Die Faschingsferien bräuchte es doch gar nicht. Hotels und Spaßbäder hätten eh zu, verteidigte, etwas eigenwillig, der Freie Wähler Nikolaus Kraus die Streichung der Ferien vergangene Woche im Plenum. Das muss man dem 55-jährigen Ismaninger lassen – so hemdsärmelig er mitunter wirkt, so offen und sympathisch ist er. Und gibt unumwunden zu: „Ich tue mich unglaublich schwer, mich in die Bildungspolitik einzuarbeiten.“
Welcher Politiker hat schon den Mut, so offen zu seinen Schwächen zu stehen? Eine Mitarbeiterin des Kultusministeriums fragte er vor der entscheidenden Plenarsitzung so frech wie selbstironisch: „Hä, ich soll die Anträge gegen die Ferienstreichung ablehnen? Warum?“ Kraus muss lachen. „Da hat die aber kurz ihre Gesichtsfarbe gewechselt.“
Landwirtschaftsmeister Kraus, der seit 2013 im Landtag sitzt, gehört in dieser Legislatur neben dem Agrarausschuss erstmals auch dem Bildungsausschuss an. Das habe sich so ergeben, sagt er, spricht von einem fraktionsinternen „Kompromiss“. Gut, dass er mit Eva Gottstein, Vize des Bildungsausschusses, eine äußerst kompetente FW-Kollegin an der Seite hat. Außerdem sei in der Politik ja nicht nur die fachliche Ebene wichtig, sagt Kraus. Man müsse auch gut mit Menschen können – so wie er eben. Selbstbewusst fügt er an: „Ich stehe dazu, dass ich es mit meinem qualifizierenden Hauptschulabschluss in den Landtag geschafft habe. Ohne Abitur und ohne Studium.“
Hat er um 9 Uhr einen Termin im Landtag, fährt er um 5 Uhr aufs Feld
In der Fraktion kommt Kraus’ Bodenständigkeit gut an. Auch Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer der FW, schätzt Kraus’ „sehr menschliche, sympathische und humorvolle Art“. Und dessen agrarpolitisches Engagement. Kraus, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern, bewirtschaftet in Ismaning einen Gemüsehof in dritter Generation. Er baut Kartoffeln an – und natürlich das berühmte Ismaninger Kraut, das schon seit Jahrhunderten für den Ort steht. Hat Kraus morgens um neun Uhr den ersten Termin im Landtag, steht er um fünf Uhr auf und fährt aufs Feld. „Nicht nur, weil die Arbeit getan werden muss, sondern weil ich es will“, sagt er. „Bauer zu sein ist meine Berufung.“
Auf seinen Feldern verzichtet Kraus auf das umstrittene Pflanzengift Glyphosat, auch setzte er sich früh für ein Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen ein. Ein Grünen-Sympathisant ist er deshalb längst nicht. Das Volksbegehren zum Artenschutz und das daraus resultierende Artenschutzgesetz lehnte er kategorisch ab. „Weil die Landwirtschaft zum Hauptverursacher des Artensterbens erklärt wurde“, sagt er. Und so stimmte Kraus als einer von sechs Freien Wählern im Sommer 2019 gegen das Artenschutz-Paket der eigenen schwarz-orangen Koalition. „Darauf bin ich stolz“, betont er. „Ich weiß, was Loyalität und Regierungsverantwortung sind, aber es gibt rote Linien.“
Kraus sieht sich als Freigeist. Der ehemalige Ismaninger FW-Bürgermeister Michael Sedlmair habe ihn sogar mal als „seine eigene Opposition“ bezeichnet. „Weil es keinen Gemeinderat gab, der öfter gegen ihn stimmte als ich“, so Kraus. Zum Beispiel stellte er sich bei einer umstrittenen Geothermieanlage lange quer, stimmte am Ende aber doch zu. Auch das ist eine bemerkenswerte Eigenschaft von Kraus: Er ist immer offen für neue Argumente.
