Seit 40 Jahren engagiert sich Florian Ritter (58) gegen Rechtsextremismus, bei der SPD-Fraktion ist er Sprecher im Kampf gegen Rechtsextremismus. „Das ist mir ein Herzensanliegen“, sagt der Abgeordnete beim Gespräch im Landtag. Das Thema begleite ihn quasi seit Geburt an: Ritter ist am 8. Mai 1962 geboren, also dem Tag, an dem die deutsche Wehrmacht 17 Jahre vorher bedingungslos kapituliert hat. „Schon als Jugendlicher habe ich statt meinen Geburtstag zu feiern lieber gegen Nazis demonstriert“, erzählt er. Denn wie aktuell die AfD, hätten damals Neonazis versucht, den Tag zur „Niederlage“ für Deutschland umzudeuten. Statt ihn als Tag der Befreiung zu sehen. Das hat Ritter geprägt.
Nach dem Oktoberfestattentat 1980 reichte ihm das Demonstrieren nicht mehr. „Schon damals war klar, dass die Tat rechtsextreme Hintergründe hatte“, erzählt der SPDler. Der damals 18-Jährige spürte, welche Gefahr vom Rechtsextremismus für die Gesellschaft ausging, und begann sich mehr und mehr bei den Falken zu engagieren – einem deutschen Kinder- und Jugendverband, der aus der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung hervorgegangen ist. 1982 trat er der SPD bei. Auch die aktuellen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen bereiten ihm Sorgen. Dort würden klar rechtsextreme Gruppen mitmarschieren, um das demokratische System zu destabilisieren.
Obwohl Ritter wegen seines Kampfes gegen Rechts auch Morddrohungen erhält, hat er keine Angst – weder um sein Leben noch vor einem Erstarken der Rechten. „Natürlich halte ich die jüngsten Entwicklungen für ausgesprochen gefährlich“, sagt er. Durch die Verunsicherungen in der Corona-Krise befänden sich die Rechtsextremisten im Aufwind. „Aber es hilft doch nicht, wenn man sich verkriecht.“ Stattdessen sei es jetzt wichtig, entschieden gegen Rechtsextremisten vorzugehen.
Geboren wurde Ritter in München. Sein Elternhaus beschreibt er als „tiefschwarz“. „Meine Mutter hat nur zweimal einen SPDler gewählt: Hans-Jochen Vogel und mich“, sagt er und lacht. Seine Kindheit war behütet – erst später bemerkte er, welche finanziellen Probleme seine Mutter nach dem frühen Tod seines Vaters hatte. In der Schule, sagt Ritter, war er eher angepasst als rebellisch. Seinen Traum, Archäologe zu werden, musste er begraben, weil er es nur auf die Realschule geschafft hatte.
Ritter startete beruflich dennoch durch, weil er nach seinem Wehrdienst – sein Antrag auf Verweigerung wurde abgelehnt – eine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann absolvierte. Das war Anfang der 1980er-Jahre ziemlich ungewöhnlich. Trotz seiner Mathe-Schwäche verbiss sich der damals 20-Jährige in die Arbeit und war dann zum Start der PC-Ära ein exzellenter Programmierer. Durch den Boom stieg er innerhalb der Firma schnell auf, 1997 machte er sich mit einer Werbe- und Internetagentur selbstständig.
Seinem Unternehmen verdankt Ritter indirekt auch seinen Landtagseinzug. Beim Münchner Oberbürgermeisterwahlkampf 1999 kam im Ortsverein die Frage auf, wie man den SPD-Kandidaten Christian Ude unterstützen könnte. Damals der letzte Schrei: eine eigene Webseite. „Das hatte damals fast noch keiner“, erinnert sich Ritter. Also kümmerte er sich um die Programmierung, kramte in Udes Privatfotosammlung und lud Bilder ins Netz, auf denen Ude als 20-Jähriger mit Wuschelkopf am Schreibtisch saß. Zum Launch wurde eine Pressekonferenz einberufen. „Mit der Maus auf der Jagd nach Stimmen“, titelte die Süddeutsche Zeitung damals.
1999 programmierte Ritter Christian Udes Homepage
Nachdem Ude die Wahl gewonnen hatte, wurde Ritter 2002 zum Wahlkreismanager der Bundestagsabgeordneten Stephanie Jung ernannt, die in München West/Mitte kandidierte. „Da sah das Ganze schon professioneller aus“, so Ritter. Es sollte der einzige Wahlkreis in ganz Bayern werden, in dem die SPD Stimmen gewann. Mit diesem Rückenwind gelang es Ritter, sich bei der Landtagskandidatur gegen seine Mitbewerber durchzusetzen. Seit 2003 sitzt er ununterbrochen im Landtag. „17 Jahre am Stück sind nur noch wenige SPD-Abgeordnete dabei“, betont er. Wobei nach dem Stimmeneinbruch bei der 2018er-Wahl ohnehin nur noch wenige SPD-Abgeordnete im Landtag sitzen: nämlich 22.
Wegen der „massiven Reduzierung“ bei den Abgeordneten ist Ritter in dieser Legislaturperiode nicht nur für Rechtsextremismus zuständig, sondern auch SPD-Sprecher für Datenschutz und für Finanzpolitik. „Es ist nicht immer einfach, das organisatorisch auszutarieren“, räumt er ein. Durch das schlechte Wahlergebnis hat die Fraktion auch weniger Mitarbeiter*innen, weshalb mehr Arbeit an den Abgeordneten hängen bleibt.
Hinzu kommt, dass es heutzutage bedeutend aufwendiger sei als früher, mit aktuellen Entwicklungen Schritt zu halten. Vor 17 Jahren habe es noch gereicht, sich aus der Zeitung über die Ereignisse vom Vortag zu informieren und dann eine Pressemeldung zu verschicken. „Wenn ich heute nicht innerhalb von fünf Minuten reagiere, ist meine Reaktion in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr relevant“, klagt er. Der Politikbetrieb sei „exorbitant schnell“ geworden. Das sei besonders problematisch bei Themen, die viel Hintergrundwissen erfordern.
In der Corona-Krise macht Ritter, der auch Vorsitzender der SPD Oberbayern ist, die Omnipräsenz der Staatsregierung in den Medien zu schaffen. Ständig kämpfe die SPD dafür, dass die Hilfsprogramme nachgebessert werden, sodass auch Künstler, Solo-Selbstständige oder Vereine profitierten, klagt er. Wenn die Unterstützung dann komme, heimse die Regierung allein die Lorbeeren ein. Dennoch – die CSU schätzt Ritters Arbeit: Hart in der Sache, immer an seinen Themen dran und sehr nett im Umgang, lobt ein CSU-Abgeordneter.
Um sich zu entspannen, hängt sich Ritter entweder die Kamera um den Hals, verreist mit seiner Frau und den drei Kindern (27, 25 und 14 Jahre) mit dem Wohnmobil oder geht klettern. In letzter Zeit hat er das Kochen „als Gegenprogramm zur Politik“ entdeckt. „Dort gibt es im Gegensatz zur Informationsflut in den Medien eine klar definierte Anzahl von Zutaten, ein klar definiertes Ziel und zum Schluss einen Erfolg“, sagt er und lacht. „Meistens zumindest.“ (David Lohmann)
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