Landtag

Michael Piazolo (Foto: DPA/Hoppe)

21.05.2021

Der Bedächtige

Im Porträt: Michael Piazolo, bayerischer Kultusminister (Freie Wähler)

Als Michael Piazolo im Herbst 2008 für die Freien Wähler Wahlplakate im Süden Münchens aufhängte, rechnete er nicht ernsthaft damit, in den Landtag einzuziehen. Anders als auf dem flachen Land waren die Freien Wähler in der Landeshauptstadt damals eine Splitterpartei. Doch der ledige Politikprofessor und promovierte Jurist schaffte den Sprung ins Maximilianeum und vertritt dort bis heute den Stimmkreis München-Giesing.

So wie die Freien Wähler im urbanen Milieu damals Außenseiter waren, war der intellektuelle Piazolo lange Zeit ein Exot innerhalb der Freien Wähler. Der mittlerweile 61-Jährige sagt, dass er „gerne in einer Großstadt wie München lebt“. In einer Partei, die einst mit dem Versprechen groß geworden ist, der Landbevölkerung eine Stimme zu geben, ist das eher ein Stigma als ein Karriere-Boost.

Der urbane "Ein-Mann-Flügel"

Die Freien Wähler entstanden auf dem flachen Land. Und es war mit Hubert Aiwanger ein Bauer aus Niederbayern, der ab 2006 als FW-Chef die Geschicke der Gruppierung in Bayern übernahm und ihren überregionalen Aufstieg einleitete. Einer seiner Stellvertreter wurde damals Piazolo – und blieb es bis heute. Zunächst war der Professor eine Art urbaner Ein-Mann-Flügel der FW-Landtagsfraktion, später wurde er die unangefochtene Nummer zwei in der Partei, heute ist der gebürtige Stuttgarter bayerischer Kultusminister. In der Öffentlichkeit wird der rasante Aufstieg der FW zwar oft allein Aiwangers Inszenierungsgeschick und den Dauerfehden der CSU zugerechnet. „Doch zentral für einen dauerhaften Erfolg war, dass wir neben Landwirten und Jägern auch die Wähler in der Stadt auf unsere Seite zogen“, sagt ein FW-Funktionär. Und hierzu habe Piazolo als Vertreter des liberalen Flügels entscheidend beigetragen. „Die Großstädter wählen nicht unbedingt Aiwanger“, so der Landtagsabgeordnete.

In seiner Zeit als Generalsekretär zwischen 2010 und 2019 sprach Piazolo auch die urbane Wählerschaft an. Er setzte sich etwa für einen späteren Ladenschluss, ein Wahlrecht zwischen acht- und neunjährigem Gymnasium oder mehr direkte Demokratie ein. Die Frage, wie man mehr Bürgerbeteiligung erreichen könne, war einer der Gründe, warum Piazolo letztlich 2001 überhaupt zu den Freien Wählern ging. Sein größter Triumph als Generalsekretär war das erfolgreiche Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren. Damit traf er den Nerv vieler Familien und junger Menschen – auch außerhalb der FW-Kernklientel.

In München konnten die Freien Wähler ihren Stimmanteil bei Landtagswahlen zwischen 2008 und 2018 auf über sechs Prozent versechsfachen. Der weltoffene Piazolo ist auch dort gern gesehener Gast, wo Aiwanger mit seinen mitunter scharfen Tönen in der Migrationspolitik nicht immer gut ankommt. Der Sohn eines Lehrerpaars ist stellvertretender Vorsitzender der Münchner Europa-Union und Beirat der Türkischen Gemeinde Bayern. „Ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr Menschen mit Migrationshintergrund bei den FW engagieren“, sagt er.

Die ständigen Vergleiche mit Aiwanger ist Piazolo gewohnt. Dass ihn die Süddeutsche Zeitung einmal den „Anti-Aiwanger“ nannte, bringt ihn zum Schmunzeln. Tatsächlich könnten beide in ihrer Außendarstellung kaum anders sein. Aiwanger ist eher der Typ Volkstribun. Er agiert mitunter kantig, haut auch immer wieder einen markigen Spruch raus. Piazolo dagegen wählt jedes Wort mit Bedacht.

