„Willkommen! Bürgerschaftliche Initiativen für Menschen auf der Flucht“ lautete das Thema des diesjährigen Bürgerpreises. 149 Initiativen haben sich beim Landtag beworben. Die Jury unter dem Vorsitz von Landtagspräsidentin Barbara Stamm hat jetzt sieben davon für ihr vorbildliches ehrenamtliches Engagement geehrt.
Der bayerische Landtag würdigt mit dem Bürgerpreis – früher Bürgerkulturpreis – dieses Jahr bereits zum 16. Mal das vorbildliche ehrenamtliche Engagement der Menschen im Freistaat. Das Leitthema lautete heuer „Willkommen! Bürgerschaftliche Initiativen für Menschen auf der Flucht“, zu dem insgesamt 149 Bewerbungen eingegangen sind. Mit 58 kamen die meisten aus Oberbayern, gefolgt von 25 aus Mittelfranken, 22 aus Schwaben, 15 aus Niederbayern, 13 aus Unterfranken, zehn aus Oberfranken und sechs aus der Oberpfalz.
Egal ob Gewinner oder nicht: Alle eingereichten Bewerbungen gelten als ein Zeichen der Menschlichkeit, betont Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU). „Sie alle leben eine Willkommenskultur, ohne die wir die große Herausforderung nicht meistern könnten.“ Ihr Engagement stehe für Toleranz und Mut, Fremde in der eigenen Heimat aufzunehmen, ihre Not zu sehen und ihnen zu helfen. Der Jury sei eine Entscheidung daher nicht leichtgefallen. Die Preisverleihung findet am 22. Oktober im Maximilianeum statt.
1. Preis: Die Gemeinschaft Sant’Egidio aus Würzburg hilft Asylsuchenden, damit diese sich selbst ehrenamtlich engagieren könnenDen mit 8000 Euro dotierten ersten Preis erhielt dieses Jahr die Flüchtlingshilfe der Gemeinschaft Sant’Egidio aus Würzburg. Schon lange bevor Flüchtlinge die öffentliche Diskussion beherrschten, haben sich deren Mitglieder dem Thema angenommen, so die Begründung der Preisrichter. Seit 1989 betreut die Gemeinschaft Flüchtlinge aus der ganzen Welt, zeigt Wege zur Eingliederung in die Gesellschaft auf und fördert die Ausbildung der aufgenommenen Menschen.
Das Grundprinzip ist sehr einfach: „Wir betrachten die Flüchtlinge einfach als Freunde“, erklärt Pfarrer Matthias Leineweber von Sant’Egidio. Und so fällt das Wort Flüchtling in der alltäglichen Arbeit der Ehrenamtlichen auch kaum. Den Freunden werden kostenlose Deutschkurse, die Möglichkeit eines Schulabschlusses, Hilfe bei der Ausbildung oder Unterstützung als Dolmetscher bei Behördengängen angeboten.
Integration wird nicht beschworen, sondern gelebt: „Es geht nicht darum, einmal in der Woche für zwei Stunden Ehrenamt zu machen“, erzählt Claudia Kaufhold. „Wir begreifen uns als tatsächliche Gemeinschaft, die zusammensteht.“ So verwundert es nicht, wenn sich die ehrenamtliche Einrichtung auch um psychisch und schwer körperlich behinderte Flüchtlinge kümmert. An Weihnachten wird zudem immer mit Obdachlosen, Kranken und Armen gefeiert. „Wir sind kein ’Projekt’, wir sind eine Einladung an alle, sich zu öffnen“, ergänzt Kaufhold. Die Menschen sprächen darüber, und so entstünden neue Kontakte und neue Möglichkeiten – beispielsweise in Altenheimen.
Die Flüchtlinge, die Sant’Egidio unterstützt, werden ermuntert, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Das fördert zum einen die Integration. Zum anderen hilft es den Flüchtlingen, nicht länger passive Hilfsempfänger zu sein. Dadurch erfahren sie auch viel über das Leben in der neuen Heimat, glaubt Dominik Rüth. Andererseits bereichere die Arbeit mit den Flüchtlingen auch das der Helfer. „Es geht doch genau darum, nicht nur den eigenen Wohlstand zu mehren, sondern sich zu fragen, womit ich mein Leben sinnvoll verbringen kann“, sagt er.
