiefer, Michael Wesely und Neo Rauch werden im nächsten Jahr diese Reihe der Neuzugänge fortsetzen.

Helligkeit und Transparenz kennzeichnen vom Keller bis zum zweiten Obergeschoss die neuen Ausstellungsräume, denen der Wettbewerbsentwurf „Geöffnete Wände“ des Architektenbüros Brückner & Brückner zugrunde lag. Bereits vor 20 Jahren hatten die Tirschenreuther Architektenbrüder mit dem Würzburger Umbau eines Getreidespeichers zum Kulturspeicher bewiesen, dass sie mit Bestandsgebäuden bestens umzugehen verstehen. Wie Originalpläne (heute verwahrt im Freisinger Stadtarchiv) des Architekten und Gärtner-Schülers Matthias Berger für seinen spätklassizistischen Neubau belegen, griff das Team Brückner mit dem neuen Glaslaternendach über dem Lichthof des Freisinger DIMU eine alte Idee auf, die vor 150 Jahren nicht realisiert wurde. Stattdessen wurde damals über der Aula eine Holzdecke eingebaut. Das 1868 bis 1870 errichtete Gebäude, das in die Zeit des Kulturkampfs datiert (der sich entzündete am Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes, verkündet beim Ersten Vatikanischen Konzil), diente ursprünglich als Knabenseminar, als Internat zur Förderung des Priesternachwuchses, und wurde erst 1974 zum Museum umgewidmet.

Geschichte der Sammlung

Der Grundstein für die Museumssammlung wurde allerdings schon 1857 von dem kunstsinnigen Freisinger Philosophieprofessor Joachim Sighart gelegt. Der leidenschaftliche Sammler mittelalterlicher Kunst, der auch die erste Kunstgeschichte Bayerns verfasst hat, vermachte seine opulente Kollektion dem damals ebenfalls auf dem Domberg beheimateten Priesterseminar als Anschauungsmaterial. Weitere Stifter folgten seinem Beispiel und trugen zum Reichtum der Sammlung bei, die bis 1860 in der Martinskapelle untergebracht war. Mit seinem gegenwärtigen Sammlungsbestand von 45 000 Objekten zählt das Museum für christliche Kunst heute zu den weltweit größten seiner Art.

Straffes Museumskonzept

Wie immer. Nur neu. ist nicht nur der Titel des neuen Bestandskatalogs zur Sammeltätigkeit des Hauses der letzten zehn Jahre. Es ist auch das Motto, das sich der seit 2012 im Amt des Museumsdirektors waltende Volkskundler und Theologe Christoph Kürzeder auf die Fahne geschrieben hat. Mit seinem Team hat der Hausherr und Ausstellungsmacher klar und straff ein neues, überzeugendes Museumskonzept für das Herz des Museums, die Schausammlung im ersten Stock, gewagt. Der Rundgang ist nicht mehr chronologisch, sondern folgt einem kulturhistorisch-anthropologischen Konzept und wirft Fragen auf: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des (guten und schlechten) Lebens? Was bedeuten Schuld und Sühne? Was gibt uns Orientierung, Halt und Hoffnung? Was ist Freude und Glück?

In der Begegnung mit der Kunst der alten Meister trifft man auf große Namen von Malern und Bildhauern der Gotik und des Barocks, die im süddeutschen Raum gewirkt haben: Gabriel Angler, Jan Polack, Erasmus Grasser, Lucas Cranach, Ignaz Günther, Johann Baptist Straub und die Gebrüder Asam.

Wie das Erdgeschoss ist auch das zweite Obergeschoss reserviert für wechselnde Sonderschauen. Den Anfang macht hier die spektakuläre Ausstellung Tanz auf dem Vulkan. Leben und Glauben im Schatten des Vesuv aus dem Sehnsuchtsort Neapel, der zugleich auch eine der seismisch aktivsten Regionen der Welt ist. In Zeiten allgemeiner Verunsicherung, des Klimawandels und eines Krieges mitten in Europa wird die Schau zum Seismografen und Sinnbild der momentanen gesellschaftlichen Befindlichkeit und der Frage nach dem Umgang mit Katastrophen und Dsytopien. (Angelika Irgens-Defregger)

Information: Diözesanmuseum Freising, Domberg 21, 85354 Freising. www.dimu-freising.de Ausstellung Tanz auf dem Vulkan bis 29. Januar.

 

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