Landtag

Jan Schiffers (AfD). (Foto: Privat)

25.09.2020

Der Beinahe-Nichtwähler

Im Porträt: Jan Schiffers, integrationspolitischer Sprecher der AfD

Jan Schiffers stammt aus Kaltenkirchen. Nein, nicht das fiktive Niederkaltenkirchen, in dem der niederbayerische Dorfpolizist Franz Eberhofer sein literarisches Unwesen treibt, sondern Kaltenkirchen in Schleswig-Holstein. Wenn Schiffers redet, ist jede Verwechslung sofort ausgeschlossen. Er spricht das klare, etwas gedehnte Deutsch der Nordlichter. Trotzdem sitzt er jetzt im Bayerischen Landtag – für die AfD. Zum Jurastudium hatte es ihn nach Erlangen verschlagen, weil er etwas anderes sehen wollte als das Land zwischen den Meeren und ihm der Sinn nach einer typischen Universitätsstadt stand. Nach dem Referendariat am Landgericht Darmstadt bekam er eine Stelle als Rechtsanwalt in Bamberg, Schwerpunkt Miet- und Arbeitsrecht.

Der Einstieg in die Politik war für den heute 43-Jährigen nicht vorgezeichnet. Außer an Info-Ständen des Landesbunds für Vogelschutz und als „Bamberger Lesepate“ in Horten und Kindergärten trat Schiffers in seinen jüngeren Jahren kaum öffentlich in Erscheinung. In eine Partei einzutreten sei früher nie Thema gewesen, rekapituliert er. Er sei politisch interessiert gewesen, habe erst CDU und dann in Bayern CSU gewählt.

Das änderte sich 2013 mit der Gründung der AfD, in die es ihn wegen seines Unbehagens über die Euro-Rettungsschirme getrieben hatte. „Dieses Alternativlose hat mich gestört“, erinnert Schiffers an eines der umstritteneren Zitate von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Union war für seinen Geschmack zudem zu sehr in die Mitte gerückt. „Hätte die Union den konservativen Teil ihrer Wählerschaft nicht vernachlässigt, gäbe es die AfD nicht – zumindest nicht in den Parlamenten“, glaubt Schiffers. Und gäbe es die AfD nicht, wäre er heute wahrscheinlich Nichtwähler. In der damaligen AfD aber fand Schiffers Gleichgesinnte, im neu gegründeten AfD-Kreisverband Bamberg sei er schnell „in Ämter gerutscht“. Seit 2016 ist er dort Vorsitzender.

Ein Jahr davor hat Schiffers die „Erfurter Erklärung“ unterschrieben, die sich als Gründungsurkunde des rechtsnationalen „Flügels“ innerhalb der AfD entpuppen sollte. Spricht man ihn darauf an, holt Schiffers erst einmal tief Luft und schaut dann so, als sei er bei einer Jugendsünde erwischt worden. „Ja, die habe ich unterschrieben“, bekennt er dann. „Aus damaliger Sicht fand ich das richtig, weil es ein Stück weit eine Protestnote gegen den Kurs von Bernd Lucke war.“ Der führte die Partei damals.

Wie vielen anderen in der AfD war Schiffers aufgestoßen, dass Lucke entgegen der Beschlusslage in der Partei den Russland-Sanktionen der EU zugestimmt hatte und wichtige Punkte des Parteiprogramms einfach nicht anpacken wollte. „Die Erfurter Erklärung war für mich ein Signal, darauf hinzuweisen, was Beschlusslage war in der Partei“, sagt Schiffers heute. Was sich später daraus entwickelt habe, „war damals für mich nicht absehbar“. Schiffers betont, dem – inzwischen formal aufgelösten – „Flügel“ nie angehört und auf Facebook nie Äußerungen von Flügel-Leuten geteilt zu haben. Gemeinsame Auftritte mit „Flügel“-Frontmann Björn Höcke? „Nein, das würde ich nie machen.“

