Landtag

Ob Atemwegserkrankung, Adipositas oder Verhaltensstörung – die Kinder-Reha hilft, wieder gesund zu werden. (Foto: dpa)

11.11.2016

Das verschmähte Juwel

Immer mehr Jugendliche sind chronisch krank – doch die Antragszahlen auf Kinder-Reha gehen zurück

Über 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahre leiden laut einer Erhebung des Robert-Koch-Instituts an chronischen Erkrankungen. „Atemwegserkrankungen, psychische Verhaltensstörungen und Adipositas machen zwei Drittel der Patienten in der Kinder-Reha aus“, erklärte der Direktor der Fachklinik Gaißach der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd, Carl-Peter Bauer. Der Rest betreffe die Haut und den Bewegungsapparat. Der Gesundheitsausschuss hatte den Experten in den Landtag geladen, um die Situation der Kinderrehabilitation in Bayern zu beleuchten. Grund: „Es gibt einen erschreckenden Rückgang der Antragszahlen auf Kinder-Reha“, warnte Ausschusschefin Kathrin Sonnenholzner (SPD).

Ein klassischer Fall für die Reha ist Diabetes. Insgesamt 30 000 unter 18-Jährige in Deutschland leiden an Insulinmangel. 21,9 Prozent zeigen Symptome von Essstörungen. Das Problem bei Adipositas ist nicht nur das Übergewicht, sondern die damit einhergehenden Kreislaufprobleme, Leberstörungen und der Bluthochdruck. In der Reha erhalten Betroffene eine psychologische Betreuung, Ernährungsberatung und ein Sportprogramm. 14,7 Prozent haben zudem psychische Auffälligkeiten. „Insgesamt gibt es eine besorgniserregende Zahl an chronischen Erkrankungen“, konstatierte Bauer.

Insgesamt gibt es in Bayern elf Einrichtungen für die Kinder-Reha. Fast alle liegen am bayerischen Alpenrand. Sieben davon gehören der Deutschen Rentenversicherung, die restlichen den Krankenkassen. Die Kosten übernimmt, bei wem der Antrag zuerst eingeht. Privatversicherte sind davon ausgeschlossen, weil sie keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen. Für Beamte gelten Ausnahmen.

CSU: Eltern und Ärzte über Kinder-Reha informieren

Doch obwohl die chronischen Erkrankungen zunehmen, gehen die Anträge auf Kinder-Reha zurück: bundesweit von rund 85 000 in 2007 kontinuierlich auf 59 000 in 2015. In Bayern sieht es nicht besser aus: Dort sank die Zahl von 2437 im Jahr 2011 auf 1930 im Jahr 2015. „Kinder werden nicht gesünder“, sagte Bauer. „Wir können den Rückgang daher nicht nachvollziehen.“ Als Grund vermutet er, dass Eltern immer seltener bereit sind, ihr Kind in die Reha zu schicken, wenn sie selber nicht mitkommen dürfen. „Die zunehmende Angst vor Schulversäumnis darf auch nicht unterschätzt werden“, ergänzte Bauer. Dabei gebe es in der Reha täglich zwei bis drei Stunden Stützunterricht – mit den gleichen Themen wie in der Schule des jeweiligen Kindes.

Das neue Flexirentengesetz sieht vor, Kinder-Reha von einer Kann-Leistung zu einer Pflicht-Leistung der Rentenversicherung und Krankenkassen zu machen. Manche Experten sehen darin einen Grund für die sinkenden Zahlen: Die Krankenkassen wollten sich ein finanzielles Polster schaffen. Außerdem soll durch das Gesetz die familienorientiere Kinder-Reha ausgebaut werden, dann könnte statt der Eltern zum Beispiel auch der Onkel das Kind begleiten. Des Weiteren soll die Karenzzeit verkürzt werden, die Kindern eine Reha bisher nur alle vier Jahre erlaubt. Ab 2018 will die Rentenversicherung auch für die Nachsorge aufkommen. Die Umsetzung dürfte allerdings schwierig werden: „Wenn einer aus Nordbayern ist, kann er schlecht zur Nachsorge nach Südbayern in die Klinik kommen“, verdeutlichte Bauer. Eventuell könnte diese Nachsorge aber stattdessen beim Kinderarzt oder in speziellen Zentren stattfinden.

Für Klaus Holetschek (CSU) ist die Kinder-Reha ein „Juwel in der Versorgungskette“. Daher sei es „unfassbar“, dass die Anträge zurückgingen. Er forderte, die Aufklärung von Eltern und Ärzten zu verbessern. „Selbst viele Klinikleiter wissen nicht, was es gibt und wie man an die Leistung drankommt“, meinte Holetschek. Bürokratische Vorgaben müssten seiner Meinung nach durch das Flexirentengesetz beseitigt werden: Momentan dauere die Antragsbewilligung bis zu eineinhalb Jahren. „Das kann ich nicht nachvollziehen.“

„Wenn schon jetzt die Novellierung des Flexirentengesetzes ansteht, sollten wir uns in Bayern auch um einen Antrag kümmern“, betonte Uli Leiner (Grüne). Peter Bauer (Freie Wähler) sorgte sich ebenfalls um Kinder, die nicht zur Reha dürfen: Knapp jeder zweite Antrag wurde abgelehnt. Zwar gehen die Zahlen zurück – es seien aber immer noch zu viel.

Ausschusschefin Sonnenholzner meinte: „Wenn ich daran denke, dass wir den Reha-Anspruch für Erwachsene seit 2004 haben und wie holprig das noch ist, werden die Kinder selber Eltern sein, bis wir zu einem flächendeckenden Status kommen.“ (David Lohmann)

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