Außerdem setzt laut Rüth das ehrenamtliche Engagement der Flüchtlinge sichtbare Zeichen in der Gesellschaft. Dies sei wichtig, um Barrieren im Kopf zu überwinden. „Die Integration kann nur gemeinsam funktionieren, und eine Gesellschaft verändert sich auch positiv, wenn neue Impulse von außen aufgenommen werden.“
Die Selbstverständlichkeit, mit der Flüchtlinge behandelt werden, weckt bei vielen von ihnen den Wunsch, sich selber einzubringen. Viele hülfen schon nach kurzer Zeit selbst, neu ankommende Flüchtlinge zu betreuen, versichert Pfarrer Leineweber. Ihm ist besonders wichtig, dass es bei Sant’Egidio keine Schranken zwischen den Nationen, Religionen und Weltanschauungen gibt. „Jeder ist als Mensch willkommen.“
2. Preis: Asylgruppe St. Rochus der evangelischen Kirchengemeinde aus Zirndorf
Integration in einer Erstaufnahmeeinrichtung ist schwierig: Die Helfer wissen nie, wann die Flüchtlinge an einen anderen Ort weitertransportiert werden. Für ihren unermüdlichen Einsatz bekam die Asylgruppe St. Rochus der evangelischen Kirchengemeinde in Zirndorf den mit je 6000 Euro dotierten zweiten Preis. Denn Gemeindepädagoge Erwin Bartsch und die rund 80 ehrenamtlichen Mitglieder lassen sich davon nicht entmutigen. „Integration beginnt sofort, und auch wenn wir beispielsweise in unseren Deutschkursen nur rudimentäre Kenntnisse vermitteln können, zeigen wir damit den Flüchtlingen, dass wir sie wahrnehmen“, erklärt er.

Entsprechend heißt das Projekt „Heimat auf Zeit“, zu dem neben den Deutschkursen auch gemeinsame Feste und Begegnungen im „Café International“ der Gemeinde gehören. Des Weiteren vermittelt die Gruppe Führungen in der zentralen Aufnahmeeinrichtung und Treffen zwischen den Flüchtlingen und den Zirndorfer Bürgern. Im „Frauentreffpunkt“ sollen sich außerdem weibliche Asylsuchende besser kennenlernen und vernetzen. „Wir ziehen mit den Behörden an einem Strang, und es herrscht großes gegenseitiges Vertrauen“, versichert Bartsch. Schon kleine Erfolge könnten Großes bewirken: So wurde in der Erstaufnahmeeinrichtung ein provisorischer Klassenraum eingerichtet, in dem eine staatliche Lehrkraft und ein Ehrenamtlicher täglich die Flüchtlingskinder unterrichten. Die Asylgruppe St. Rochus organisiert darüber hinaus zum Beispiel Schulranzen, Stifte oder Blöcke. „Das können die Kinder alles gebrauchen – auch wenn sie dann irgendwo anders hinmüssen“, erläutert Bartsch. Damit die Flüchtlinge mit der Familie in Kontakt treten können, gibt es jetzt in der Erstaufnahmeeinrichtung sogar ein Internetcafé.
Die hohe Fluktuation der Flüchtlinge ist zwar laut Bartsch eine große Herausforderung. Die Asylgruppe ist allerdings schon seit 27 Jahren aktiv. „Es ist eine besondere Arbeit, aber wir machen es gerne – auch wenn wir gewissermaßen immer wieder bei Null beginnen.“
2. Preis: Sozialbetreuungsstelle Asylothek aus Nürnberg
Im Jahr 2012 gab es für die 167 Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft im Nürnberger Stadtteil Gostenhof keinerlei soziale Betreuung. Die Regierung von Mittelfranken hatte lediglich zwei Hausmeister angestellt, die sich gleichzeitig noch um andere Unterkünfte kümmern mussten. Für Günter Reichert war dies ein unhaltbarer Zustand: „Die Menschen, die hierherkommen, wissen nichts über unser Land, das Leben hier und die Kultur“, erklärt er. „Dies müssen sie aber, wenn sie sich integrieren sollen.“ Er bat die Bezirksregierung daher um einen Raum – mit Erfolg. Innerhalb kürzester Zeit baute er darin nur mit Spenden und ohne städtische oder staatliche Unterstützung die „Asylothek“ auf. Seitdem werden dort Sprachkurse, Hausaufgabenbetreuung und eine gut ausgestattete Bibliothek angeboten.