Dass die Rechten in der AfD zunehmend die Oberhand gewinnen, ist für Schiffers dennoch kein Grund, mit der Partei zu brechen. „Vielfalt ist auch eine Stärke einer Partei.“ Er finde es gut, dass es in der AfD Leute gebe, die sich für die Interessen der Wirtschaft stark machten, und solche, die nationalkonservative Menschen ansprächen. „Inhaltlich sehe ich keine Unvereinbarkeit, es geht mehr um das Auftreten“, erklärt Schiffers. Wie eine klare Distanzierung von den rechten Aufwieglern, auf die der Verfassungsschutz ein Auge geworfen hat, klingt das nicht. Immerhin unterstützt er die Bestrebungen des AfD-Bundesvorstands, gegen „Randerscheinungen“ wie den aus der Partei ausgeschlossenen Wolfgang Gedeon vorzugehen.

Auf die Frage, wann die AfD nicht mehr seine Partei sein könne, entfährt Schiffers eine spontanes „poah, schwierig“. Nach kurzem Überlegen sagt er: „Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Stärkung der Freiheitsrechte – das ist für mich unverhandelbar.“ Wenn sich da etwas anders entwickeln würde in der AfD, müsste er nachdenken. Aber es gebe doch Leute in der Partei, die unverhohlen forderten, das „System“ müsse überwunden werden? „Die freiheitlich-demokratische Grundordnung überwinden zu wollen, das geht für mich gar nicht“, antwortet Schiffers. Und wenn es heiße, Deutschland sei nicht souverän als Staat und man habe keine ordentliche Verfassung – „da kann ich nur mit dem Kopf schütteln“. Dass in seiner eigenen Landtagsfraktion Kollegen solche Ansichten teilen, hat Schiffers aber noch nicht offen kritisiert. Er melde sich als „eher ruhiger Zeitgenosse“ intern zu Wort, gibt er an.

Er gehört zu der Gruppe, die die Fraktionsspitze ablehnt

Als Debattenredner gehört Schiffers zu denen in der AfD, die pointiert, aber ohne Schaum vor dem Mund argumentieren. Seine Parole laute „Hart in der Sache, aber gesetzt im Ton“. Er halte auch nichts davon, den politischen Gegner wahlweise als Nazi oder Öko-Spinner abzutun. Schiffers‘ Positionen decken sich mit dem Programm der AfD. Er sieht die Energiewende kritisch, tritt für die Stärkung der „traditionellen Familie“ ein, beklagt den starken EU-Einfluss auf die nationale Politik und fordert den Erhalt von Heimat und Kultur. Als Zugezogener habe er dafür vielleicht ein besonderes Auge, wie einzigartig und bewahrenswert Tradition und Brauchtum seien.

In der Migrationspolitik argumentiert Schiffers für AfD-Verhältnisse differenziert. Das Asylrecht gehöre zum Rechtsstaat, humanitäre Hilfe für Geflüchtete gehöre sich einfach. Die andere Seite der Medaille sei aber, dass als Asylbewerber abgelehnte sowie ausreisepflichtige Personen konsequent abgeschoben werden müssten. Das Bamberger „Anker-Zentrum“ sieht er kritisch, nicht zuletzt, weil es angeblich Wohnraum für die einheimische Bevölkerung blockiere.

Für die AfD sitzt Schiffers im Sozialausschuss, er fungiert als Sprecher der Fraktion für Kinder- und Jugend- sowie für Integrationspolitik. Als solcher trat er für ein Minarettverbot in Bayern ein. In der Fraktion gehört Schiffers zu der Zwölfer-Gruppe, die die Abwahl der Fraktionsspitze anstrebt. Privat sei er ein Familienmensch. Seine Freizeit verbringe er am liebsten mit seiner Frau und den beiden Kindern. Wandern, Zoo-Besuche und, wenn Zeit bleibe, dann mal eine Stadt oder ein Museum besuchen. „Nichts Spektakuläres“, erklärt Schiffers. Man könnte auch sagen: halt norddeutsch unterkühlt. (Jürgen Umlauft)

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