Die Corona-Krise habe jede Menge Schwachstellen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft offenbart, meinen die Freien Wähler. Und präsentieren selbstbewusst ihr „Feuerwerk an politischen Ideen“, um entgegenzusteuern. Als Kritik am Koalitionspartner CSU und Markus Söder wollen sie ihren Vorstoß nicht verstanden wissen. Auch wenn es aktuell in der Koalition etwas kriselt.
„Der Patient Bayern liegt im Koma“, erklärt Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler. Im künstlichen Corona-Koma, in das Gesellschaft und Wirtschaft aufgrund der Virus-Pandemie versetzt werden mussten. Ein Koma, das aber auch einen neuen Möglichkeitsraum eröffne, wie Mehring betont. Die Möglichkeit nachzujustieren für den Zeitpunkt, wenn der Patient wieder aufwacht. Das Ziel, das er markig ankündigt: „Bayern nach Corona noch besser zu machen, als es schon gewesen ist.“
Mehring leitet die Corona-Taskforce der Freien Wähler, die Fraktionschef Florian Streibl bereits vor Ostern eingesetzt hat. Diese Woche stellte sie im Landtag mit ihrem Strategiepapier Lessons Learned – Lehren aus Corona das Ergebnis vor. Die Krise habe „eine Art Brennglaseffekt“ auf die Fehlentwicklungen, so Mehring. „Sie führt uns vor Augen, wo es Nachbesserungs- und Optimierungsbedarf gibt.“
Als Kritik am Koalitionspartner CSU und deren Ministerpräsident Markus Söder möchten Streibl und Mehring ihren Vorstoß nicht verstanden wissen – obwohl er ausgerechnet in eine Zeit fällt, in der es in der Koalition mächtig knirscht. Freie-Wähler-Chef und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hatte sich zuletzt ganz offen über die Zusammenarbeit im Corona-Krisenmanagement beklagt. Mehring dagegen singt eine Lobeshymne auf das konsequente und entschlossene Handeln der Staatsregierung unter der Führung Söders. Bayern habe die Corona-Infektionswelle besser überstanden als andere Länder, sei „zur Benchmark der Krisenbewältigung in Deutschland und darüber hinaus“ geworden.
Und doch: Optimierungsbedarf sehen die Freien Wähler in nahezu allen Politikbereichen. Gut 60 Seiten ist das Papier stark. Ein wichtiger Bereich: die Gesundheitspolitik. Durch die Corona-Krise kam es zu massiven Einnahmeeinbrüchen bei Bayerns Kliniken. Intensivbetten wurden bereitgestellt, viele blieben – zum Glück – leer. „Die Finanzierung durch Fallpauschalen wirkt sich gerade auf kleinere Krankenhäuser nachteilig aus“, betont die gesundheitspolitische Sprecherin Susann Enders. Nicht nur in Zeiten von Corona. Sie fordert eine Sockelfinanzierung für die Kliniken, mit der Häuser ihre Fixkosten decken können. Denn müssten finanzschwache Kliniken schließen, sei die so wichtige flächendeckende und wohnortnahe Krankenhausstruktur in Bayern in Gefahr.
Ein einmaliger Bonus für Pflegekräfte reicht nicht
Ebenfalls im Fokus der Freien Wähler: bessere Rahmenbedingungen für das Pflegepersonal. In der Krise sei der Fachkräftemangel in diesem Bereich besonders deutlich geworden. Mit einem einmaligen Bonus sei es aber nicht getan, um den Beruf attraktiver zu machen, so Enders. Sie fordert eine bessere Bezahlung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Auch in den Bereichen Wirtschafts- und Finanzpolitik sehen die Freien Wähler jede Menge Verbesserungspotenzial. Energieexperte Rainer Ludwig fordert individuelle Öffnungskonzepte und Förderprogramme für die am schwersten betroffenen und existenziell bedrohten Branchen wie Tourismus, Gastronomie sowie den Kunst-, Kultur-, Messe- und Eventbereich. Sie hätten so gut wie keine Chance auf Nachholeffekte. Er lobt das Konjunkturpaket des Bundes mit dem Volumen von 130 Milliarden Euro. „Die überraschende und vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer ist ein wichtiger Baustein“, erklärt Ludwig. Gerade im Gastronomiebereich sei aber eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer wünschenswert.
Was Ludwig ebenfalls missfällt: dass aus der heiß diskutierten Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor nichts geworden ist. „Die Automobilindustrie ist eine wesentliche Säule unseres Wohlstands“, ergänzt der haushaltspolitische Sprecher Bernhard Pohl. An der 400-Milliarden-Euro-Branche hänge jeder zehnte Arbeitsplatz. Deshalb fordere seine Fraktion eine Steuerreform, die den Mittelstand im Blick habe, aber auch die Schlüsselindustrien.
Nach der Krise konsequent Verschuldung wieder senken
Außerdem pocht Pohl auf eine strikte Haushaltsdisziplin zur Stabilisierung der Wirtschaft. Der Freistaat mobilisierte bislang 80 Milliarden Euro für die Corona-Krise. „Nach der Krise müssen wir ganz konsequent daran arbeiten, die Verschuldung wieder zu senken“, fordert er. Denn vor allem die Tatsache, dass der Freistaat Reserven angesammelt und eine niedrige Staatsverschuldung hatte, habe ihn überhaupt erst in die Lage versetzt, angemessen auf diese Krise reagieren zu können. „Wir müssen handlungsfähig bleiben für weitere Krisen“, betont Pohl.
Vieles, was die Freien Wähler wollen, deckt sich mit Forderungen der CSU. Söder etwa hat bereits selbst eine Schuldenobergrenze gefordert. Vor allem ein Punkt im Strategiepapier aber dürfte dem Ministerpräsidenten gar nicht schmecken: Die Freien Wähler wollen – wie auch die Opposition – dem Landtag mehr Befugnisse in der Corona-Krise übertragen. Bislang waren bis auf finanzielle Fragen zu Kreditermächtigungen alle wichtigen Maßnahmen vom Kabinett entschieden worden. „Das Primat sollte stets bei der gewählten Volksvertretung im Bayerischen Landtag liegen“, betont Mehring. Er müsse die letzte Kontrollinstanz insbesondere bei Grundrechtseinschränkungen sein.
Ungewöhnlich ist diese Forderung nicht allein deshalb, weil sie von einer Regierungsfraktion kommt, sondern auch, weil die Freien Wähler in der Plenarsitzung vor Pfingsten einen entsprechenden Antrag der FDP abgeschmettert haben. „Weil wir nicht über jedes Hochkomma einer Verordnung im Landtag diskutieren wollen, wie sich das die Opposition gewünscht hat“, so Mehring. „Das würde Regierungshandeln lähmen.“
Zum Abschluss erklärte Mehring vollmundig: Die historische Krise sei auch eine historische Stunde – und zwar für ihr „Feuerwerk an politischen Ideen“. Wie viel vom Feuerwerk nach der Abstimmung mit dem Partner CSU übrigbleiben wird, ist allerdings die Frage.
(Angelika Kahl)
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