Nur widerwillig legte sich Kraus ein Handy zu
Es war Sedlmair, der den Landwirt Kraus 1989 zur Freie Wähler Gemeinschaft Ismaning brachte. Kraus wiederum schätzte Sedlmair und unterstützte dessen Bürgermeisterkandidatur. Die CSU war für Kraus keine Option, vor allem deshalb, weil es ihm dort „zu hierarchisch“ zuging. Sein politisches Erweckungserlebnis hatte Kraus bereits einige Jahre zuvor, als mit dem Bau der S-Bahn-Trasse durch Ismaning eine Teilung des Ortes drohte. Kraus sammelte Stimmen für die Bürgerinitiative eines ehemaligen Lehrers – und tatsächlich gewannen die Bürger*innen den Kampf gegen die Bundesbahn: Ismaning bekam einen S-Bahn-Tunnel. „Für mich war das damals ein Aha-Erlebnis“, sagt Kraus. „Nicht nur jammern, sondern machen.“
Kraus zog 1996 in den Gemeinderat, 2008 in den Kreisrat ein. Seit 2009 ist er Vorsitzender der Freien Wähler im Landkreis München. Der 55-Jährige ist Ismaninger durch und durch. Selbst als junger Mann blieb er lieber zu Hause, als groß zu verreisen. „Mir gfallt’s dahoam“, sagt Kraus. So sehr, dass er darauf verzichtet hätte, für den Landtag zu kandidieren, würde er weiter weg wohnen. Denn dann könnte er ja nicht jeden Abend heimfahren. Im Jahr 2013 hatte er sich deshalb sogar noch geweigert, auf Ausschussreisen mitzukommen. Erst Ende 2019 ließ er sich erweichen. Und flog mit dem Agrarausschuss nach Argentinien.
Abgesehen vom Motorradfahren zählt es zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, mit den Leuten in seiner Region zu ratschen. Kraus ist Vereinsmensch und Volksfest-Fan. „Mein Leben ist mein Wahlkampf“, sagt Kraus. Von den typischen Partei-Infoständen hält er wenig: „Mich wählt doch keiner, nur weil ich ihm einen Kugelschreiber schenke.“
Er sieht sich als großen Netzwerker. Soziale Netzwerke braucht er dazu nicht. Auf Facebook ist er nur, „weil es hieß, dort nicht aktiv zu sein, sei politischer Selbstmord“, erzählt er. Sogar einem Handy hat sich Kraus lange verweigert. Ein paar Monate nach dem Landtagseinzug legte er sich doch eines zu. „Den Mitarbeitern zuliebe“, sagt Kraus. „Wenn ich nicht mehr im Landtag sein sollte, schmeiße ich es sofort weg.“
Beim Handy machte Kraus einen Kompromiss, bei der Kleidung tut er das nicht. Immer wieder sagen ihm Leute, auch die eigene Schwester, dass er als Abgeordneter doch mal etwas seriöser auftreten müsse. Doch Kraus ist kein Krawattentyp. Jeans, Trachtenhemd und Janker – das ist sein Outfit, auch im Maximilianeum.
Zu besonderen Anlässen, beim Neujahrsempfang des Ministerpräsidenten zum Beispiel, wirft sich Kraus in Schale: nämlich in seinen 24 Jahre alten Trachtenanzug, den er bei seiner Hochzeit trug. Er ist stolz, dass der noch passt – obwohl er früher täglich eine Tafel Schokolade verputzte. Weil bald nach dem Landtagseinzug die körperliche Arbeit weniger wurde und die Weste spannte, zog Kraus die Reißleine. Schokolade gibt’s jetzt nur noch ab und zu. Bei der Figur ist bei ihm Schluss mit lustig. So weit geht’s mit der Bodenständigkeit dann auch wieder nicht.
(Angelika Kahl)
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