Bedeutende Ereignisse, die andere nur aus Geschichtsbüchern kennen, hat Christian Lindinger als Polizist hautnah miterlebt. 1984 wurde der Niederbayer noch während seiner Ausbildung in Wackersdorf eingesetzt. An der geplanten hoch umstrittenen Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte radioaktive Brennstäbe lieferten sich Bereitschaftspolizei und Protestierende regelmäßig Straßenschlachten. Und der junge Mann aus Ruhstorf an der Rott im Landkreis Passau war mittendrin. „Das waren bürgerkriegsähnliche Zustände“, erinnert sich der Freie-Wähler-Abgeordnete. Einmal drang sogar ein Stahlgeschoss ins Futter seiner schusssicheren Weste ein, Lindinger wurde zum Glück nicht verletzt.
Es war eine schwierige Situation für die Polizei. Sie musste unterscheiden zwischen dem berechtigten friedlichen Protest, an dem auch viele Einheimische teilnahmen, und den Krawallmachern. Nicht immer gelang diese Unterscheidung. Als die Politik die Pläne begrub, waren auch viele bei der Polizei erleichtert.
Für Lindinger ging es dann zur Grenzpolizei. Dort erlebte er die Öffnung der innerdeutschen Grenze aus nächster Nähe mit. „Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke“, erzählt der heute 60-Jährige. 1998 kam dann das Ende der bayerischen Grenzpolizei. Lindinger, damals in der Grenzpolizeistation in Neuhaus am Inn im Einsatz, sperrte die Station persönlich zu.
Die nächsten 20 Jahre arbeitete er bei der Schleierfahndung. Die größte Herausforderung war dabei das Jahr 2015 – als täglich Tausende Flüchtlinge in Bayern ankamen. Lindinger war dafür zum Krisenstab der Bundespolizei abkommandiert. Er organisierte im Landkreis Passau Busse, las Flüchtlinge auf und kümmerte sich um die Verteilung auf Bayern.
Auch innerhalb der Polizei gab es damals eine heftige Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Grenzöffnungen, räumt Lindinger ein. „Aber ich habe total erschöpfte Mütter mit ihren Babys gesehen. Die wären nicht einfach so gekommen“, sagt er.
Für ihn ist klar: Straftäter unter den Flüchtlingen müsse man konsequent verfolgen. Und wenn sie nicht abgeschoben werden können, müssen sie aus seiner Sicht eingesperrt werden. Auch die finanziellen Anreize sollten reduziert werden. Die große Lösung muss für Lindinger aber auf europäischer Ebene gefunden werden: mit einer lückenlosen Kontrolle an den EU-Außengrenzen, einer Verteilung auf die Länder im Konsens und einer entsprechenden Unterstützung der besonders betroffenen Staaten. Doch daran, das weiß auch Lindinger, hat sich die Politik bislang die Zähne ausgebissen.
Keine Lösung ist für ihn die von der AfD geforderte Massenabschiebung. Die Aussage des Landtagsabgeordneten Benjamin Nolte, „Abschieben, bis die Startbahnen glühen“, findet Lindinger skandalös. „Wo bringen wir die denn hin, wenn Syrien sagt, wir nehmen keine? Sollen wir die dann abwerfen?“, fragt Lindinger, der ansonsten sehr besonnen spricht. Auf persönlicher Ebene, räumt er ein, komme er aber mit den AfD-Abgeordneten gut zurecht.
Seine Töchter stehen im Guinness-Buch der Rekorde
Im Landtag sitzt Lindinger im Haushaltsausschuss und im Ausschuss für den öffentlichen Dienst. Er ist auch Fraktionssprecher für Fragen des öffentlichen Dienstes und Mitglied der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe Inklusion.
Die Inklusion liegt ihm auch deshalb am Herzen, weil er Vater zweier kleinwüchsiger Töchter ist. Die Zwillinge sind mittlerweile 30 Jahre alt. Sie stehen seit 2022 im Guinness-Buch der Rekorde – als kleinste lebende Zwillinge der Welt mit einer Größe von 1,22 beziehungsweise 1,34 Metern. Sie haben ihren Weg gemacht, arbeiten beide in der Verwaltung. Doch sie müssen in einer Welt zurechtkommen, die vor allem für groß gewachsene Menschen gemacht ist. Die Arbeitsgruppe Inklusion setzt sich für mehr Sensibilität in der Gesellschaft ein.
Ein weiteres wichtiges Thema ist für Lindinger die Feuerwehr. Gerade erst hat Bayern grünes Licht für eine Anhebung der Altersgrenze für den aktiven Feuerwehrdienst von 65 auf 67 Jahre gegeben. Auch Lindinger hat dafür gekämpft. Er ist selbst immer noch bei der Feuerwehr aktiv und rückt aus, wenn der Piepser sich meldet.
Die Feuerwehr spielte auch bei seinem Eintritt in die Politik eine große Rolle. Als junger Feuerwehrler kam ihm der Bereich vom damaligen CSU-Bürgermeister sträflich vernachlässigt vor. Und so beschloss Lindinger, bei den Freien Wählern im Ort mitzumachen und sich für die Feuerwehr einzusetzen. 1996 zog er in den Gemeinderat ein, als Nachfolger des früheren Bauernverbandspräsidenten Gerd Sonnleitner. Bis heute engagiert sich Lindinger in der Kommunalpolitik.
Immer wieder war er auch im Stimmkreis Passau-West, einer CSU-Hochburg, als aussichtsloser Direktkandidat und auf einem hinteren Listenplatz bei Landtagswahlen angetreten. So auch 2023. Doch diesmal wurde er von Platz 9 auf 7 hochgewählt – was für den Einzug in den Landtag reichte. Lindinger, der eigentlich damit gerechnet hatte, im Mai 2024 bei der Polizei in den Vorruhestand zu gehen, war plötzlich Abgeordneter.
Die Freude war so groß wie die Überraschung. Im Schnellverfahren mussten Büro und Beschäftigte organisiert werden. Ein Jahr habe er zur Eingewöhnung gebraucht, sagt Lindinger.
In seiner Freizeit unternimmt der 60-Jährige Walkingtouren mit seiner Frau, fährt mit dem Fahrrad – „und ich erfülle die Wünsche meiner Kinder“, sagt Lindinger und lacht. Neben seinen Töchtern hat er noch einen Sohn, der Ingenieur ist. Bei den Kindern sind vor allem Papas Fähigkeiten als Handwerker gefragt. Auch dafür hat er ein Talent. (Thorsten Stark)
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