Geht es nach der Bundesregierung, sollen Eltern ab März 2020 vor der Aufnahme ihrer Kinder in eine Kita oder Schule nachweisen müssen, dass diese geimpft sind. Bayern hat zwar durchaus Sympathien für den Gesetzentwurf, setzt aber vor allem auf Freiwilligkeit. Die bessere Wahl? Bei der Anhörung im Landtag zeigt sich jedenfalls: Es gibt jedes Jahr Tausende Impfschäden.
Immer mehr Einschulungskinder in Bayern werden gegen Masern geimpft. Die Impfquote liegt laut dem Gesundheitsreport des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit bei 96,7 Prozent für die erste und bei 92,3 Prozent für die zweite Masern-Impfung. Das Problem: Die Weltgesundheitsorganisation pocht auf 95 Prozent. Erst ab dieser Quote kann die Krankheit dauerhaft eliminiert werden. Wie die Impfrate insbesondere bei Masern erhöht werden kann, wollte der Gesundheitsausschuss diese Woche mit einer Expertenanhörung im Landtag herausfinden.
Die Experten lobten zwar grundsätzlich die bayerischen Impfzahlen. Sie wiesen allerdings darauf hin, dass der Schutz von Region zu Region stark schwanken würde. Mancherorts lägen die Impfquoten bei Masern im Schnitt sogar bei unter 90 Prozent. Bei den Zweijährigen seien besonders viele nicht geschützt, erklärte Martin Lang vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Nur drei von vier sind geimpft. Und bei den Dreijährigen liegt die Impfquote lediglich bei 84 Prozent. „Dabei zählen Säuglinge und Kleinkinder zur Risikogruppe für Masern“, betonte der BVKJ-Chef. Die Experten empfehlen die Erstimpfung im zehnten, die Auffrischung im 15. Monat.
Bei den Erwachsenen ist nur etwas mehr als jeder zweite geimpft. Das liegt den Fachleuten zufolge zum einen daran, dass die Masernimpfung erst zögerlich in den 70er-Jahren eingeführt wurde. Damals gab es auch nur eine Impfung, mit der ein Impfschutz von 90 Prozent erreicht werden konnte. Zum anderen glauben immer noch viele Menschen, dass es sich bei Masern um eine Kinderkrankheit handelt, die wie Liebeskummer durchgemacht werden müsse. Dabei sind Erwachsene und Kinder gleich häufig betroffen. Besonders für werdende oder junge Mütter ist die Krankheit ein Risiko, weil sie diese auf ihr Kind übertragen können. Im schlimmsten Fall führt sie zum Tod.
Die geplante Impfpflicht der Bundesregierung soll auch für Tagesmütter und das Personal in Kitas, Schulen und Kliniken gelten. Tatsächlich besteht auch in diesem Bereich Handlungsbedarf. Laut Maria-Sabine Ludwig von der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft Impfen sind nur 60 Prozent des klinischen Personals gegen Masern geschützt. „Auch bei Lehrern gibt es Impflücken“, sagt sie. Dem Allgemeinmediziner Jörg Schelling liegen zwar nur wenige Daten zu den Impfquoten bei Erzieherinnen und Erziehern vor. „Grob gesagt sind die Zahlen aber unzureichend“, unterstrich der Facharzt.
Wie schwierig es ist, die zur Eliminierung der Masern nötige Impfquote von 95 Prozent zu erreichen, verdeutlichte Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts vom Universitätsklinikum Erlangen. Denn mindestens fünf Prozent der Menschen sind sogenannte Impfversager, ihr Körper ist also trotz der ersten Impfung nicht gegen die Krankheit immun. Selbst nach der zweiten Impfung sind noch zwei Prozent ungeschützt. Hinzu kommen laut Cornelia Betsch von der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt zwei bis fünf Prozent der Bürger, die Impfen grundsätzlich ablehnen. Der Anteil gehe aber langsam zurück. Und dann gibt es noch die Menschen, die es schlicht vergessen, sich impfen zu lassen.
Ärzten fehlt oft die Zeit, den Impfpass durchzuschauen
Ganz unberechtigt sind die Sorgen der Impfgegner allerdings nicht. Es beginnt damit, dass Kinder sich oft im Wartezimmer der Arztpraxen mit Masern anstecken. Und jeder Impfstoff hat zwar eine Zulassungsstudie hinter sich. „10 000 Impflinge sind aber nicht ausreichend, um jeden seltenen Schaden zu detektieren“, sagte Mikrobiologe Bogdan. Deswegen sollen Ärzte regelmäßig Auffälligkeiten melden – was aber nicht immer geschehe. Insgesamt wurden 2017 dennoch über 4000 Komplikationen oder Impfschäden registriert. Im Schnitt sterben jedes Jahr rund 20 Menschen nach Impfungen. Bogdan verteidigt Impfen trotzdem. „Bei bis zu 38 Millionen Impfungen pro Jahr ist das ein extrem günstiges Risiko-Nutzen-Verhältnis“, betont er.
Manche Menschen verurteilen auch nicht die Impfstoffe an sich, sondern die Inhaltsstoffe in den Präparaten – insbesondere Quecksilber und Aluminium. Werden diese immer noch verwendet, wollten die Abgeordneten von den Experten wissen. „Quecksilberhaltige Impfstoffe nehmen stetig ab“, versicherte Bogdan. Aluminium werde verwendet, um nicht den Krankheitserreger selbst, sondern lediglich Komponenten injizieren zu müssen und trotzdem die entsprechende Immunität zu erreichen. Ob sich das Metall im Körper ansammelt, wie es Kritiker befürchten, könne er nicht sagen. „Man kann es nicht zu 100 Prozent ausschließen.“ Aktuell werde eine Studie zu diesem Thema durchgeführt.
Um die Impfraten zu erhöhen, wünschen sich die Experten übereinstimmend mehr Aufklärung und eine gezielte Impfberatung in den hausärztlichen Praxen, die dazu mit entsprechenden Fördermitteln ausgestattet werden sollten. „Bei über 100 Patienten am Tag fehlt oft die Zeit, um ohne Anlass das Impfbuch durchzuschauen“, erklärte Markus Beier vom Bayerischen Hausärzteverband. Krankenkassen würden den Ärzten diese Arbeit zwar gerne abnehmen, sie dürften Patientendaten aber nur vier Jahre rückblickend einsehen. Mikrobiologe Bogdan forderte, endlich die Digitalisierung im Gesundheitsbereich auszubauen. Dann könne zum Beispiel auch nach dem Verlust des Impfpasses oder bei einem Notfall der Impfstatus geprüft werden.
In der anschließenden Aussprache betonte Ausschusschef Bernhard Seidenath (CSU), dass er eine staatliche Impfpflicht ablehne. „Sie würde zweifelnde Menschen nur weiter abschrecken“, sagte er. Er fordert, stattdessen die Impfberatung insbesondere in Apotheken auszubauen. Ausschussvizin Ruth Waldmann (SPD) hingegen könnte sich eine Impfpflicht durchaus vorstellen. Peter Bauer (FW) beklagte, dass sich Impfgegner zwar Aluminium-Deo unter die Achseln sprühten, aber wegen des Metalls auf eine Impfung verzichten würden. Und Dominik Spitzer (FDP) kritisierte, dass es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern keine Mono-Impfstoffe, sondern nur Mehrfachkombinationen gebe. Wie er forderten die Grünen, ein gezieltes Impfen zu ermöglichen, um Doppelimpfungen zu vermeiden. (David Lohmann)
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