Landtag

Gewann das Direktmandat mit 63 Stimmen Vorsprung: Benjamin Adjei. (Foto: loh)

04.01.2019

Der Diplomatische

Portät: Benjamin Adjei (Grüne), Sprecher für Digitalisierung

Es war die Sensation der Landtagswahl in Bayern: Der grüne Newcomer Benjamin Adjei gewinnt in München das Direktmandat gegen die Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Mechthilde Wittmann (CSU). Nur 87 der insgesamt 67 000 Stimmen im Stimmkreis Moosach trennten die beiden Kandidaten. Der 28-Jährige hatte selbst nicht an ein Direktmandat geglaubt. „Es gab zwar Hoffnungsschimmer, aber die habe ich immer kleingehalten“, sagt er. Durch den Sieg wurde plötzlich bundesweit über den Taufkirchner berichtet, ihn erreichten Glückwünsche aus ganz Deutschland – „auch von CSUlern“, betont er.

Doch eine Woche später musste Adjei erneut zittern. Da es in München in der Wahlnacht zu Pannen bei der Datenerfassung kam, forderte die CSU, die Stimmzettel im Wahlkreis Moosach erneut auszuzählen. Adjeis Vorsprung schmolz, aber am Ende waren es immer noch 63 Stimmen mehr, als seine engste Konkurrentin bekam. Die Tage während der Neuauszählung seien eine „intensive“ Zeit für ihn gewesen, sagt Adjei und lacht. Das Ganze habe aber auch sein Gutes gehabt: „So konnten jegliche Zweifel an meiner Wahl aus der Welt geräumt werden.“ Mit Wittmann selbst hatte er nie Kontakt – weder im, noch nach dem Wahlkampf.

Adjei ist am Tegernsee geboren, verbrachte seine Kindheit in Schliersee, seine Jugend in Holzkirchen und seine Schulzeit in Bad Tölz. Seine Mutter kommt aus Nordrhein-Westfalen, sein Vater aus Ghana. Es reicht schon weniger, um sich in manchen bayerischen Dörfern nicht willkommen zu fühlen. „Im jungen Alter wurde ich teilweise ausgegrenzt und musste mir blöde Worte gefallen lassen“, erzählt der Abgeordnete. Er habe sich aber immer viel engagiert. Nicht unbedingt beim Burschenverein, aber bei seinem Fußballclub und bei Dorffesten. „So hatte ich immer einen ausreichend großen Freundeskreis.“ Außerdem könne er Bairisch – das integriere. Im Wahlkampf half das nichts: Dumme Sprüche gab’s trotzdem. „Aber wir Grüne werden ohnehin häufig von Rechten angegangen, das war bei mir nicht ausgeprägter als bei anderen“, ist er überzeugt. Im Landtag habe er bisher keine negativen Erfahrungen mit Rassismus gemacht.

Adjei begann 2011, sich politisch zu engagieren. Atomkraft und die Energiewende waren im Jahr des Reaktorunglücks von Fukushima das beherrschende Thema. „Mein Antrieb war die Umweltbewegung“, erinnert er sich. Eines Tages kam heraus, dass sein Sozialkundelehrer glaubte, Adjei sei Mitglied der Grünen – obwohl er es zu dieser Zeit noch nicht war. „Da dachte ich mir, wenn ich schon wie ein Grüner wirke, kann ich auch Mitglied werden“, sagt er amüsiert. Dann ging es schnell: Ein Jahr später war er Vorstand im Ortsverband, 2013 Sprecher der Hochschul-Landesarbeitsgemeinschaft, 2014 Praktikant bei Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann und 2015 Sprecher der Grünen Jugend Oberbayern.

Das Wort „Blitzkarriere“ hört Adjei nicht gern. Er hat sich sieben Jahre aktiv bei den Grünen eingebracht. „Im Berufsleben wäre das schon eine ordentliche Berufserfahrung.“ In der Fraktion ist er Sprecher für Digitalisierung geworden – sein Wunschthema. Kein Wunder: Er hat an der Hochschule München Informatik studiert und war bis zum Einzug in den Landtag IT-Spezialist für ein Münchner Unternehmen im Bereich künstliche Intelligenz und Data Science. Entsprechend traurig war sein Chef, die Fachkraft gehen lassen zu müssen. In den sozialen Netzwerken ist Adjei nicht besonders aktiv. „Nur weil ich Informatiker bin, muss ich nicht 50 Social-Media-Kanäle bespielen“, erklärt er. Lieber weniger, aber dafür authentisch.

Ob Adjei manchmal mit den Augen rollt, wenn Politiker sich zum Thema Digitalisierung äußern, obwohl sie keine Ahnung haben? „Nein“, antwortet er diplomatisch. „Die Wähler haben hohe Erwartungen, und die Politiker versuchen, sie zu erfüllen.“ Aber nicht jeder könne alles wissen. Verbale Angriffe auf den politischen Gegner sind nichts für Adjei. „Ich bin niemand, der andere basht, solange ich es nicht besser gemacht habe“, erläutert er. Parteikollegen beschreiben ihn als ruhig, aber durchsetzungsstark. Um ein Thema voranzubringen, würde er auch mit Abgeordneten aus den anderen Fraktionen zusammenarbeiten – gerne sogar. „Wenn zu den Absichtsbekundungen im Koalitionsvertrag Inhalte kommen, werden wir das begrüßen“, sagt er. Es wird der schärfte Angriff auf die Staatsregierung bei diesem Gespräch.

Auf Wohnungssuche in München

Im Gegensatz zu vielen anderen Politikern ist Adjei keiner, der sich gerne reden hört. Seine Antworten sind kurz und sachlich. Das ändert sich nur, wenn es um die Digitalisierung in Bayern geht. „München ist vor Berlin das stärkste Digitalzentrum Deutschlands und gemeinsam mit Paris das größte Europas“, schwärmt er. Adjei vermisst aber eine langfristige Digitalstrategie, wo Bayern und Deutschland hinwollen und was das langfristig für die Gesellschaft bedeutet. „Jedem zweiten Deutschen macht die Digitalisierung Angst“, sagt der 28-Jährige. Gründe seien unter anderem die Sorge um den Job und die Freiheit. Adjei hat selbst im Bereich der Datenanalyse gearbeitet. Er will daher in den nächsten fünf Jahren daran arbeiten, Menschen diese Angst zu nehmen. Zum Beispiel dadurch, dass Datenschutz und Datensouveränität endlich ernst genommen werden.

Aktuell pendelt Adjei die elf Kilometer von seinem Wohnort Taufkirchen ins Maximilianeum. Er würde gern nach München ziehen, „aber dort eine Wohnung zu finden, ist nicht so leicht“. Da ergeht es dem Abgeordneten nicht anders als vielen anderen Bürgern. Früher hat Adjei in einem Fitnessstudio gejobbt. Das Gym im Landtag hat er aber noch nicht begutachtet.

Sein neues Landtagsbüro ist wegen der vielen durch die Wahl nötig gewordenen Umbaumaßnahmen noch nicht fertig. Adjei improvisiert und macht aus Sitzungssälen kurzerhand Coworking-Spaces. Sorgen, dass er nach seiner Zeit im Landtag den Anschluss an die technische Entwicklung in seinem Beruf verlieren könnte, hat er nicht. Verstehen, wie Dinge funktionieren, hat Adjei schon immer gereizt. Außerdem sei klassisches Programmieren wie Fahrradfahren, sagt er: „Das verlernt man nicht.“ (David Lohmann)

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