Die Asylothek als Anlaufstelle, Treffpunkt und Informationsbörse soll auch Stillstand und Resignation verhindern. Neben den Bildungsangeboten werden außerdem Möglichkeiten angeboten, Bayern und Deutschland kennenzulernen und besser zu verstehen. „Es geht um die Vermittlung kultureller Werte wie etwa die Gleichberechtigung der Frau oder Meinungsfreiheit“, erläutert Reichert. „Integration funktioniert nur, wenn beide Seiten mitziehen.“

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Sie lernen schneller deutsch als Erwachsene und können so als Vermittler fungieren. Über 40 ehrenamtliche und 200 passive Helfer konnte Reichert mittlerweile für die Arbeit in der Flüchtlingsunterkunft begeistern – und in anderen Städten entstehen gerade „Asylotheken“ nach dem Nürnberger Vorbild.
Durch den Preis erhofft sich Reichelt, dass auch andere Menschen aktiv werden. Für ihn ist die Asylbewerberunterbringung mehr als nur ein reiner Verwaltungsakt. Besonders gefreut habe ihn das Funkeln in den Augen der Kinder. „Alleine dieser Anblick hat die Mühe gelohnt!“
3. Preis: tun.starthilfe für Flüchtlinge im Landkreis EichstättDie tun.starthilfe wurde von Studenten aus Eichstätt ins Leben gerufen, um sich gemeinsam für Flüchtlinge engagieren zu können. Einerseits ist die Initiative in den Verein Live for Life eingebettet, andererseits ist sie in die universitären Strukturen eingebunden. So wird die Arbeit beispielsweise durch ein wissenschaftliches Modul an der Katholischen Universität Eichstätt begleitet, um Wissenschaft mit praktischer Arbeit zu verbinden.
„Wir unterstützen Sozialarbeiter vor Ort und wollen den neu angekommenen Asylbewerbern Starthilfe in das Alltagsleben geben“, erklärt der Vorsitzende Andreas Wurtinger. Beim Deutschunterricht fahren die ehrenamtlichen Lehrer seit 2012 einmal pro Woche in die Unterkünfte und fördern die Deutschkenntnisse der Flüchtlinge. Mittlerweile werden die Kurse der tun.starthilfe und deren ehrenamtlicher Partner in 18 Gemeinden des Landkreises angeboten. „Auch Öffentlichkeitsarbeit und Organisation sind zwei wichtige Arbeitsbereiche“, ergänzt Wurtinger. So gibt es Aufklärungsworkshops für Freiwillige und Flüchtlinge, in denen beispielsweise der Ablauf eines Asylverfahrens erklärt wird.
Nicht zuletzt werden bei der individuellen Begleitung Flüchtlinge von den freiwilligen Helfern bei Arztbesuchen, Behördengängen, Einkäufen oder Freizeitaktivitäten unterstützt. Dadurch sollen sich die Menschen besser zurechtfinden und schneller ein Teil der Gesellschaft werden.
3. Preis: Flüchtlingshilfe des Landshuter Haus International
Der Verein „Haus International“ hat sich gemeinsam mit der Nachbarschaft und anderen Projekten in der Region die Vernetzung der hauptamtlichen Asylsozialhilfe und der Zivilgesellschaft zum Ziel gesetzt. Auslöser dafür waren die „unerträglichen Angriffe“ auf Flüchtlingsheime in den 90er-Jahren. „Vieles erinnert heute wieder an damals, doch die Mehrzahl der Menschen will helfen“, erklärt Geschäftsführerin Annelies Huber.
