Die Rhön: Wälder, Täler, Berge, so weit das Auge reicht. Kurorte, Fachwerkhäuser und natürlich der edle Frankenwein. Das ist die Heimat von Sandro Kirchner. Hier wurde der CSU-Politiker geboren und hier will er nicht mehr weg. Auch als er 2022 zum Staatssekretär im Innenministerium ernannt wurde, kam für ihn ein Umzug mit der Familie in die Landeshauptstadt nicht infrage. Er blieb lieber im beschaulichen Premich, einem kleinen Ortsteil des Marktes Burkardroth im Landkreis Bad Kissingen. Warum das so ist? „Da muss ich etwas ausholen“, sagt der 47-Jährige.
Als er sieben war, entschlossen sich seine Eltern, nach München umzuziehen, sein Vater hatte dort eine Stelle angenommen. Weg von seinen Freunden, seinen Verwandten, seiner Heimat. „Ich habe dann gesagt: Seid mir nicht böse, aber mit 18 ziehe ich wieder heim.“
Nun gibt es viele Kinder, die im Brustton der Überzeugung erklären, was sie als Erwachsene tun wollen. Würden diese Absichtserklärungen später alle in die Tat umgesetzt, gäbe es heute keine Nachwuchssorgen bei der Feuerwehr oder im Gesundheitswesen.
Doch Kirchner hielt Wort. Mit 18 kehrte er nach Unterfranken zurück, zog bei Oma und Opa ein und machte sein Fachabitur. Er studierte Ingenieurswesen in Schweinfurt, trat danach in Bad Neustadt an der Saale eine Stelle an und gründete eine Familie. Er engagierte sich im örtlichen Fußballverein, vertrat ab 2002 seinen Ort im Marktgemeinderat, war seitdem auch Teil des Kreistags und avancierte zum Zweiten Bürgermeister.
Zur Politik hatte Kirchner wegen Franz Josef Strauß gefunden. Als der damalige Ministerpräsident am 3. Oktober 1988 starb, gab es einen Tag schulfrei. Der damals 13-jährige Kirchner informierte sich darüber, was ein Ministerpräsident überhaupt tut und stellte eine große Schnittmenge zwischen der konservativen CSU-Politik und seinen Vorstellungen fest. Mit 16 trat er in die Junge Union ein und fand später seinen Weg in die CSU und den örtlichen Gemeinderat.
Auf der lokalen Ebene wäre es wohl noch viele Jahre weitergegangen, wenn nicht Robert Kiesel aus Kirchners Heimatstimmkreis angekündigt hätte, 2013 nicht mehr für den Landtag kandidieren zu wollen.
Als möglicher Nachfolger wurde auch Kirchner, inzwischen stellvertretender Kreisvorsitzender, gefragt. „Die Landespolitik war nie ein Ziel“, sagt er. Mittlerweile war er bei seinem Arbeitgeber, einem Automobilzulieferer, zum Projektleiter aufgestiegen. Das wollte er nicht einfach so aufgeben. Aber es reizte ihn auch, politisch etwas bewegen zu können. Und da ihn auch seine Chefs in diesem Wunsch bestärkten, kandidierte er. Kirchner zog in den Landtag ein – und wurde als Neuling zum Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses gewählt.
Der nächste Karriereschritt folgte 2022: Der langjährige Staatssekretär im Innenministerium, Gerhard Eck, hatte sich vorzeitig aus dem Kabinett zurückgezogen. Und Sandro Kirchner rückte an seine Stelle. „Mein erster Arbeitstag wird mir immer in Erinnerung bleiben“, sagt Kirchner. Es war der 23. Februar 2022.
Amtsantritt am Tag vor Kriegsausbruch
Was er da noch nicht wusste: Der zweite Arbeitstag sollte viel bedeutender werden. Es war ein Schocktag. Russische Truppen überfielen die Ukraine. Für Staatsregierung und Innenministerium bedeutete das: sich einen Überblick verschaffen, Krisenstäbe einrichten, Kontakte aufbauen, Szenarien durchspielen. „Da war ich sehr schnell per Druckbetankung in verschiedensten Themen drin“, sagt Kirchner.
Einen kleinen Dämpfer erhielt Kirchner im vergangenen Sommer. Gerhard Eck hatte auch sein Amt als CSU-Bezirksvorsitzender in Unterfranken zur Verfügung gestellt – und Kirchner galt auch dabei als designierter Nachfolger. Doch völlig überraschend wählten die Delegierten mit knapper Mehrheit den Abgeordneten Steffen Vogel aus dem Stimmkreis Haßberge, Rhön-Grabfeld zum neuen Bezirkschef. „Ich war schon enttäuscht“, gibt Kirchner zu. Es habe sich allerdings gezeigt, dass sie beide sich im Dienste Unterfrankens gut ergänzen. „Steffen Vogel hat noch mal einen ganz anderen Fokus.“
Bei der Kandidatur für die Landtagswahl in seinem Stimmkreis Bad Kissingen erhielt er dann wieder die volle Rückendeckung der Delegierten. Wie es nach der Wahl weitergeht, darüber will er sich noch keine Gedanken machen. „Ich wäre froh, wenn ich als Staatssekretär weitermachen darf. Aber das müssen der Ministerpräsident und der Minister entscheiden. Und vorher der Wähler“, sagt Kirchner.
Mit dem politisch Erreichten ist er zufrieden. Kirchner verweist auf mehrere Behördenverlagerungen nach Unterfranken, die Arbeitsplätze geschaffen haben, und die Ansiedlung von Technologiezentren. Die Rhön ist mittlerweile auch wirtschaftlich attraktiv.
Diese Woche vertrat Kirchner Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Integrationsministerkonferenz in Wiesbaden. Großes Thema: die Belastung der Kommunen durch die Flüchtlinge. „Sehr viele davon kommen nach Bayern. Nur haben wir das Problem, dass wir die Flüchtlingspolitik nicht aktiv gestalten können, aber umsetzen müssen“, sagt Kirchner und verweist auf den Bund. Es brauche mehr Geld für die Unterbringung, die Schulen und Beratung – und ein Nachjustieren auf europäischer Ebene, um den Zuzug stärker zu reglementieren, sagt der Staatssekretär. Er verweist darauf, dass das Kommunalpolitiker*innen aller Parteien so sehen: „Alle sagen, dass es momentan aus dem Ruder läuft.“
Die Klima-Klebe-Aktionen, die sein Ministerium auch beschäftigen, betrachtet Kirchner ganz nüchtern: „Ich finde es in Ordnung, wenn man auf das Thema Klimaschutz aufmerksam macht. Aber die Methoden schießen über das Ziel hinaus.“ Das werde dann eben von Polizei und Justiz geahndet.
Ohne den familiären Rückhalt hätte er seine Karriere so nicht verfolgen können, sagt Kirchner. Seine Tochter wird zwölf, sein Sohn ist 15. Mit dem Sohn geht er gern in den eigenen Wald – um Holz zu machen oder zu jagen. Über Pfingsten macht die Familie vier Tage Urlaub, im Sommer geht es nach Italien. Und Sport? Fußballspielen, das ist für Kirchner vorbei. Nach drei Kreuzbandrissen hat er diese Karriere beendet. (Thorsten Stark)
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