Bundespolitische Ambitionen hat er nicht

Der Kultusminister ist ein Mann der leisen Töne. „Er agiert unaufgeregt, nicht emotional und betrachtet die Dinge nicht aus einer ideologischen Ecke“, lobt Gabriele Triebel, Bildungsexpertin der Grünen-Landtagsfraktion. Bei dem FW-Politiker könne man sich auf Absprachen verlassen. Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer der FW-Fraktion, lobt Piazolos ruhige Art und „hohe Fachkenntnis“.

Als Piazolo Generalsekretär unter Aiwanger war, blieb er zumeist im Hintergrund. „In anderen Parteien ist es der Generalsekretär, der gerne einmal draufhaut. Das war ich nie“, sagt der Professor. Als Kultusminister musste er sich von Aiwanger bislang keine Einmischungen gefallen lassen.

Anders sieht es seitens des Koalitionspartners aus. So bestimmte bei den Schulöffnungen mitunter Ministerpräsident Markus Söder das Tempo. Als Piazolo vor zweieinhalb Jahren den Chefsessel im Kultusministerium übernahm, war dies für die Christsozialen eine Schmach. Zum einen hatten alle Bildungsminister in den vergangenen sechs Jahrzehnten ein CSU-Parteibuch. Zum anderen ist Bildungspolitik Landespolitik – die Partei verlor viel Gestaltungshoheit. Vielleicht fällt die CSU-Kritik an Piazolo auch deshalb mitunter heftig aus. Als der Digitalunterricht mit der Unterrichtsplattform Mebis vor Weihnachten zickte, nannte der CSU-Landtagsabgeordnete Franz Pschierer Piazolo eine „klare Fehlbesetzung“.

Aus den eigenen Reihen bekommt der frühere Professor dagegen Lob. „Er macht eine gute Arbeit. Die Digitalisierung des Bildungssystems war vor seiner Zeit verschlafen worden“, sagt FW-Politiker Mehring. Er verweist darauf, dass andere Länder weit größere Probleme mit dem Digitalunterricht hatten.

Kritik gab es zuletzt an Piazolos Krisenkommunikation – etwa bei der Einführung der Maskenpflicht für Grundschulkinder. Eine Aussage des Ministers zu einem Schulaufgabenverbot musste in der Folge sogar revidiert werden. Lehrer- und Elternverbände bemängelten zudem die Umsetzung der Notbetreuung und des Wechselunterrichts. Im Vergleich zu den meisten anderen Bundesländern kamen Bayerns Schulen jedoch relativ gut durch die Krise. „Die Corona-Krise ist natürlich für uns alle ein große Herausforderung“, sagt Piazolo.

Weil Corona alles überlagerte, konnte Piazolo manche seiner Wunschprojekte bislang kaum vorantreiben. „Wichtig ist mir die Chancengerechtigkeit an Bayerns Schulen“, sagt er. Derzeit haben Kinder aus prekären Verhältnissen in Bayern weit schlechtere Chancen, Abitur zu machen. Während seine CSU-Vorgänger dieses Problem weitgehend ignorierten, will Piazolo das Schulsystem durchlässiger machen. Er möchte verstärkt multiprofessionelle Teams einsetzen, also Schulpsychologen sowie Sozial- und Sonderpädagogen an die Schulen schicken.

In seiner Freizeit spielt Piazolo Klavier und joggt. „Ich wohne ja nicht weit von der Isar entfernt.“ Und er liest viel – Literaturtipps bekommt er manchmal von seiner Freundin. Sollte Aiwanger mit den Freien Wählern den Sprung nach Berlin schaffen, will Piazolo in München bleiben. „Mein Platz ist hier.“ (Tobias Lill)
 

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