In einer Expertenanhörung im Sozialausschuss wurde zum Teil massive Kritik am geltenden Prostituiertenschutzgesetz und dem restriktiven Umgang mit Sexarbeit in Bayern geübt. Gleichzeitig wurden Forderungen laut, konsequenter gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorzugehen. Die Opfer müssten dabei besser geschützt und dürften nicht kriminalisiert werden. Allgemein beklagt wurden die unzureichenden Hilfen des Freistaats für Fachberatungsstellen für Prostituierte. Die gesetzliche Anerkennung von Sexarbeit als Beruf sollte dazu führen, auch die Rechte von Prostituierten zu stärken.
Als Hauptproblem wurde in der Anhörung der hohe Anteil an mutmaßlich unter Zwang arbeitenden Prostituierten genannt. Er liege bei 90 bis 95 Prozent, erklärte Inge Bell von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Der größte Teil der Frauen stamme derzeit aus Südosteuropa. Diese prostituierten sich zumeist „aus blanker Not“ und erlebten in ihrem Abhängigkeitsverhältnis tägliche Gewalt und Ausbeutung. „Diesen Frauen Freiwilligkeit zu unterstellen, ist purer Zynismus“, sagte Bell. Sie forderte nachhaltige Ausstiegshilfen sowie die konsequente und harte Bestrafung von Menschenhändlern, Zuhältern und gewalttätigen Freiern.
Genau hier gibt es nach Auskunft des früheren Augsburger Kriminaloberrats Helmut Sporer erhebliche Defizite. Obwohl Menschenhandel und Zwangsprostitution vielfach ganz offen in legalen Bordellen stattfänden, komme es kaum zu Verurteilungen der Täter oder nur zu geringen Strafen. Häufig liege das an der „Angst der Opfer vor den Tätern“, so dass Betroffene auf belastende Aussagen verzichteten. Hier müsse der Gesetzgeber rasch zum besseren Schutz der Opfer handeln. „Die niedrige Verurteilungsquote ist absolut inakzeptabel und eine Ohrfeige für die Opfer“, sagte Sporer.
Die Frauenärztin Liane Bissinger berichtete aus ihrer Berufserfahrung, dass die meisten der zwangsweise in Bordellen gehaltenen Frauen keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung hätten. Dabei sei dies dringend notwendig, weil sie oft unter sexuell übertragbaren Infektionen sowie Verletzungen wegen gewalttätiger Sexualpraktiken litten. Auch der psychische Zustand der Frauen sei häufig „sehr bedenklich“, viele griffen zu Alkohol oder Drogen, um die täglichen Erfahrungen zumindest scheinbar erträglicher zu machen. Das Prostituiertenschutzgesetz habe hier keine Verbesserungen gebracht.
Viele Prostituierte wenden sich aus Furcht vor Repressalien bei Problemen nicht an die Behörden
Nach Einschätzung von Juanita Rosina Henning, Mitbegründerin des Vereins Doña Carmen, ist das 2017 verabschiedete Gesetz „krachend gescheitert“. Statt Prostituierte zu schützen, wirke es diskriminierend und kriminalisierend. Viktoria K. vom unabhängigen Prostituiertennetzwerk Ella geht der Schutzgedanke des Gesetzes nicht weit genug. Die Frauen würden dadurch vielmehr „verwaltet, gesteuert und sanktioniert“. Selbst systemimmanente Verstöße gegen das Gesetz würden häufig mit Geldbußen geahndet, die nur dazu führten, dass sich die Frauen weiter prostituieren müssten, um die Strafen bezahlen zu können. Stephanie Klee von der Fachberatungsstelle Kassandra bestätigte, dass viele Prostituierte sich aus Furcht vor Repressalien bei Problemen nicht an die Behörden wenden.
Beleuchtet wurde in der Anhörung allerdings auch die Situation von Frauen, die sich bewusst für die Sexarbeit entschieden haben. So forderte die in der Branche tätige Ruby Rebelde mehr Akzeptanz für ihren Beruf. Ihr Eindruck sei, dass in Bayern offenbar politisch gewünscht sei, dass sich das Problemfeld Prostitution durch Verbote „in Luft auflösen möge“. So würden Verstöße gegen die restriktive Sperrbezirksregelung in Bayern schärfer verfolgt als Straftaten von Freiern und Zuhältern. Rebelde sprach von einer „Diskriminierung der Sexarbeit“, die auch dazu führe, dass dort tätige Frauen ihren Beruf verheimlichten, um keine Nachteile etwa bei einem Berufswechsel oder bei der Wohnungssuche zu erleben. Vor diesem Hintergrund wäre es wichtig, die Stigmatisierung von Sexarbeit als Diskriminierungsgrund anzuerkennen.
Mehr Schutz für Sexarbeiterinnen durch die Polizei forderte die seit mehreren Jahren in München als Prostituierte tätige Johanna Weber. Sie erlebe oft, wie Sexarbeiterinnen kriminalisiert würden. „Ich kenne kein anderes Bundesland, in dem Sexarbeiterinnen so viel Angst vor der Polizei haben wie in Bayern“, berichtete sie. In Hamburg habe sie das ganz anders erlebt, dort sei die Polizei für die Frauen eher der sprichwörtliche Freund und Helfer. „Hier in München ist jeder froh, wenn die Sitte wieder weg ist“, schilderte Weber. Auch sie forderte eine insgesamt bessere gesellschaftliche Anerkennung der Sexarbeit und eine mit anderen Berufsgruppen vergleichbare staatliche Unterstützung. Wie die Sozialforscherin Joana Lilli Hofstetter mitteilte, fehle es in Bayern an wissenschaftlich fundierten Daten zur Lage der Prostituierten. Dies sei aber zentral für gezielte Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation.
(Jürgen Umlauft)
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