Ein ungeschriebenes Gesetz seiner Heimatgemeinde Mantel in der Oberpfalz hat die zügige Politikerkarriere des Stephan Oetzinger beschleunigt. 2008 kandidierte der damalige Student mit 23 Jahren für den Marktgemeinderat. Auf der CSU-Liste holte Oetzinger auf Anhieb die zweitmeisten Stimmen gleich hinter dem amtierenden Bürgermeister. Als Neuling hätte er sich vermutlich anderswo trotzdem erst einmal hinten anstellen müssen, doch in Mantel ist es Tradition, dass der Zweitplatzierte auf der Siegerliste Stellvertreter des Rathauschefs wird – und sei es ein 23-jähriger Grünschnabel.
Als „spannende, aber auch sehr fordernde Zeit“ hat Oetzinger jene Jahre in Erinnerung. An der Uni Regensburg stand das Examen an, die Doktorarbeit sollte sich anschließen, doch im Rathaus war Oetzinger immer wieder als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung des Bürgermeisters gefordert. „Ich musste mich schnell mit allen kommunalen Themen beschäftigten“, erinnert er sich, der ehrenamtliche Nebenjob wurde mehr und mehr zum Hauptberuf – 2012 dann sogar ganz offiziell. Bei der Bürgermeisterwahl schaffte es Oetzinger im ersten Wahlgang auf den Chefsessel im Manteler Rathaus.
Dabei hatte Oetzinger ursprünglich die Politik als Beruf gar nicht im Blick. Nach dem Abitur in Weiden studierte er als Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung Geschichte und Politik und schnupperte in den Bereichen Religionswissenschaften und Theologische Anthropologie „etwas über den Tellerrand hinaus“. Als Landeshistoriker hätte er sich nach der Uni eine wissenschaftliche Karriere vorstellen können, die Arbeit in einer politischen Stiftung oder einem Archiv, vielleicht auch eine Tätigkeit als Journalist. „Aber dann hat sich alles anders ergeben“, sagt Oetzinger ohne Reue.
Im Landtag angekommen - schneller als geplant
Die Phase zwischen seiner Wahl zum Bürgermeister und der in den Landtag 2018 bezeichnet Oetzinger als „echt anstrengend“. Die begonnene Doktorarbeit über die Deutschlandpolitik der CSU von 1969 bis 1993 habe er neben der Vollzeitaufgabe als Rathauschef unbedingt zu Ende bringen wollen. Deshalb sei sie am Ende „etwas schlanker ausgefallen“, zum Beispiel ohne die eigentlich geplanten Zeitzeugengespräche, die er terminlich einfach nicht untergebracht habe. In der Endphase der Dissertation sei dann auch noch Sohn Franz auf die Welt gekommen. „Das alles zu schaffen geht nur mit sehr, sehr viel Sitzfleisch und Durchhaltevermögen, guten Nerven und einer Frau, die einen nicht vor die Tür setzt“, umschreibt Oetzinger schmunzelnd die Rahmenbedingungen jener Zeit. Wegen all dieser Umstände sei die Doktorarbeit auch nur mit „cum laude“ bewertet worden. „Aber ich habe sie selbst geschrieben“, betont Oetzinger.
Auch in den Landtag führte Oetzingers Weg schneller als geplant. Seine Vorgängerin als Stimmkreisabgeordnete, Petra Dettenhöfer, saß eigentlich fest im Sattel, bis sie eine schwere Erkrankung von einer erneuten Kandidatur Abstand nehmen ließ. Im CSU-Kreisverband Neustadt an der Waldnaab, dessen Vorsitzender Oetzinger seit 2017 ist, habe sich schnell herauskristallisiert, dass er Dettenhöfers Nachfolger werden könne – „wenn ich das will“. Da sei er sich zunächst nicht so ganz sicher gewesen. Zum einen habe er sich im Amt des Bürgermeisters sehr wohl gefühlt, erzählt Oetzinger, zum anderen sei die junge Familie zu Hause gewesen. Dann habe er sich aber in Absprache mit seiner Frau gedacht: „So eine Chance ergibt sich vielleicht nur einmal im Leben.“ Auch sein Doktorvater habe ihm zugeraten.
