Für die Parlamentsstenograf*innen sind seine Reden eine Herausforderung. Der fraktionslose Abgeordnete Raimund Swoboda hat zwar oft nur zwei Minuten Redezeit, doch in diese zwei Minuten will er erstens alles hineinpacken, weshalb er zweitens sehr schnell spricht, und drittens gebraucht er dabei gern ungewöhnliche Wörter oder eigene Wortschöpfungen. Da wirft er zum Beispiel dem Innenminister vor: „Verehrter Herr Herrmann, was Sie uns da vorlegen, ist gummiparagrafischer Unsinn!“
Gummiparagrafisch? Raimund Swoboda könnte mit dem von ihm kreierten Adjektiv in die deutsche Sprachgeschichte eingehen. Doch sehr wahrscheinlich ist das nicht. Denn die Aufmerksamkeit, die der Redner Swoboda im Plenarsaal genießt, ist sehr begrenzt, was vermutlich an dem lauten, anklagenden, teils abgehackten Duktus liegt, den der 72-jährige Franke gern an den Tag legt.
Raimund Swoboda umweht die Aura des Einzelkämpfers. Im Oktober 2018 wurde der Leitende Polizeidirektor im Ruhestand als AfD-Mitglied in den Landtag gewählt, Ende März 2019 trat er aber aus Partei und Fraktion aus, wodurch er seinen Sitz im Wissenschaftsausschuss verlor. Seitdem übt er sein Mandat als buchstäblicher Hinterbänkler aus: Sein Platz im Plenarsaal ist (vom Präsidium aus gesehen) hinten rechts an der Wand, er hat nicht mal einen Tisch vor sich, nur eine seitliche Ablage.
Viele schalten offensichtlich einfach ab, wenn der ältere Herr mit der Halbglatze und dem gestreiften Schal von ganz hinten rechts ans Rednerpult schreitet. Will man wissen, was Swoboda wirklich gesagt und gemeint hat, empfiehlt es sich sowieso, das Parlamentsprotokoll nachzulesen, denn die Stenograf*innen verstehen die Kunst, aus dem nicht immer verständlichen O-Ton einen nachvollziehbaren Text herauszudestillieren.
In der zitierten Plenardebatte ging es um einen von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes. Da ist Raimund Swoboda ganz in seinem Element, denn der verheiratete Vater zweier Kinder blickt nach eigenen Angaben auf 43 Jahre aktiven Polizeidienst zurück. Die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte und nun von Herrmann präsentierte Gesetzeskorrektur wird nicht nur von Swoboda wegen ihrer Schwammigkeit kritisiert, auch andere Oppositionsredner wie Horst Arnold (SPD) nennen sie „nicht erkennbar transparent“ und „nicht anwendbar“.
Raimund Swoboda indes hat seine Redezeit bereits überzogen, als er seine finale Pointe noch nicht losgeworden ist. „Ich frage Sie, Herr Minister: Geht es Ihnen wirklich um die Stärkung der Bürgerrechte – oder eben doch nur um den bequemeren Weg …“ – dann hört man Swoboda nicht mehr, die Landtagspräsidentin hat ihm nach der zweiten Ermahnung, zum Ende zu kommen, das Mikrofon abgestellt. Allein der Stenograf hat es vernommen, was Swoboda hinter dem Gesetzentwurf der Regierung vermutet: „den bequemeren Weg zum Grundrechtseingriff für die Staatsmacht“.
Solche Töne kennt man eigentlich eher von der linksliberalen Seite. Genauso ungewohnt ist, dass es gerade ein pensionierter Polizeibeamter ist, der vor überzogenen beziehungsweise getarnten Grundrechtseingriffen warnt. Raimund Swoboda überrascht mit progressiven Anwandlungen, die umso unvermuteter daherkommen, als sie in eine stramm rechte Argumentation eingebettet sind. Oft werden diese Einschübe Swobodas deshalb auch gar nicht wahrgenommen.
Auch kommt es schon mal vor, dass sich „der Außergewöhnliche“, wie er sich selbst nennt, bei einer Grünen-Abgeordneten für den Anstoß zu einer Debatte zum Thema psychische Gesundheit bedankt. Und im Januar 2021 war er voll des Lobes für das Lächeln von Melanie Huml (CSU), der gerade gar nicht zum Lächeln zumute war, da sie als bayerische Gesundheitsministerin gehen musste. Die Süddeutsche Zeitung wertete Swobodas Nettigkeiten gegenüber der CSU-Ministerin denn auch als „flirtähnliche Avancen“.
In den fünf Monaten, in denen Swoboda Mitglied der AfD-Fraktion war, wurde er von dieser für prominente Funktionen ins Rennen geschickt – und scheiterte. In der konstituierenden Sitzung des Landtags Anfang November 2018 stieß er als AfD-Kandidat für das Amt eines Vizepräsidenten auf die überwältigende Ablehnung der anderen Fraktionen, einen Monat später nominierte ihn die AfD für das Parlamentarische Kontrollgremium, doch auch hier fiel Swoboda durch. In beiden Gremien ist die Fraktion bis heute nicht vertreten.
Was er sagt, verstehen oft nur die Stenograf*innen
Als Raimund Swoboda im März 2019 als erster Abgeordneter die AfD-Fraktion verließ, war die Freude darüber vor allem bei der SPD groß. Das Wahlergebnis vom Oktober 2018 hatte sowohl SPD als auch AfD 22 Mandate beschert. Durch Swobodas Schritt schrumpfte die AfD-Fraktion auf 21 Abgeordnete, inzwischen hat sie durch weitere Austritte nur noch 17 Mitglieder. Die SPD-Fraktion kann sich über ihr desaströses Wahlergebnis von 2018 damit hinwegtrösten, dass sie nun zumindest stärker ist als die AfD-Fraktion.
Ob Swoboda aus der AfD austrat, weil sie ihm zu rechts war, darüber streiten sich die Gelehrten. Einerseits ist Ende März 2019 in einer Erklärung von ihm vom „Jargon eines neonational-revolutionären Extremismus-Denkens“ die Rede, das in der Landtags-AfD die Oberhand gewinne. Andererseits vertritt er selbst immer wieder extrem rechte Positionen, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik. Innerhalb der AfD-Fraktion schien Swobodas Austritt beinahe einen Dominoeffekt auszulösen. Der AfD-Abgeordnete Franz Bergmüller bekundete Sympathie für Swoboda, beklagte sich über einen extremen Rechtskurs – und wurde umgehend mit einem Ausschluss-Antrag abgestraft, der indes schnell wieder zurückgezogen wurde. Bergmüller ist heute stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Als solcher hat er unterm Strich bei Weitem nicht so viel Redezeit wie der fraktionslose Swoboda.
Wie so mancher AfDler kommt Swoboda ursprünglich aus der CSU, der er nach eigenen Angaben von 1990 bis 1998 angehörte. Noch heute fühlt er sich ihr offensichtlich verbunden. So übernimmt er bei einer Landtagsrede am 1. Dezember 2022 einfach die Kampfparole des CSU-Landesgruppenchefs im Bundestag, Alexander Dobrindt, die von der Berliner Ampel-Regierung geplanten Erleichterungen bei der Einbürgerung bedeuteten eine „Verramschung der deutschen Staatsbürgerschaft“. Swoboda sagt es, als wäre es sein eigener Einfall. (Florian Sendtner)
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