Auf dem Areal der Alten Kaserne in Landshut bieten die rund 130 ehrenamtlich Engagierten des Vereins Hausaufgabenhilfe, Spielangebote, Familienbegleitung, wöchentliche Spielgruppen für Kinder, Patenschaften für Jugendliche, Schülercoachings durch Studenten der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Landshut, Alphabetisierungs- und Deutschkurse sowie im „Café grenzenlos“ wöchentliche Treffs an. Das Highlight des Sommers war das Salsa-Fest. Der dritte Platz des Bürgerpreises ist mit 4000 Euro dotiert.
Sonderpreis: Schneiderprojekt „homeless“ aus WittislingenNähmaschinen, Bügelbretter, Zuschneidetische und Regale: Den mit 2000 Euro dotierten Sonderpreis erhält das Schneiderprojekt „homeless“ aus Wittislingen. Dabei wurde in der Kegelbahn der Gemeinschaftsunterkunft „Bayerischer Hof“ eine Näh- und Schneiderwerkstätte eingerichtet. Ausgangspunkt für das Nähprojekt war die Überlegung, wie die oft traumatisierten Asylbewerberinnen und Flüchtlingsfrauen sinnvoll und erfüllend beschäftigt werden können.
Um das Selbstbewusstsein zu stärken und kleine Erfolgsmomente zu schaffen, absolvierten Safura und Mahnigar aus Afghanistan in der Modewerkstatt Slabotny in Giengen ein kurzes Praktikum. Schon nach kurzer Einarbeitungszeit schneiderten sie selbstständig bunte Henkeltaschen. Anschließend konnte innerhalb des Vereins Netzwerk Asyl ein Kreis von Bürgern gefunden werden, die sich um das Projekt kümmerten und weitere „Arbeitsplätze“ schufen.
Die Vision des Nähprojekts lautet: Potenziale erkennen und Perspektiven schaffen. Das Schneiderprojekt soll helfen, den Einstieg in eine wirtschaftliche Lebensgrundlage zu ermöglichen. Erste Produkte konnten Besucher bereits beim Gewerbemarkt auf dem Wittislinger Dorffest gegen eine angemessene Spende kaufen, wo sich auch Landrat Leo Schrell (FUW) und der Landtagsabgeordnete Georg Winter (CSU) von dem Projekt begeistern ließen. Mit dem Erlös soll die Ausstattung der Arbeitsplätze weiter aufgestockt werden.
Besondere Würdigung: Bellevue di Monaco aus MünchenHinter Bellevue di Monaco steht ein breites Bündnis aus Flüchtlingsunterstützern, Juristen, Kulturschaffenden, Politaktivisten und Profis aus der Sozialarbeit. Die gemeinnützige Genossenschaft mit prominenten Mitgliedern wie Till Hofmann vom Lustspielhaus, Filmemacher Christian Grisi Ganzer oder Matthias Lilienthal von den Münchner Kammerspielen hat sich nicht weniger vorgenommen, als Träger des neuen Willkommenszentrums in den Gebäudeteilen der Münchner Müllerstraße 2 bis 6 zu werden.
Gleich neben dem Luxus-Wohnturm „The Seven“ soll eine Begegnungsstätte für Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Milieus entstehen. Flüchtlinge werden dort beraten und in die alltäglichen Belange des Hauses mit einbezogen. So soll zum Beispiel der Cafébetrieb gemeinsam mit Flüchtlingen organisiert und umgesetzt werden. Außerdem bekommen junge Menschen mit und ohne Fluchthintergrund nach der Jugendhilfe Starthilfe in ein selbständiges Leben. Mit Familien und Alleinerziehenden werden darüber hinaus gemeinsam neue Perspektiven erarbeitet. Nicht zuletzt sollen in den Gebäuden neben Kulturveranstaltungen auch Wohnungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge entstehen.
Für diese „ganzheitliche und besonders zukunftsgerichtete“ Idee, wurde Bellevue di Monaco jetzt von der Jury eine „besondere Würdigung“ zuteil.
(David Lohmann)
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