In der CSU-Fraktion gehört Oetzinger nun zu den Jüngsten. Er sitzt im Sozialausschuss, wo er das Thema Kinderbetreuung schon aus der Warte des Kommunalpolitikers kennt, sowie im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst. Mit diesem sei ein „absoluter Wunsch“ in Erfüllung gegangen. Mit der Umsetzung des neuen Milliarden-Programms für Forschung und Lehre könne er nun die Zukunft Bayerns mitgestalten, zeigt sich Oetzinger geradezu euphorisiert. „Da drehen wir an den Stellschrauben, die entscheiden, ob es uns in zehn oder 15 Jahren noch so gut geht wie heute.“ Und dann sei da noch der Bereich Kunst und Kultur, die als weiche Standortfaktoren gerade für die ländlichen Räume immer größere Bedeutung bekämen. „Kunst sind eben nicht nur die Pinakotheken in München, sondern auch bei mir zu Hause das Landestheater Oberpfalz“, betont er.
Daneben ist Oetzinger auch die Gedenkstättenarbeit wichtig. In seinem Stimmkreis liegt das ehemalige Konzentrationslager Flossenbürg, für dessen Gestaltung und Aufwertung als Erinnerungsort er sich einsetzt. „Das Bewusstsein für das damals angerichtete Unheil muss wachgehalten werden“, erklärt Oetzinger und sieht sich dabei auch als Historiker in der Pflicht. Was ihn umtreibt, ist das allmähliche „Aussterben“ der letzten Generation, die den Nationalsozialismus und seine Gräuel noch erlebt hat. Bald werde niemand mehr da sein, der Schülern authentisch von den Schrecken jener Zeit berichten könne. Es brauche folglich die didaktische Weiterentwicklung der Erinnerungsarbeit. Auch aus diesem Grund hat sich Oetzinger in das Kuratorium für den Obersalzberg entsenden lassen. Ihm gehe es darum, diesen „Täterort“ ohne falsche Reminiszenzen in das Konzept der sonst an die Opfer der NS-Diktatur erinnernden Gedenkstätten einzubinden.
Eben erst politisch erwachsen geworden
Obwohl Oetzinger nun schon seit mehr als zehn Jahren in der Politik aktiv ist, hat er eben erst die Schwelle zum politischen Erwachsenen überschritten. Aus Altersgründen musste er kürzlich nach acht Jahren im Amt den Vize-Posten bei der Jungen Union in Bayern abgeben. Damit hat sich auch sein Blickwinkel etwas verändert. Stand er früher voll hinter der JU-Linie zum Abbau der Staatsschulden bis 2030, unterstützt er nun den Kurs von Ministerpräsident Markus Söder, der die Tilgung zurückfahren und dafür in Wissenschaft und Forschung investieren will. Oetzinger verteidigt das Konzept derart leidenschaftlich, dass man fast meinen könnte, er hätte es persönlich für Söder geschrieben. Für ihn ist das Programm eine Art Neuauflage von Edmund Stoibers „Laptop und Lederhose“, das eine maßgebliche Rolle bei Oetzingers Eintritt in die Junge Union vor 20 Jahren spielte.
Einen Plan für seine weitere Karriere hat Oetzinger nach eigener Darstellung nicht. Er habe gelernt, dass in der Politik vieles nicht planbar sei, zudem würden Ämter und Mandate stets nur auf Zeit vergeben. „Der Bürger hebt einen auf den Stuhl, und er hebt einen auch wieder herunter“, gibt sich Oetzinger demütig. Er macht aber auch keinen Hehl daraus, 2023 wieder in den Landtag zurückkehren zu wollen. „Ich würde gerne verlängern, aber das muss ich mir erst erarbeiten“, sagt Oetzinger und fügt eine Anekdote an. „Sie müssen für Ihren Job immer wieder gewählt werden“, habe ihn ein Pfarrer einmal bedauert. „Das unterscheidet uns“, habe er geantwortet. „Sie haben mit der Priesterweihe lebenslänglich bekommen, ich komme aus der Nummer lebendig heraus.“ Abgeordneter zu sein, sagt Oetzinger dann noch, sei eben nicht gottgegeben. „Wenn man sich dessen immer bewusst ist, verliert man auch die Bodenhaftung nicht.“ Ganz schön lebensweise für einen 35-Jährigen. (Jürgen Umlauft)
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